435e Genetisch bedingte Defekte des Membrantransports
Durch die immer größer werdende Anzahl identifizierter Transportsysteme und der Entschlüsselung molekularer Grundlagen steigt die Menge der genetisch bedingten Defekte des Membrantransportes an.
Unterschiedliche Stoffe passieren die Plasmazellmembran mittels spezifischer Membrantransporter. Zu diesen Stoffen zählen u. a. Aminosäuren, Zucker, Anionen, Kationen. Die ersten entdeckten Transportstörungen betrafen vorwiegend Darm und Niere.
Tabellarisch werden in dem Kapitel genetische Störungen des Membrantransports behandelt, die in unterschiedliche Substanzklassen unterteilt werden (Aminosäuren, Hexosen, Urate, Anionen, Kationen, Wasser, Vitamine, Carnitin- und Kreatinmangel).
Ausführlich geht das Kapitel auf Defekte ein, die den Aminosäuretransporter betreffen und sich meist im Erwachsenenalter klinisch manifestieren. Bei der Cystinurie, der Azidurie durch dibasische Aminosäuren und der Hartnup-Erkrankung handelt es sich um autosomal rezessiv vererbte Störungen des Membrantransports im proximalen Nierentubulus und der Jejunalschleimhaut.
Bei der Cystinurie kann es zu Urolithiasis kommen mit den typischen Symptomen bis hin zu einer fortschreitenden Niereninsuffizienz. Eine Azidurie durch dibasische Aminosäuren ist klinisch gekennzeichnet durch eine Hepatosplenomegalie, eine Proteinintoleranz und ggf. eine Ammoniakintoxikation. Im Verlauf können sich eine Osteoporose, eine Nierenfunktionsverschlechterung oder interstitielle Lungenveränderungen manifestieren. Pellagra-ähnliche Symptome bis hin zu einer zerebellären Ataxie zeigen sich bei einer Hartnup-Erkrankung.
Die therapeutischen Optionen basieren zum einen auf diätetischen Maßnahmen und zum anderen auf einer medikamentösen Therapie. Eine engmaschige klinische Kontrolle der Patienten ist unumgänglich.
Für die deutsche Ausgabe Tina Schomacher und Hartmut H.-J. Schmidt
Zahlreiche Substanzen durchqueren die Plasmazellmembranen mittels spezifischer Membrantransporter. Zu den entsprechenden Substratklassen gehören Aminosäuren, Zucker, Kationen, Anionen, Vitamine und Wasser. Die Anzahl der angeborenen Defekte des Membrantransportes steigt mit zunehmender Identifikation neuer Transportsysteme auf der Plasmamembran oder intrazellulären Organellen und der Entschlüsselung molekularer Grundlagen von Krankheiten mit bisher unbekannter Pathophysiologie. Die ersten identifizierten Transportstörungen betrafen selektiv den Darm oder die Niere; diese Transportprozesse sind jedoch für die Funktion jedes Organs von essenzieller Bedeutung. Mutationen in Transportermolekülen konnten auch für Erkrankungen von Herz, Muskel, Gehirn, Sinnesorganen und dem endokrinen System nachgewiesen werden (Tab. 435e-1). Angeborene Defekte, die den Aminosäuretransport beeinträchtigen und im Erwachsenenalter präsent werden können, werden hier als Beispiele der aufgeführten Störungen gesondert besprochen; einige weitere werden an anderen Stellen des Textes berücksichtigt.
Cystinurie
Die Cystinurie (Häufigkeit 1 : 10.000–15.000) ist eine autosomal rezessiv vererbte Erkrankung, deren Ursache in einem Defekt der Membranträgerproteine in der apikalen Bürstensaummembran des proximalen Tubulussystems der Nieren sowie der kleinen Darmzellen liegt. Sie ist durch eine verminderte renale tubuläre Rückresorption und eine exzessive Ausscheidung der dibasischen Aminosäuren Lysin, Arginin, Ornithin und Cystin gekennzeichnet. Da Cystin schwer löslich ist, kommt es zu einer gehäuften Bildung von Nieren-, Ureter- und Blasensteinen, welche die Symptome dieses Defekts hervorrufen.
