461 Myasthenia gravis und andere Erkrankungen der neuromuskulären Übertragung
Die Myasthenia gravis (MG) ist eine Autoimmunerkrankung, deren Ursache in einer gestörten Impulsübertragung von Nerv zu Muskel liegt. In ihrer häufigsten Form wird die MG durch Autoantikörper gegen den Acetylcholinrezeptor (AChR) an der neuromuskulären Synapse hervorgerufen. Bei einem Teil der Patienten besteht ein Zusammenhang mit Veränderungen der Thymusdrüse.
Hauptsymptome sind Schwäche und abnorme Ermüdbarkeit der Muskeln. Die okuläre Form kann durch eine Diplopie und Ptosis gekennzeichnet sein. Häufig handelt es sich hierbei um Initialsymptome, die innerhalb der ersten 2 Jahre nach Krankheitsbeginn generalisieren. Die Muskelschwäche kann dann auch die Extremitäten erfassen, aber auch zur Dysphagie, Dysarthrie und respiratorischer Insuffizienz führen.
Bei klinischem Verdacht kann die Diagnose durch eine elektrophysiologische Untersuchung (Dekrement-Test), einen positiven Antikörpernachweis gegen AChR oder die muskelspezifische Rezeptor-Tyrosinkinase (MuSK) sowie durch Gabe eines Hemmstoffes der Acetylcholinesterase (Edrophonium-Test) gesichert werden.
Therapie wie auch Verlauf der MG sind individuell sehr unterschiedlich. Neben der symptomatischen Therapie mittels Blockern der Acetylcholinesterase (Pyridostigmin) müssen häufig immunmodulierende Therapien (u. a. Kortikosteroide und Azathioprin) eingesetzt werden. Die Thymektomie ist nicht nur bei der Thymom-assoziierten (paraneoplastischen) Verlaufsform der MG (10 %) indiziert, sondern auch als immunmodulierende, Immunsuppressiva-sparende Therapie der MG. Zur Therapie krisenhafter Verläufe mit respiratorischer Insuffizienz werden schnell wirksame immunmodulatorische Verfahren wie Plasmapherese und Immunglobuline neben der allgemeinen Intensivmedizin eingesetzt.
Für die deutsche Ausgabe wurden zahlreiche Veränderungen vorgenommen. So wird auf Besonderheiten in der Myasthenie-Therapie während Schwangerschaft und Stillzeit eingegangen. Zudem wurde die immunmodulatorische Therapie für den deutschsprachigen Raum unter Berücksichtigung aktueller Studien und der Leitlinien angepasst.
Für die deutsche Ausgabe Andreas Meisel
Bei der Myasthenia gravis handelt es sich um eine neuromuskuläre Erkrankung mit Schwäche und Ermüdbarkeit der Skelettmuskulatur. Der zugrunde liegende Defekt ist eine Verminderung der Anzahl verfügbarer Acetylcholinrezeptoren (AChR) an der neuromuskulären Synapse infolge eines antikörpervermittelten Autoimmungeschehens. Die heute verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten für die Myasthenia gravis sind meist klinisch gut wirksam, wobei eine spezifische Heilung bislang nicht möglich ist.
Pathophysiologie der Myasthenia gravis
Acetylcholin (ACh) wird in der neuromuskulären Endplatte (Abb. 461-1, Video 461-1) in den Endigungen der motorischen Nerven gebildet und in Vesikeln gespeichert (Quanten). Sobald ein Aktionspotenzial entlang des motorischen Axons das synaptische Endknöpfchen erreicht, wird aus 150–200 Vesikeln Acetylcholin freigesetzt, das an den Acetylcholinrezeptor auf den Fältelungen der postsynaptischen Membran bindet. Der Acetylcholinrezeptor besteht aus fünf Untereinheiten (2α, 1β, 1δ und 1γ oder ε), die um eine zentrale Pore angeordnet sind. Sobald Acetylcholin an den Bindungsstellen auf dem Acetylcholinrezeptor bindet, öffnen sich Kanäle in den Acetylcholinrezeptor, die einen raschen Eintritt von Kationen, vor allem Natrium, erlauben, die wiederum eine Depolarisation der Endplattenregion der Muskelfaser hervorrufen. Sobald die Depolarisation ausreichend groß ist, löst sie ein Aktionspotenzial aus, das sich entlang der Muskelfaser ausbreitet und die Muskelkontraktion auslöst. Dieser Prozess wird rasch durch Hydrolyse von Acetylcholin mittels der Acetylcholinesterase (AChE) und durch Diffusion des Acetylcholin vom Rezeptor weg beendet.
Abbildung 461-1Diagramm einer neuromuskulären Endplatte beim Gesunden (A) und bei Myasthenie (B). Für die Beschreibung der normalen neuromuskulären Übertragung siehe Text. Bei Myasthenia gravis zeigt die neuromuskuläre Endplatte eine normale Nervenendigung, eine reduzierte Anzahl von Acetylcholinrezeptoren (AChR) (getüpfelt), abgeflachte und rarefizierte postsynaptische Fältelungen und einen erweiterten synaptischen Spalt. Siehe auch Video 461-1. (Nach DB Drachman: N Engl J Med 330:1797, 1994; mit frdl. Genehmigung.)
Der grundlegende Defekt der Myasthenia gravis ist eine antikörpervermittelte Reduktion der Anzahl von verfügbaren Acetylcholinrezeptoren auf der postsynaptischen Muskelmembran. Daneben sind die postsynaptischen Fältelungen abgeflacht und strukturell vereinfacht. Diese Veränderungen führen zu einer reduzierten Effizienz der neuromuskulären Übertragung. Obwohl Acetylcholin normal freigesetzt wird, können daher nur noch kleine Endplattenpotenziale ausgelöst werden, die meist nicht ausreichen, um ein Muskelaktionspotenzial auszulösen. Ein Versagen der Transmission an vielen neuromuskulären Übertragungsstellen führt zur Abnahme der Muskelkontraktion.
Die Menge des pro Nervenimpuls freigesetzten Acetylcholins verringert sich normalerweise bei wiederholter Aktivität (präsynaptische Erschöpfung). Bei Myastheniepatienten führt die verringerte Effizienz der neuromuskulären Transmission in Kombination mit der normalen präsynaptischen Erschöpfung zu einer Aktivierung von immer weniger Muskelfasern durch rasch aufeinanderfolgende Nervenimpulse und somit einer zunehmenden Schwäche oder myasthenen Erschöpfung. Dieser Mechanismus ist auch für die Antwort in Form eines Dekrements bei repetitiver Nervenstimulation, wie es bei elektrophysiologischer Testung gesehen werden kann, verantwortlich.
Die neuromuskulären Veränderungen der Myasthenia gravis werden durch eine Autoimmunreaktion hervorgerufen, die bei 80–85 % der Patienten durch spezifische Anti-AChR-Antikörper vermittelt wird. Die Anti-AChR-Antikörper reduzieren die Zahl der verfügbaren Acetylcholinrezeptoren an der neuromuskulären Endplatte durch drei verschiedene Mechanismen: (1) einen beschleunigten Turnover der AChR durch Mechanismen, die eine antikörpervermittelte Vernetzung und rasche Endozytose der Rezeptoren beinhalten, (2) eine Schädigung der postsynaptischen Muskelmembran durch die Antikörper in Verbindung mit Komplementaktivierung und (3) eine Blockade der aktiven Bindungsstelle des AChR, an der ACh normalerweise bindet. Auch eine Immunreaktion gegen die muskelspezifische Tyrosinkinase (MuSK) kann zu einer Myasthenia gravis führen, indem die Struktur des AChR-Proteinkomplexes gestört wird. Anti-MuSK-Antikörper treten bei etwa 5 % der Patienten mit Myasthenia gravis ohne AChR-Antikörper auf. Ein kleiner Teil der Patienten, die weder Antikörper gegen AChR noch gegen MuSK aufweisen, haben Antikörper gegen andere Proteine der AChR-Komplexes, wie low-density lipoprotein receptor-related Protein 4 (Lrp4) oder Agrin, die für die Clusterbildung von ACh-Rezeptoren verantwortlich sind. Die pathogenen Antikörper gehören zur IgG-Klasse und werden T-Zell-abhängig gebildet. Deshalb sind immuntherapeutische Strategien, die gegen die antikörperbildenden B-Zellen oder gegen T-Zellen gerichtet sind, ein effektiver Therapieansatz bei dieser antikörpervermittelten Erkrankung.
Wie die Autoimmunantwort bei der Myasthenia gravis angestoßen und unterhalten wird, ist nicht komplett verstanden. Allerdings scheint der Thymus eine Rolle bei diesem Prozess zu spielen. Er ist bei ungefähr 75 % der Patienten mit AChR-Antikörper-positiver Myasthenia gravis histopathologisch auffällig. Bei ungefähr 65 % zeigt sich eine Thymushyperplasie mit in der histologischen Untersuchung vorhandenen aktiven Keimzentren, ohne dass die hyperplastische Thymusdrüse dabei unbedingt vergrößert erscheinen muss. Weitere 10 % der Patienten weisen echte Thymustumoren (Thymome) auf. „Muskelähnliche“ Zellen innerhalb des Thymus (so genannte myoide Zellen), die Acetylcholinrezeptoren auf ihrer Oberfläche tragen, dienen möglicherweise als Autoantigenquelle und als Auslöser für die Autoimmunreaktion innerhalb der Thymusdrüse.
Klinisches Bild der Myasthenia gravis
Die Myasthenia gravis ist keine seltene Erkrankung. Sie weist eine Prävalenz von mindestens 1 : 7500 auf und betrifft Individuen aller Altersgruppen. Am höchsten ist die Inzidenz bei Frauen in der 2. und 3. Lebensdekade sowie bei Männern in der 5. und 6. Lebensdekade. Frauen sind insgesamt häufiger betroffen als Männer, das Verhältnis beträgt ungefähr 3 : 2. Klinische Hauptsymptome sind Schwäche und abnorme Ermüdbarkeit der Muskeln. Das Wesen der Erkrankung, d. h. die belastungsabhängige Schwäche (myasthene Reaktion) sowie Besserung nach einer Ruhephase wurde erstmalig von Friedrich Jolly 1895 an der Berliner Charité beschrieben. Jolly entdeckte ebenfalls zu dieser Zeit den Dekrementeffekt nach serieller Muskelreizung und hielt eine Physostigmintherapie bei der nach ihm benannten Myasthenia gravis pseudoparalytica für sinnvoll, setzte Physostigmin auf Grund von befürchteten Nebenwirkungen allerdings selber nie ein. Der Verlauf der Myasthenia gravis ist häufig variabel. Verschlechterungen und Remissionen können insbesondere in den ersten Krankheitsjahren vorkommen, wobei Remissionen jedoch selten vollständig oder von Dauer sind. Sporadische Infektionen, systemische Erkrankungen, Operationen oder Schwangerschaften führen oft zu einer verstärkten myasthenen Schwäche und können einer myasthenen „Krise“ vorausgehen (siehe unten).
Die Verteilung der Muskelschwäche weist ein charakteristisches Muster auf. Die kranialen Muskeln, insbesondere die Augenlider und äußeren Augenmuskeln, sind oft früh betroffen, und Diplopie und Ptosis sind häufige Erstbeschwerden. Die faziale Schwäche führt zu einem eher abweisenden Gesichtsausdruck, wenn der Patient versucht, zu lächeln. Eine Schwäche der Kaumuskulatur zeigt sich am deutlichsten nach längerer Belastung, wie beim Kauen von Fleisch. Das Sprechen kann durch die Schwäche des weichen Gaumens näselnd werden oder infolge der Zungenschwäche eine dysarthrische, nuschelnde Qualität annehmen. Als Folge der Schwäche von Gaumen, Zunge oder Pharynx können Schluckstörungen auftreten, die zu einer nasalen Regurgitation oder Aspiration von Flüssigkeiten oder fester Nahrung führen. Die bulbäre Schwäche ist insbesondere bei MuSK-AK-positiver Myasthenie führend. Bei ungefähr 85 % der Patienten generalisiert die Schwäche und betrifft zusätzlich die Extremitätenmuskeln. Bleibt die Schwäche über 3 Jahre auf die (extra-)okuläre Muskulatur beschränkt, ist eine Generalisierung der Symptomatik eher unwahrscheinlich; diese Patienten weisen eine okuläre Myasthenia gravis auf. Die Extremitätenschwäche bei Myasthenia gravis ist oft proximal betont und manchmal asymmetrisch verteilt. Trotz der Muskelschwäche sind die Muskeleigenreflexe erhalten. Wird die Schwäche der Atemmuskulatur so stark, dass eine Atemunterstützung erforderlich wird, spricht man von einer myasthenen Krise. Die Myasthenia gravis wird dem Vorschlag der Myasthenia gravis Foundation of America (MGFA) folgend heute allgemein nach dem maximal erreichten Schwere- bzw. Ausbreitungsgrad klassifiziert. Klasse I: auf die Augenmuskeln beschränkte Form; Klasse II: leichte generalisierte Form; Klasse III: mäßige generalisierte Form; Klasse IV: schwere generalisierte Form und Klasse V: myasthene Krise. Die Klassen II–IV werden in eine A-Subgruppe (Betonung der Extremitäten und/oder Gliedergürtel) und B-Subgruppe (Beteiligung der oropharyngealen und/oder der Atemmuskulatur) unterteilt.
Diagnostik und Untersuchung der Myasthenia gravis
(Tab. 461-1) Die Verdachtsdiagnose wird bei einer Schwäche und rascher Ermüdbarkeit (myasthene Reaktion) der typischerweise betroffenen oben beschriebenen Muskelgruppen ohne Reflexverlust oder Beeinträchtigung der Sensibilität oder anderer neurologischer Funktionen gestellt. Sie sollte immer definitiv bestätigt werden, bevor eine Therapie eingeleitet wird, da (1) andere behandelbare Erkrankungen der Myasthenia gravis sehr ähnlich sein können und (2) die Therapie der Myasthenia gravis eine chirurgische Intervention und eine langfristige Anwendung von Medikamenten mit unerwünschten Nebenwirkungen umfassen kann.