Es gibt zwei Varianten der Cystinurie, wobei Homozygote beider Varianten eine hohe Urinausscheidung von Cystin, Lysin, Arginin und Ornithin zeigen. Typ-I-Heterozygote präsentieren normale Urinausscheidungsmuster für Aminosäuren; die meisten Non-Type-I-Heterozygoten (ehemals: Typ II und III) hingegen zeigen mäßig erhöhte Urinwerte für jede der vier Aminosäuren. Das für die Cystinurie Typ I verantwortliche Gen (SLC3A1, Chromosom 2p16.3) kodiert für ein Membranglykoprotein, das die korrekte Entwicklung des Aminosäurentransporters b0,+ unterstützt. Die Non-Type-I-Variante wird durch Mutationen im Gen SLC7A9 (Chromosom 19q13) hervorgerufen, das für den b0,+-Membrantransporter kodiert. Dies erklärt, warum Mutationen zweier verschiedener Gene ein ähnliches Krankheitsbild hervorrufen.
Cystinsteine machen nur 1–2 % aller Steine des Harntrakts aus, sind jedoch die häufigste Ursache für Steine im Kindesalter. Betroffene Homozygote scheiden regelmäßig 2400 bis 7200 μmol (600–1800 mg) Cystin pro Tag aus. Da die maximale Löslichkeit des Cystins im physiologischen Bereich des Urin-pH-Wertes von 4,5 bis 7,0 etwa 1200 μmol/l (300 mg/l) beträgt, ist eine Verdünnung durch 2,5–7 l Wasser erforderlich, um eine Kristallurie zu vermeiden. Zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr wird die Steinbildung manifest, sie kann aber auch im ersten Lebensjahr auftreten. Die Symptome sind typisch für eine Urolithiasis: Hämaturie, Flankenschmerz, Nierenkolik, obstruktive Uropathie sowie Infektionen (Kap. 342). Durch eine rezidivierende Urolithiasis kann es zu einer fortschreitenden Niereninsuffizienz kommen.
Der Nachweis typischer hexagonaler Kristalle im Sediment eines angesäuerten, konzentrierten und gekühlten Urins sowie ein positiver Nitroprussidtest des Urins (= kirschrote Färbung) weisen auf das Vorliegen einer Cystinurie hin. Beweisend für die Diagnose ist eine quantitative Urinanalyse, die das charakteristische Muster einer vermehrten selektiven Ausscheidung von Cystin, Lysin, Arginin und Ornithin präsentiert. Durch die quantitative Bestimmung lassen sich Homozygote von Heterozygoten unterscheiden, ebenso dient sie der Messung des ausgeschiedenen freien Cystins unter der Therapie.
Die Therapie zielt darauf ab, die Bildung von Cystinkristallen durch eine Erhöhung des Urinvolumens sowie durch eine Harnalkalisierung zu vermeiden. Eine Flüssigkeitszufuhr von mehr als vier Litern täglich ist obligat, fünf bis sieben Liter sind optimal. Die Urinkonzentration von Cystin sollte weniger als 1000 μmol/l (250 mg/l) betragen. Die tägliche Flüssigkeitsaufnahme, die für eine Verdünnung des ausgeschiedenen Cystins notwendig ist, sollte über 24 Stunden verteilt werden. Ein Drittel der Gesamtmenge sollte zwischen dem Zu-Bett-Gehen und drei Uhr morgens aufgenommen werden. Bei einem Urin-pH > 7,5 steigt die Löslichkeit des Cystins stark an, daher hat die Alkalisierung des Harns mit Bikarbonat oder Kaliumzitrat einen therapeutischen Wert. Penicillamin (1–3 g/d) und Tiopronin (800–1200 mg/d α-Mercapto-Propionyl-Glycin, auf vier Gaben verteilt), gehen einen Sulfhydryl-Disulfid-Austausch mit Cystin ein und bilden somit ein gemischtes Disulfid. Da dieses Disulfid löslicher ist als Cystin, kann diese medikamentöse Therapie eine neue Steinbildung verhindern und die Auflösung bereits vorhandener Steine fördern. Da es unter einer Therapie mit Penicillamin zu schweren Nebenwirkungen kommen kann, sollte es nur bei Patienten eingesetzt werden, die nicht auf eine Hydrierungstherapie ansprechen oder zu einer Kategorie mit erhöhtem Risiko zählen (Zustand nach einseitiger Nierenentfernung, schwere Niereninsuffizienz). Wenn die medikamentöse Therapie versagt, bedarf es invasiverer Verfahren wie der Schockwellenlithotripsie, Ureteroskopie oder perkutaner Nephrolithotomie. Hiermit können die meisten Steine entfernt werden. Offene urologische Operationen sollten verzweigt konfigurierten Steinkomplexen vorbehalten bleiben sowie Patienten mit angeborenen Nieren- oder Ureter-Fehlbildungen. Gelegentlich führt die Erkrankung zum Nierenversagen, sodass eine Transplantation erforderlich wird.