Anti-Acetylcholinrezeptor-Antikörper und Anti-MuSK-Antikörper
Wie oben erwähnt, sind Anti-AChR-Antikörper im Serum von ungefähr 85 % aller Myastheniepatienten nachzuweisen, allerdings nur zu etwa 50 % bei Patienten mit auf die äußeren Augenmuskeln begrenzter Schwäche. Der Nachweis von Anti-AChR-Antikörpern ist grundsätzlich beweisend für eine Myasthenia gravis, wobei ein negativer Test die Erkrankung nicht ausschließt. Die ermittelten Titer der Anti-AChR-Antikörper korrespondieren bei den jeweiligen Patienten nicht gut mit der Schwere der Myasthenia gravis, allerdings korreliert ein behandlungsinduzierter Abfall des Antikörpertiters oft mit einer klinischen Verbesserung, während bei Exazerbationen häufig ein Titeranstieg beobachtet werden kann. Bei bis zu 40 % der AChR-Antikörper-negativen Patienten mit generalisierter Myasthenie werden Antikörper gegen MuSK gefunden. MuSK-Antikörper kommen selten auch bei Patienten mit positiven AChR-Antikörpern und nur äußerst selten bei Patienten mit rein okulärer Myasthenie vor. Ein kleiner Teil der Patienten ohne Antikörper gegen AChR oder MuSK hat Antikörper gegen Lrp4 oder Agrin, wobei bislang noch kein kommerzieller Test auf diese Antikörper verfügbar ist. Antikörper gegen MuSK, Lrp4 und Agrin können die Clusterbildung von ACh-Rezeptoren an der neuromuskulären Endplatte stören. Vermutlich gibt es noch weitere, bislang unerkannte Antikörper, welche die neuromuskuläre Transmission behindern.
Elektrophysiologische Untersuchung bei Myasthenia gravis
Die repetitive Nervenstimulation liefert oft stützende diagnostische Befunde für die Myasthenia gravis. ACh-Esterasehemmer sollten 6–24 Stunden vor der Durchführung des Tests abgesetzt werden. Am besten testet man klinisch betroffene Muskeln oder proximale Muskelgruppen. Die elektrischen Stimuli werden mit einer Frequenz von 2 oder 3 Hz auf die entsprechenden Nerven gegeben und die Summenaktionspotenziale der entsprechenden Muskeln aufgezeichnet. Normalerweise ändert sich die Amplitude des evozierten Muskelantwortpotenzials bei dieser Reizfrequenz nicht. Bei myasthenen Patienten hingegen tritt eine rasche Reduktion der Amplitude der evozierten Reizantworten von mehr als 10–15 % auf (Dekrement). Zusätzlich kann eine Einzeldosis Edrophonium (siehe unten) gegeben werden, um das Ausmaß des Dekrements aufzuheben oder zu reduzieren.
Cholinesterasehemmtest bei Myasthenia gravis
Das Enzym Acetylcholinesterase inhibierende Medikamente erlauben eine wiederholte Wechselwirkung von Acetylcholin mit der limitierten Anzahl der Acetylcholinrezeptoren, was zu einer Verbesserung der Kraft von myasthenen Muskeln führt. Am häufigsten wird Edrophonium verwendet, da es einen schnellen Wirkungsbeginn (30 s) und eine kurze Wirkungsdauer (~5 min) besitzt. Zur Beurteilung der Edrophoniumwirkung muss ein objektivierbarer Parameter ausgewählt werden. Der Untersucher sollte sich auf klinisch objektiv befallene Muskelgruppen konzentrieren. Sinnvolle Parameter sind z. B. das Ausmaß der Schwäche von extraokulären Muskeln, eine Beeinträchtigung des Sprechens oder die maximale Dauer, für die ein Patient seine Arme nach vorn ausgestreckt halten kann. Initial wird Edrophonium in einer Dosis von 2 mg intravenös gegeben. Falls eine definitive Verbesserung erfolgt, wird der Test als positiv angesehen und beendet. Falls sich keine Änderung ergibt, werden dem Patienten weitere 8 mg intravenös verabreicht. Die Dosis wird fraktioniert gegeben, da manche Patienten mit unangenehmen Nebenwirkungen, wie Übelkeit, Diarrhö, Hypersalivation, Faszikulationen sowie seltener mit Synkopen und Bradykardien, reagieren. Atropin (0,5–1 mg) sollte aufgezogen zur intravenösen Anwendung bei gravierenden Nebenwirkungen bereitliegen.
Falsch positive Tests kommen vereinzelt bei Patienten mit anderen neurologischen Erkrankungen, wie amyotropher Lateralsklerose, und bei placebosensitiven Personen vor. Auch falsch negative oder nicht interpretierbare Tests sind möglich. Gelegentlich ist es hilfreich, ein länger wirksames Medikament, wie Neostigmin (15 mg p.o.) oder auch Pyridostigmin (10–60 mg p.o.), zu verwenden, da es mehr Zeit für eine detaillierte Evaluation der Muskelkraft gewährt. Der Edrophoniumtest ist bei Patienten mit myasthenieverdächtigen klinischen Symptomen, jedoch negativem AK-Status und unklaren elektrophysiologischen Befunden indiziert. In fast allen Fällen sollten weitere Untersuchungen erfolgen, um die Diagnose der Myasthenia gravis definitiv zu stellen. Edrophoniumchlorid (früher Tensilon®, jetzt Camsilon®, Enlon®), der intravenös zu verabreichende AChE-Hemmstoff mit der kürzesten Halbwertszeit, ist in Deutschland nur über internationale Apotheken erhältlich.
Hereditäre myasthene Syndrome
Die kongenitalen myasthenen Syndrome sind eine heterogene Gruppe von Erkrankungen der neuromuskulären Endplatte, die nicht autoimmunologisch, sondern durch Mutationen bedingt sind, die fast alle Komponenten der neuromuskulären Endplatte betreffen können. Den unterschiedlichen Formen der kongenitalen myasthenen Syndrome liegen Veränderungen an der präsynaptischen Nervenendigung sowie in den verschiedenen Untereinheiten des Acetylcholinrezeptors, der Acetylcholinesterase oder anderen, an der Entwicklung oder dem Unterhalt der motorischen Endplatte beteiligten Moleküle zugrunde. Die Erkrankungen haben viele klinische Befunde mit der autoimmun vermittelten Myasthenia gravis gemeinsam, einschließlich der Schwäche und der Ermüdbarkeit (myasthene Reaktion) der Skelettmuskulatur. Manchmal sind die extraokulären Muskeln (EOM), die Augenlider und die proximalen Muskeln einbezogen, ähnlich dem Verteilungsmuster bei autoimmun vermittelter Myasthenia gravis. Ein kongenitales myasthenes Syndrom sollte bei Symptombeginn einer Myasthenie im Kleinkindalter oder in der Kindheit und wiederholt negativen Acetylcholinrezeptor-Antikörpertests vermutet werden. Die weitaus häufigsten genetischen Defekte betreffen den ACh-Rezeptor oder andere postsynaptische Moleküle (67 % in einer Serie der Mayo Clinic mit 350 CMS-Patienten), die mit etwa gleicher Häufigkeit die ACh-Esterase (13 %) oder verschiedene Moleküle (DOK7, GFPT usw.; ~14 %) mit Erhaltungsfunktion für die neuromuskuläre Endplatte betreffen. Bei den Formen, die den Acetylcholinrezeptor betreffen, wurden zahlreiche Mutationen in jeder der Untereinheiten identifiziert, wobei in 75 % der Fälle die ε-Untereinheit betroffen ist. Bei den meisten rezessiven myasthenen Syndromen sind die Mutationen heteroallel, das heißt, es sind unterschiedliche Mutationen beider Allele vorhanden. Das klinische Bild der vier häufigsten Formen der kongenitalen myasthenen Syndrome wird in Tabelle 461-2 zusammengefasst. Obwohl klinische, elektrophysiologische und pharmakologische Tests auf die korrekte Diagnose hinweisen können, sind bestimmte elektrophysiologische und molekulare Untersuchungen für den exakten Nachweis des zugrunde liegenden Defekts erforderlich. Danach können Therapie und genetische Beratung erfolgen.