Azidurie durch dibasische Aminosäuren
Diese Störung ist durch einen Rückresorptionsdefekt im renalen Tubulussystem charakterisiert, der die drei dibasischen Aminosäuren Lysin, Arginin und Ornithin, nicht aber Cystin betrifft (lysinurische Proteinintoleranz). Homozygote zeigen sowohl einen defizitären intestinalen Transport der dibasischen Aminosäuren als auch sehr hohe renale Verluste. Die lysinurische Proteinintoleranz ist weltweit am weitesten in Finnland verbreitet (Inzidenz 1 : 60.000) sowie in Süditalien und Japan, ansonsten aber eher selten. Der Transportdefekt betrifft den basolateralen Membrantransport mehr als den luminalen und ist mit einer Beeinträchtigung des Harnstoffzyklus assoziiert. Das in diesem Fall defekte Gen (SLC7A7, Chromosom 14q11.2) kodiert für den Membrantransporter y+LAT, der gemeinsam mit der schweren Kette des Zelloberflächenglykoproteins 4F2 für die Komplettierung des natriumabhängigen Transporters y+L benötigt wird.
Die klinischen Manifestationen hängen mit der Störung des Harnstoffzyklus und der Immunfunktion zusammen, die vermutlich auf einer Überproduktion von Stickoxid aufgrund des intrazellulär gefangenen Arginins beruht. Bei den betroffenen Patienten kann bereits in der Kindheit eine Hepatosplenomegalie, Proteinintoleranz sowie manchmal eine Ammoniakintoxikation bestehen. Ältere Patienten können eine schwere Osteoporose, eine beeinträchtigte Nierenfunktion, pulmonale Alveolarproteinose, verschiedene Autoimmunerkrankungen sowie unvollständig charakterisierte Immundefekte aufweisen. Die Plasmakonzentrationen von Lysin, Ornithin und Arginin sind herabgesetzt, während die Harnausscheidung von Lysin und Orotsäure erhöht sind. Die Hyperammonämie kann sich nach Proteinzufuhr oder Infektionen entwickeln, wobei dieser Mechanismus darauf beruhen soll, dass die Arginin- und Ornithinmengen nicht ausreichen, um die korrekte Funktion des Harnstoffzyklus aufrechtzuerhalten. Zur Therapie gehören eine Eiweißrestriktion und Nahrungssupplementierung mit Citrullin (2–8 g/d), einer neutralen Aminosäure, die durch ihre Metabolisierung zu Arginin und Ornithin den Harnstoffzyklus auffüllt. Bezüglich ihrer Lungenerkrankungen profitieren manche Patienten von einer Therapie mit Glukokortikoiden oder Bronchiallavagen. Schwangere, die an einer lysinurischen Proteinintoleranz leiden, haben unter der Geburt ein erhöhtes Risiko, Komplikationen wie Anämie, Toxikämie und verstärkte Blutungen zu entwickeln. Durch forcierte Diätmaßnahmen und engmaschige Blutdruckkontrollen können diese Risiken minimiert werden. Die Säuglinge können eine intrauterine Wachstumsretardierung aufweisen, sind aber neurologisch unauffällig.
Citrullinämie Typ 2 (Citrinmangel)
Die Citrullinämie Typ 2 ist eine autosomal rezessiv vererbte Krankheit, die durch den Mangel des mitochondrialen Aspartat-Glutamat-Carriers AGC2 (Citrin) entsteht. Durch den Defekt dieses Transporters steht im Zytoplasma nicht mehr ausreichend Aspartat zur Verknüpfung mit Citrullin zur Verfügung, sodass der Harnstoffzyklus unterbrochen wird und der Transfer der reduzierenden Äquivalente vom Zytosol in die Mitochondrien mithilfe des Malat-Aspartat-NADH-Shuttles abnimmt. Mutationen in dem für diesen Transporter kodierenden SLC25A13-Gens auf Chromosom 7q21.3 sind bei Weißen selten, betreffen aber mit unterschiedlicher Penetranz einen von 20.000 Menschen japanischer, chinesischer und südostasiatischer Abstammung.