Differenzialdiagnostik der Myasthenia gravis
Andere Erkrankungen, die eine Schwäche der kranialen und/oder Skelettmuskulatur verursachen, sind die nicht autoimmunen kongenitalen myasthenen Syndrome, wie oben dargestellt, die arzneimittelinduzierte Myasthenie, das Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS), die Neurasthenie, die Hyperthyreose (Basedow-Krankheit), der Botulismus, intrakranielle Raumforderungen, okulopharyngeale Dystrophie und mitochondriale Myopathie (Kearns-Sayre-Syndrome, Ophthalmoplegia progressiva externa). Eine Therapie mit Penicillamin (bei Sklerodermie oder rheumatoider Arthritis) kann eine echte Myasthenia gravis verursachen, die Schwäche ist jedoch meist mild und innerhalb von Wochen oder Monaten nach Therapieende tritt eine Besserung auf. Aminoglykoside und Procainamid, aber auch die häufig eingesetzten Statine können bei Myastheniepatienten zur Exazerbation der Muskelschwäche führen; sehr hohe Dosen können auch bei normalen Individuen eine neuromuskuläre Störung hervorrufen.
Beim Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS) handelt es sich um eine präsynaptische Erkrankung der neuromuskulären Endplatte, die eine ähnliche Schwäche wie bei Myasthenia gravis verursachen kann. Meistens sind die proximalen Muskeln der unteren Extremitäten betroffen, wobei auch andere Muskeln befallen sein können. Auffälligkeiten der Hirnnervenfunktionen, einschließlich Ptosis und Doppelbilder, kommen bei bis zu 70 % der Patienten vor und ähneln den Symptomen der Myasthenia gravis. Dabei sind die beiden Erkrankungen leicht zu unterscheiden, da LEMS-Patienten ein reduziertes Reflexniveau oder fehlende Muskeleigenreflexe haben und autonome Veränderungen, wie Mundtrockenheit und Impotenz, aufweisen. Die elektrophysiologische Diagnostik zeigt auch beim Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom zunächst ein pathologisches Dekrement des evozierten Muskelantwortpotenzials bei Nervenreizung mit 3 Hz. Anders als bei Myasthenia gravis ist dabei die Ausgangsamplitude des Muskelantwortpotenzials, insbesondere von distalen Muskeln, bereits relativ klein (präsynaptische Störung der neuromuskulären Endplatte, Freisetzung einer reduzierten Anzahl von ACh-Quanten pro Impuls). Im Gegensatz zur Myasthenia gravis findet man bei hochfrequenter repetitiver Nervenreizung (50–60 Hz, Inkrementtest) oder in der Neurografie unmittelbar nach maximaler Willkürinnervation des paretischen Muskels ein Inkrement der Amplitude von 100 % und mehr. Das Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndromwird durch Autoantikörper verursacht, die gegen den Kalziumkanal vom P/Q-Typ der motorischen Nervenendigung gerichtet sind und bei etwa 85 % der LEMS-Patienten mittels Radioimmunoassay nachgewiesen werden. Diese Autoantikörper vermindern die ACh-Freisetzung aus der Nervenendigung. Etwa 50–60 % der LEMS-Patienten haben eine assoziierte Neoplasie, meist ein kleinzelliges Bronchialkarzinom, das Kalziumkanäle exprimieren und damit die Immunantwort stimulieren kann. Bei diesen Patienten liegt eine paraneoplastische LEMS-Erkrankung vor.Die Diagnose eines Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndroms kann lange vor der eigentlichen Tumordiagnose auf das Vorliegen eines Tumors hinweisen und so eine Früherkennung ermöglichen. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen über die ersten 5 Jahre nach Diagnose eines LEMS sind daher notwendig. Die verbleibenden 40–50 % der LEMS-Patienten werden als Autoimmunerkrankung betrachtet. Die Behandlung dieser neuromuskulären Erkrankung umfasst, wie bei der Myasthenia gravis, die Plasmapherese und Immunsuppression. Eine symptomatische Therapie mit 3,4-Diaminopyridin (3,4-DAP) und Pyridostigmin kann beim Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom hilfreich sein. 3,4-DAP wirkt über die Blockade von Kaliumkanälen, was zu einer verlängerten Depolarisation an den motorischen Nervenendigungen führt und somit die Freisetzung von Acetylcholin begünstigt. Pyridostigmin verlängert die ACh-Wirkung, was eine vermehrte Wechselwirkung mit dem ACh-Rezeptor gestattet.
Das klinische Bild des Botulismus (Kap. 178) ist Folge einer bakteriellen Toxinwirkung von einem der acht Stämme von Clostridium botulinum. Das Toxin spaltet enzymatisch bestimmte Proteine, die für die Freisetzung von Acetylcholin aus den motorischen Nervenendigungen essenziell sind und stört so die neuromuskuläre Übertragung. Am häufigsten tritt Botulismus durch Verzehr unzureichend zubereiteter toxinhaltiger Nahrungsmittel auf. Seltener gelangen die ubiquitär vorkommenden Sporen von C. botulinum in Wunden. Bei Säuglingen können die Sporen den Gastrointestinaltrakt besiedeln und Toxin freisetzen, sodass es zur Muskelschwäche kommt. Die Patienten zeigen eine myastheniforme Bulbärschwäche (z. B. Diplopie, Dysarthrie, Dysphagie) ohne sensible Symptome. Die Schwäche kann unter Beteiligung der Extremitäten generalisieren und zur respiratorischen Insuffizienz führen; das Reflexniveau kann bei Fortschreiten der Erkrankung abnehmen. Eine mentale Beeinträchtigung tritt nicht auf. Autonome Störungen umfassen den paralytischen Ileus, Verstopfung, Harnverhalt, dilatierte oder kaum reagible Pupillen und eine Mundtrockenheit. Der Toxinnachweis im Serum im Bioassay ist beweisend, kann jedoch negativ ausfallen; außerdem dauert die Bestimmung sehr lange. Die neurophysiologischen Untersuchungen geben Hinweise auf eine präsynaptische neuromuskuläre Überleitungsstörung mit verminderter Amplitude des Muskelaktionspotenzials, die jedoch bei hochfrequenter repetitiver Stimulation ansteigt (Inkrement). Die Behandlung des Botulismus erfolgt durch Unterstützung der Ventilation und eine intensivierte stationäre Behandlung (z. B. Ernährung, Prophylaxe der tiefen Beinvenenthrombose, maschinelle Beatmung). Das Antitoxin sollte so früh wie möglich gegeben werden. Für hochrisikoexponierte Personen ist eine Impfung erhältlich.