Die Krankheit beginnt meist plötzlich im Alter von 20–50 Jahren mit rezidivierender Hyperammonämie und begleitenden neuropsychiatrischen Symptomen, wie verändertem mentalem Status, Reizbarkeit, Krampfanfällen oder komaähnlich dem Bild einer hepatischen Enzephalopathie. Manche Patienten werden mit einer Hypertriglyzeridämie, einer Pankreatitis, einer Neoplasie der Leber oder einer Fettleber mit ähnlicher Histologie wie bei der nicht alkoholischen Steatosis hepatis klinisch auffällig. Unbehandelt versterben die meisten Patienten wenige Jahre nach Krankheitsbeginn an einem Hirnödem. Die Episoden werden in der Regel durch Medikamente (wie Paracetamol), Operationen, Alkoholkonsum oder die Zufuhr größerer Mengen von Zucker ausgelöst. Die letztgenannten Situationen führen zur übermäßigen Produktion von NADH. Da NADH nicht beim Abbau von Proteinen und Fetten entsteht, bevorzugen viele Patienten mit Citrullinämie Typ 2 spontan Nahrungsmittel wie Fleisch, Eier und Fisch und meiden Kohlenhydrate.
Im akuten Anfall sind im Serum Ammonium, Citrullin und Arginin erhöht und ist der Spiegel von Glutamin, das bei klassischen Defekten des Harnstoffzyklus erhöht ist, niedrig oder normal. Gesichert wird die Diagnose durch den Nachweis von Mutationen im SLC25A13-Gen. Die Lebertransplantation verhindert das Fortschreiten der Krankheit und normalisiert die Biochemie. Eine Ernährung mit hohem Gehalt an Fetten und Eiweißen und geringem Anteil von Kohlenhydraten mit der Supplementierung von Arginin und Pyruvat kann zumindest kurzzeitig weitere Episoden verhindern.
Hartnup-Krankheit
Die Hartnup-Krankheit (Häufigkeit 1 : 24.000) ist eine autosomal rezessive Erkrankung, die durch Pellagra-ähnliche Hautläsionen, unterschiedliche neurologische Manifestationen und Azidurie durch neutrale oder aromatische Aminosäuren gekennzeichnet ist. Die Mengen der ausgeschiedenen Aminosäuren Alanin, Serin, Threonin, Valin, Leucin, Isoleucin, Phenylalanin, Tyrosin, Tryptophan, Glutamin, Aspargin und Histidin sind im Urin fünf- bis zehnfach erhöht. Zudem ist der intestinale Transport dieser Aminosäuren ungenügend. Der defekte Transporter für neutrale Aminosäuren, B°AT1, für den das SLC6A19-Gen auf Chromosom 5p15 kodiert, wird an den Oberflächen von Niere und Darm nur in Anwesenheit von Collectrin bzw. Angiotensin-converting-Enzym 2 exprimiert.
Die klinischen Manifestationen sind das Ergebnis des nutritiven Mangels der essenziellen Aminosäure Tryptophan durch die Kombination von renaler und intestinaler Malabsorption sowie des Mangels an Nicotinsäure, einem Produkt des Tryptophanstoffwechsels. Nur ein Bruchteil der Patienten mit den für die Erkrankung typischen chemischen Befunden entwickelt ein Pellagra-ähnliches Symptom, was annehmen lässt, dass eine Manifestation von weiteren Faktoren als einzig und allein von diesem Transportdefekt abhängt. Der Verdacht auf das Vorliegen der Hartnup-Krankheit ist bei jedem Patienten mit Pellagra-Symptomen ohne anamnestische Hinweise auf einen ernährungsbedingten Nikotinsäuremangel berechtigt (Kap. 96e). Die neurologischen und psychiatrischen Manifestationen reichen von Anfällen zerebellärer Ataxie über leichte emotionale Labilität bis hin zu deliranten Zuständen und werden für gewöhnlich von Exazerbationen des erythematösen, ekzemartigen Hautauschlags begleitet. Fieber, Sonnenlicht, Stress und die Einnahme von Sulfonamiden provozieren klinische Rückfälle. Die Diagnose wird durch den Nachweis der Azidurie von neutralen Aminosäuren gestellt, die bei einem diätetisch bedingten Nicotinsäuremangel nicht auftritt. Die Therapie ist auf einen großzügigen Ersatz des erlittenen Nicotinsäureverlustes ausgerichtet und beinhaltet somit eine proteinreiche Diät sowie die tägliche Zufuhr von Nikotinsäure (50–250 mg).
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