Neurasthenie ist der historische Begriff für ein Myasthenie-ähnliches Erschöpfungssyndrom, für das man keine organische Ursache findet. Betroffene können sich mit subjektivem Empfinden von Schwäche und Ermüdbarkeit präsentieren. Beim Testen der Muskulatur zeigt sich aber gewöhnlich ein ruckweises oder plötzliches Nachlassen der Kraft bei wechselnder Innervation, das für nicht organische Störungen charakteristisch ist. Ursache der Beschwerden ist bei diesen Patienten eher eine allgemeine Müdigkeit oder Apathie als eine nachlassende Muskelkraft bei wiederholter Betätigung. Eine Hyperthyreose wird anhand der Schilddrüsenfunktionswerte diagnostiziert oder ausgeschlossen, die routinemäßig bei Patienten mit vermuteter Myasthenia gravis bestimmt werden sollten. Störungen der Schilddrüsenfunktion (Hyper- oder Hypothyreose) können eine myasthene Schwäche verstärken. Eine Diplopie, die die Symptome einer Myasthenia gravis imitiert, kann gelegentlich infolge einer intrakraniellen Raumforderung auftreten, die die Nerven zur extraokulären Muskulatur (EOM) komprimiert (z. B. Keilbeinflügelmeningeom), wobei eine Magnetresonanztomografie (MRT) von Schädel und Orbitae eine derartige Läsion gut darstellen kann.
Die chronisch progressive externe Ophthalmoplegie (CPEO) ist eine seltene Erkrankung, die zur Schwäche der extraokulären Muskeln führt, und von einer Schwäche der proximalen Extremitätenmuskeln und anderen systemischen Krankheitszeichen begleitet werden kann. Diese Patienten haben genetisch bedingte mitochondriale Erkrankungen, die häufig bei einer Muskelbiopsie bzw. einer genetischen Untersuchung nachgewiesen werden können (Kap. 462e).
Suche nach Begleiterkrankungen bei Myasthenia gravis
(Tab. 461-3) Myasthenie-Patienten haben eine erhöhte Inzidenz für mehrere Begleiterkrankungen. Bei ungefähr 75 % der AChR-Antikörper-positiven Patienten treten Veränderungen des Thymus auf (siehe oben). Die Thymushyperplasie ist eine histologische Diagnose und besitzt in der Regel kein radiologisches Korrelat. Neoplasien (Thymome) können zu einer Thymusvergrößerung führen, die mittels kontrastmittelunterstützter Computertomografie (CT) oder MRT des vorderen Mediastinums dargestellt werden kann. Ein in der CT abgrenzbarer Thymus ist normalerweise bis zum jungen Erwachsenenalter vorhanden, wobei eine Thymusvergrößerung bei Patienten über 40 Jahren verdächtig auf ein Thymom ist. Eine Hyperthyreose kommt bei 3–8 % der Patienten vor und kann die myasthene Schwäche verstärken, weswegen Schilddrüsenfunktionstests durchgeführt werden sollten. Aufgrund der Assoziation der Myasthenia gravis mit anderen Autoimmunerkrankungen sollten bei allen Patienten Blutuntersuchungen auf Rheumafaktoren und antinukleäre Antikörper durchgeführt werden. Chronische Entzündungen jeglicher Ursache können eine Myasthenia gravis verstärken und sollten sorgfältig ausgeschlossen werden. Schließlich sind Messungen der Lungenfunktion aufgrund der Häufigkeit und Schwere von Atemstörungen bei Myasthenie-Patienten wichtig.
Aufgrund der Nebenwirkungen von Glukokortikoiden und anderer Immunsuppressiva, die zur Behandlung der Myasthenia gravis eingesetzt werden, sollte gründlich nach Hinweisen auf chronische oder latente Infektionen (z. B. Tuberkulose oder Hepatitis), auf eine arterielle Hypertonie, einen Diabetes mellitus, eine Niereninsuffizienz und ein Glaukom gesucht werden.
Behandlung: Myasthenia gravis
Die Prognose hat sich durch therapeutische Fortschritte wesentlich verbessert. Die meisten Myastheniepatienten können unter adäquater Therapie zu einem aktiven Leben zurückkehren. Die effektivsten Therapieansätze der Myasthenia gravis sind die Gabe von Cholinesterasehemmern und Immunsuppressiva, die Thymektomie, die Plasmapherese und die intravenöse Gabe von Immunglobulinen (IVIg) (Abb. 461-2).
Cholinesterasehemmer
Cholinesterasehemmer, 1934 erstmalig durch Mary Walker mit Physostigmin bei der Myasthenia gravis erfolgreich eingesetzt,führen bei den meisten Myastheniepatienten zu einer zumindest partiellen Besserung, eine vollständige Remission tritt darunter jedoch nur selten auf. Patienten mit einer Anti-MuSK-Antikörper positiven Myasthenia gravis profitieren in der Regel weniger von ACh-Esterasehemmern als Patienten mit AChR-Antikörpern. Es gibt keinen grundlegenden Unterschied der Effizienz zwischen den verschiedenen die ACh-Esterase hemmenden Substanzen. Oral appliziertes Pyridostigmin ist die in den USA und Europa am häufigsten verwendete Substanz. Die positive Wirkung von oral verabreichtem Pyridostigmin setzt in der Regel innerhalb von 15–30 Minuten ein und hält für 3–5 Stunden an, allerdings mit erheblichen Schwankungen im Einzelfall. Die Behandlung beginnt mit einer moderaten Dosis, z. B. von initial 3–4 x 30–60 mg/d, die auf jeweils 60-mg-Gaben gesteigert werden kann. Einnahmefrequenz und Dosishöhe sollten auf die jeweiligen Bedürfnisse des Patienten im Tagesverlauf angepasst werden. So können Patienten mit Schwäche beim Kauen und Schlucken davon profitieren, die Medikation vor den Mahlzeiten einzunehmen, sodass das Wirkungsmaximum mit der Mahlzeit zusammenfällt. Retardierte Pyridostigmintabletten (Wirkdauer bis 6–12 h) sind insbesondere zur Überbrückung der Nacht hilfreich, können aber auch zur Reduktion der Einnahmefrequenz der unretardierten Pyridostigmintabletten sinnvoll eingesetzt werden. Eine tägliche Gesamtdosis von mehr als 600–700 mg Pyridostigmin (in drei- bis sechsstündlichen Einzeldosen) ist nur in Einzelfällen sinnvoll. Patienten, die Pyridostigmin nicht vertragen, sprechen teilweise auf Ambenonium an, das in Deutschland jedoch nur über internationale Apotheken erhältlich ist. Eine Überdosierung von ACh-Esterasehemmern kann eine verstärkte Schwäche und andere Nebenwirkungen hervorrufen. Bei manchen Patienten können die muskarinergen Nebenwirkungen der ACh-Esterasehemmer (Diarrhö, abdominelle Krämpfe, Hypersalivation, Übelkeit) die tolerierte Dosis limitieren. Atropin, Diphenoxylat oder Loperamid sind zur Therapie von gastrointestinalen Nebenwirkungen nützlich.
Thymektomie
Zwei separate Punkte sollten unterschieden werden: (1) die operative Entfernung eines Thymoms und (2) die Thymektomie als Therapie der Myasthenia gravis. Die operative Entfernung eines Thymoms ist aufgrund der Möglichkeit einer lokalen Tumorausbreitung notwendig, obwohl die meisten Thymome gutartig sind. Ist kein Tumor vorhanden, legt die verfügbare Datenlage nahe, dass sich die Krankheit bei bis zu 85 % der Patienten nach einer Thymektomie bessert, insbesondere wenn die Entfernung der Thymusdrüse im frühen Verlauf der Erkrankung (< 2 Jahre) erfolgt. Davon erreichen etwa 35 % eine Remission ohne Medikamente. Allerdings tritt diese Verbesserung typischerweise erst einige Monate bis Jahre später auf. Der Vorteil der Thymektomie liegt darin, dass prinzipiell eine lang anhaltende Besserung möglich ist, die eine Reduktion oder ein Absetzen der medikamentösen Langzeittherapie ermöglicht. Ein Review der veröffentlichten Studien zeigte, dass sich die Patienten nach einer Thymektomie mit einer um den Faktor 1,7 höheren Wahrscheinlichkeit besserten und doppelt so häufig eine Remission erreichten als diejenigen ohne Thymektomie. Angesichts dieses potenziellen positiven Effekts und des vernachlässigbaren Risikos bei einem erfahrenen Operateur ist die Thymektomie ein weithin akzeptierter Bestandteil der Myasthenia-gravis-Therapie. Es besteht Übereinkunft, dass eine Thymektomie bei allen Patienten mit generalisierter Myasthenie im Alter zwischen der Pubertät und bis zu mindestens 55 Jahren durchgeführt werden sollte. Ob eine Thymektomie für Kinder, Erwachsene jenseits von 55 Jahren und für Patienten mit einer auf die Augenmuskeln beschränkten Beteiligung empfohlen werden soll, ist noch immer Gegenstand von Diskussionen. Im Gegensatz zu Patienten mit AChR-Antikörpern sprechen Patienten mit einer MuSK-Antikörper-positiven Myasthenia gravis nicht oder schlechter auf eine Thymektomie an. Eine Thymektomie muss in jedem Fall in einem erfahrenen Zentrum durchgeführt werden, wo das Personal in der prä- und postoperativen Behandlung, Anästhesie und chirurgischen Technik der Thymektomie und der ggf. notwendigen Nachversorgung (höhergradiger Thymome) routiniert ist. Eine Thymektomie sollte nicht notfallmäßig, sondern nur bei ausreichend vorbereiteten Patienten durchgeführt werden. Dazu kann eine präoperative Behandlung mit intravenösen Immunglobulinen (IVIg), Plasmapherese oder Immunadsorption notwendig sein. Glukokortikoide in höheren Dosierungen oder Langzeit-Immunsuppressiva sollten sofern möglich vermieden werden, weil sie das Infektionsrisiko erhöhen können. Die endoskopische (roboterassistierte) Thymektomie gewinnt zunehmend an Bedeutung, da sie im Vergleich zu offenen Operationsverfahren deutlich schonender ist. Große vergleichende prospektive Studiendaten zwischen den verschiedenen Operationsverfahren fehlen allerdings.
Immunsuppression
Eine Immunsuppression ist bei fast allen Myasthenia-gravis-Patienten wirksam. Die Auswahl der Medikamente für die immunmodulatorische Therapie sollte durch den relativen Nutzen und das Risiko für den individuellen Patienten sowie von der Dringlichkeit der Behandlung abhängig gemacht werden. Dabei sollte ein Behandlungsplan entwickelt werden, der kurzfristige, intermediäre und langfristige Ziele berücksichtigt. Falls eine sofortige Verbesserung aufgrund des Ausmaßes der Schwäche oder individueller Erfordernisse des Patienten angestrebt wird, können intravenöse Immunglobuline (IVIg) gegeben oder eine Plasmapherese durchgeführt werden. Mittelfristig führen Glukokortikoide bzw. Ciclosporin und Tacrolimus (keine Zulassung in Deutschland) gewöhnlich innerhalb von 1–4 Wochen bzw. 3–6 Monate zu einer klinischen Verbesserung. Die positiven Wirkungen von Azathioprin und Mycophenolatmofetil setzen in der Regel etwas verzögert nach mehreren Monaten (12–18 Monaten) ein, allerdings haben diese Medikamente Vorteile in der Langzeitbehandlung von Myasthenie-Patienten. Für Patienten, die trotz optimaler konventioneller Immunsuppression therapierefraktär sind, kommt insbesondere eine Therapie mitdem CD20-Antikörper Rituximab in Betracht. In sehr seltenen Ausnahmefällen können eine Cyclophosphamid-Hochdosistherapie und als Ultima Ratio eine Knochenmarktransplantation sinnvoll sein.
Glukokortikoide (Prednison, Prednisolon, Methylprednisolon) bessern bei den meisten Patienten die Myasthenie und helfen aufgrund ihres relativ raschen Wirkungseintritts, die Zeit bis zur Wirksamkeit weiterer immunsuppressiver Medikamente zu überbrücken. Zur Reduktion von Nebenwirkungen sollte Prednison als Einmaldosis und nicht in mehrere Dosen über den Tag verteilt verabreicht werden. Die initiale Prednisondosis sollte relativ niedrig sein (15–25 mg/d), da bei etwa einem Drittel der Patienten bei initialer Hochdosis eine zunächst eine wenige Tage anhaltende zunehmende Schwäche (sogenannter Steroid-Dip) auftritt, die bis zur myasthenen Krise führen kann. Die Dosis wird schrittweise, wie vom Patienten toleriert (meist um 5 mg/d in 2- bis 3-tägigen Intervallen), erhöht, bis sich eine deutliche klinische Besserung einstellt oder eine Tagesdosis von 50–60 mg erreicht ist. Diese Dosis wird für 1–3 Monate beibehalten und dann allmählich auf ein Regime mit einer alternierenden Einnahme jeden zweiten Tag über die Zeit von weiteren 1–3 Monaten umgestellt. Das Ziel ist die Dosisreduktion am „steroidfreien Tag“ auf Null oder eine minimale Höhe. Meistens bessert sich das Befinden der Patienten innerhalb von einigen Wochen nach Erlangen der Maximaldosis, und diese Verbesserung schreitet dann über Monate oder Jahre fort. Die Prednisondosis kann allmählich reduziert werden (in Abhängigkeit vom klinischen Bild und der potenziellen Wirksamkeit der begleitenden Immunsuppressiva), gewöhnlich werden aber unter engmaschiger Verlaufsbeobachtung Monate oder selten auch Jahre benötigt, um die minimale effektive Dosis zu finden. Einige wenige Patienten kommen ganz ohne Immunsuppressiva aus. Zur Prävention oder Behandlung von Nebenwirkungen müssen Patienten unter Glukokortikoidlangzeitherapie sorgfältig überwacht werden. Die häufigsten Fehler bei der Steroidtherapie von Myastheniepatienten sind (1) eine initial zu hohe Dosis (cave: Steroid-Dip), (2) ein nicht ausreichend langer Behandlungsversuch – eine Verbesserung kann verzögert und allmählich auftreten, (3) zu frühes, zu schnelles oder zu starkes Ausschleichen der Steroiddosis und (4) eine fehlende Beachtung der Prävention und Therapie von Nebenwirkungen. Die Betreuung von Patienten unter Glukokortikoidtherapie wird in Kapitel 406 besprochen.
Glukokortikoid-sparende Immunsuppressiva
Azathioprin, Mycophenolat Mofetil, Methotrexat, Ciclosporin, Tacrolimus und Rituximab sind bei vielen Patienten allein oder in verschiedenen Kombination wirksam. Der Stellenwert von Rituximabals Reservemedikament nimmt stetig zu. Entsprechend den aktuellen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie wird primär für die Langzeitimmunsuppression zur Therapie der Myasthenie der zugelassene Wirkstoff Azathioprin und bei Therapieversagen bzw. Unverträglichkeit von Azathioprin Mycophenolatmofetil eingesetzt.
Azathioprinist aufgrund seiner relativen Sicherheit bei den meisten Patienten das am häufigsten eingesetzte Medikament dieser Gruppe. Seine therapeutische Wirkung kann diejenige der Glukokortikoide verstärken und/oder eine Reduktion der Steroiddosis gestatten. Bis zu 10 % der Patienten vertragen Azathioprin jedoch aufgrund von idiosynkraten Nebenwirkungen nicht, die aus grippeähnlichen Symptomen von Fieber und allgemeinem Krankheitsgefühl, Knochenmarkdepression oder Auffälligkeiten der Leberfunktion bestehen. Eine Initialdosis von 50 mg/d sollte gegeben werden, um Nebenwirkungen auszutesten. Wird diese Dosis toleriert, wird sie schrittweise erhöht, bis die Leukozytenzahl auf ungefähr 3000–4000/μl sinkt. Bei Patienten, die gleichzeitig Glukokortikoide erhalten, schließt eine Leukozytose die Anwendung dieses Parameters aus. Eine Reduktion der absoluten Lymphozytenzahl auf weniger als 1000/μl und/oder ein Anstieg des mittleren korpuskulären Erythrozytenvolumens dient als Indikator für eine laborchemisch wirksame Azathioprin-Dosierung. Die übliche Tagesdosis liegt zwischen 2 und 3 mg/kg Körpergewicht (einschließlich des Fettanteils bei adipösen Patienten). Im Langzeitverlauf ist bei stabiler Klinik ein schrittweiser Reduktionsversuch auf eine Tagesdosis von 1 mg/kg gerechtfertigt. Es dauert in der Regel 12–18 Monate, bis der positive Effekt von Azathioprin einsetzt. Patienten, die Azathioprin einnehmen, sollten niemals gleichzeitig Allopurinol zur Therapie einer Hyperurikämie erhalten, da beide Substanzen einen gemeinsamen Abbauweg benutzen. Die Medikamentenkombination kann zu einer schweren Knochenmarksuppression durch die verstärkte Wirkung des Azathioprins führen. Eine lebensbedrohliche Myelosuppression tritt ebenso bei einem genetischen Mangel der Thiopurin-S-Methyltransferase (TPMT) auf, die Azathioprin verstoffwechselt. Da auch Fälle von Myelosuppression ohne Medikamenteninteraktion oder TPMT-Mangel beschrieben sind, sind regelmäßige Blutbildkontrollen (Ziel Lymphozyten auf 600–1000/µl einstellen), insbesondere innerhalb der ersten Monate nach Einstellung auf Azathioprin, zwingend notwendig. Die Abklärung auf eine genetisch bedingte TPMT-Defizienz kann schon vor Therapiebeginn zu einer Dosisanpassung führen.
Mycophenolatmofetil gilt hinsichtlich der Wirksamkeit in der Myasthenia-gravis-Therapie als vergleichbar mit Azathioprin und wird daher bei Versagen von Azathioprin bzw. nicht tolerierbaren Nebenwirkungen in vielen Ländern, so auch Deutschland, als erste Alternative eingesetzt. Empfohlen ist eine Dosis von 1500–2000 mg/d (in zwei Einzeldosen). Der Wirkungsmechanismus besteht in einer Inhibition der De-novo-Purin-Synthese. Da die Lymphozyten nicht über einen alternativen Purin-Synthese-Mechanismus („salvage pathway“) verfügen, der in allen anderen Zellen vorhanden ist, inhibiert Mycophenolat ausschließlich die Proliferation von Lymphozyten. Dabei bleiben präexistierende autoreaktive Lymphozyten verschont, sodass eine klinische Verbesserung bei Autoimmunerkrankungen wie der Myasthenia gravis mitunter um viele Monate bis zu einem Jahr verzögert auftritt, wenn die präexistierenden autoreaktiven Lymphozyten spontan absterben. Der Vorteil von Mycophenolatmofetil liegt in seiner relativ niedrigen Nebenwirkungsrate, nur gelegentlich treten gastrointestinale Nebenwirkungen und selten eine Leukopenie auf. Außerdem besteht ein sehr geringes Risiko für Malignome oder PML, das im Vergleich zu Azathioprin und Ciclosporin A signifikant geringer ist. Obwohl zwei Studien keine positiven Ergebnisse ermittelten, schreiben die meisten Experten diese negativen Ergebnisse Fehlern im Studiendesign zu, sodass Mycophenolatmofetil inzwischen häufig als Mittel der 2. Wahl zur Langzeitbehandlung der Myasthenia gravis eingesetzt wird.
Die Calcineurin-Inhibitoren Ciclosporin und Tacrolimus (FK506) (Zulassung für Myasthenia gravis in Japan) werden trotz unzureichender Studienergebnisse als ähnlich effektiv wie Azathioprin in der Behandlung der Myasthenia gravis angesehen. Der klinische Effekt tritt rascher ein als bei Azathioprin. Die Substanzen können als Monotherapie gegeben werden, meist werden sie jedoch ergänzend zu Glukokortikoiden zur Reduktion der Steroiddosis verabreicht. Die übliche Ciclosporindosis beträgt initial 3–4 mg/kg/d, im Verlauf 2–2,5 mg/kg/d, Tacrolimus wird in einer Dosis von 0,1 mg/kg/d gegeben. Beide Substanzen werden in zwei gleiche Einzeldosen aufgeteilt, um Nebenwirkungenzu minimieren. Zu den unerwünschten Begleiterscheinungen der Substanzen gehören die arterielle Hypertonie und die Nephrotoxizität, die engmaschig überwacht werden müssen. Die Talblutspiegel werden 12 Stunden nach der Abenddosis gemessen. Der therapeutische Bereich von Ciclosporin beträgt 150–200 ng/l und bei Tacrolimus 5–15 ng/l. In Deutschland werden beide Medikamente zur Therapie der Myasthenie nur selten eingesetzt. Grund dafür sind die im Vergleich zu Azathioprin und Mycophenolatmofetil stärkeren Nebenwirkungen und die regelmäßigen Blutspiegelkontrollen.
Methotrexat inhibiert als Folsäure-Antagonist kompetitiv und reversibel das Enzym Dihydrofolat-Reduktase. Im Vergleich zur Tumortherapie werden deutlich geringere Dosen (5–15 mg/Woche) zur Therapie von Autoimmunerkrankungen eingesetzt. In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurde auch ein Wirksamkeitsnachweis in der Myasthenie-Therapie erbracht. Neben hepatischen und gastrointestinalen Nebenwirkungen können u. a. Lungenfibrose, Blasen- und Nierenschädigungen auftreten. Zur Verhinderung bzw. Minimierung von Nebenwirkungen wird am Tag nach der Methotrexat-Einnahme Folsäure eingenommen.
Rituximab ist ein monoklonaler Antikörper, der gegen das CD20-Molekül der B-Lymphozyten gerichtet ist und für die Behandlung von B-Zell-Lymphomen zugelassen ist. Rituximab wurde erfolgreich bei Autoimmunerkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis, dem Pemphigus sowie IgM-assoziierten Neuropathien eingesetzt. Inzwischen wurde eine Vielzahl von Fallsammlungen zur erfolgreichen Behandlung therapierefraktärer Myasthenie-Patienten mittels Rituximab veröffentlicht. Entgegen der initial veröffentlichten Fälle ist die Effektivität wahrscheinlich nicht abhängig vom Antikörperstatus. Kontrollierte Studienergebnisse zum Nutzen von Rituximab bei Myasthenia gravis fehlen allerdings. Die Gabe erfolgt in der Regel als intravenöse Infusion von 375 mg/m2 im Abstand von 4 Wochen oder als intravenöse Gabe von 1 g im Abstand von 2 Wochen.
Bei Myasthenie-Patienten, die therapierefraktär gegenüber konventionellen Immuntherapeutika, inklusive Rituximab, bleiben, kann ein einzelner hoch dosierter Cyclophosphamid-Zyklus einen lang anhaltenden immunsuppressiven Effekt bewirken. In hohen Dosen eliminiert Cyclophosphamid reife Lymphozyten, während hämatopoetische Vorläuferzellen (Stammzellen) geschont werden, da sie das Enzym Aldehyddehydrogenase exprimieren, das Cyclophosphamid hydrolysiert. Dieses Rebooting genannte Therapieregime sollte ausschließlich therapierefraktären Patienten vorbehalten bleiben und nur in einer Einrichtung durchgeführt werden, die mit einem solchen Vorgehen vertraut ist. Für einen dauerhaften Nutzen ist nach dem Rebooting eine Langzeit-Immuntherapie erforderlich. Die hochdosierte Cyclophosphamidtherapie ist ebenso eine Ultima Ratio wie die autologe Knochenmarktransplantation, die in Einzelfällen erfolgreich durchgeführt wurde.
Plasmapherese und intravenöse Immunglobuline
Die Plasmapherese bzw. Immunadsorption wird akut-therapeutisch bei der Myasthenia gravis eingesetzt. Hierbei wird das Plasma mit den enthaltenen pathogenen Antikörpern mechanisch von den Blutzellen getrennt, die dem Patienten zurückgegeben werden. Meist werden innerhalb von 2 Wochen fünf Austauschbehandlungen (jeweils 3–4 l) durchgeführt. Die Plasmapherese führt zu einer kurzfristigen Reduktion der Anti-AChR-Antikörper mit meist unmittelbarer klinischer Verbesserung. Sie kommt insbesondere bei schwer betroffenen Patienten oder zur Verbesserung der Ausgangssituation der Patienten vor chirurgischem Eingriff (z. B. Thymektomie) zum Einsatz.
Die Indikationen für die Anwendung von intravenösen Immunglobulinen (IVIg) ähneln denen der Plasmaaustauschbehandlung: zur Erzielung eines raschen und wirksamen Therapieeffekts, bei ausgeprägter myasthener Symptomatik oder vor chirurgischem Eingriff. Dieser Therapieansatz hat im Gegensatz zur Plasmapherese den Vorteil, dass keine speziellen Ausrüstungen oder großlumige venöse Zugänge benötigt werden. Die übliche Gesamtdosis beträgt 2 g/kg und wird typischerweise über 5 Tage verabreicht (400 mg/kg/d). Falls gut vertragen, können der IVIg-Zyklus verkürzt und die Gesamtdosis innerhalb von 3–4 Tagen gegeben werden. Bei ungefähr 70 % der Patienten tritt während der Behandlung oder innerhalb der ersten Woche nach Behandlung eine klinische Besserung auf, die vorübergehend ist und Wochen bis Monate anhalten kann. Die Wirkungsmechanismen der IVIg sind nicht bekannt; der Einfluss der Behandlung auf die messbare Menge der zirkulierenden AChR-Antikörper variiert. Nebenwirkungen sind selten und meist nicht schwerwiegend. Sie umfassen Kopfschmerzen, Überwässerung und selten eine aseptische Meningitis oder ein akutes Nierenversagen. IVIg werden nur in Ausnahmefällen (Kindes- und Jugendalter zur Vermeidung von Immunsuppression, Exazerbationen in der Schwangerschaft, therapierefraktäre Einzelfälle) als Langzeittherapie (Erhaltungstherapie) anstelle einer rationalen immunsuppressiven Therapie eingesetzt.
Therapie der myasthenen Krise
Eine myasthene Krise wird als Exazerbation der Schwäche von lebensbedrohlichem Ausmaß definiert. Im Vordergrund steht meistens ein respiratorisches Versagen durch Muskelschwäche des Diaphragmas und der interkostalen Muskulatur. Eine myasthene Krise tritt nur selten bei optimal betreuten Patienten auf. Die Behandlung sollte auf einer Intensivstation erfolgen, wo das Personal mit der Therapie der Myasthenia gravis, der respiratorischen Insuffizienz, von Infektionserkrankungen und der Flüssigkeits- und Elektrolyttherapie vertraut ist. Die Möglichkeit einer durch eine Überdosierung von ACh-Esterasehemmern bedingten Verschlechterung („cholinerge Krise“) kann durch ein vorübergehendes Absetzen der Cholinesterasehemmer geprüft werden. Die häufigste Ursache einer Krise ist eine zwischenzeitlich auftretende Infektion. Diese sollte sofort behandelt werden, da die mechanischen und immunologischen Abwehrkräfte des Patienten eingeschränkt sind. Ein Myastheniepatient mit Fieber und beginnender Infektion sollte wie jeder andere immungeschwächte Patient behandelt werden. Eine frühe und effektive antibiotische Therapie, (vorzugsweise nicht invasive BIPAP-) Beatmung und Atemgymnastik sind essenziell im Behandlungsregime. Die Plasmapherese und IVIg beschleunigen in der Regel die Rekonvaleszenz. Plasmaaustauschverfahren wirken häufig schneller als IVIg, die vor allem bei Patienten mit schweren Infektionen eingesetzt werden.
Therapie der Myasthenia gravis in der Schwangerschaft
In Schwangerschaft und Stillzeit ist die Therapie mit Pyridostigmin und Steroiden als sicher anzusehen, dies gilt sehr wahrscheinlich auch für Azathioprin und CSA. Eine bestehende Therapie mit Methotrexat, Cyclophosphamid, Mycophenolatmofetil sowie Tacrolimus muss vor einer Schwangerschaft abgesetzt bzw. auf Steroide oder IVIG umgestellt werden. Während der Schwangerschaft gelten IVIG bei Exazerbationen als Therapie der Wahl. Die neonatale Myasthenie tritt bei etwa einem Fünftel aller Neugeborenen unabhängig vom Schweregrad der maternalen Myasthenie auf und bildet sich meist innerhalb von 4 Wochen zurück. Leichte bis mittelgradige Symptome werden mit Pyridostigmin behandelt, Säuglinge mit respiratorischer Globalinsuffizienz werden plasmapheriert. Die Myasthenia gravis stellt keine Indikation für eine Sectio caesarea dar, da diese das Risiko einer Exazerbation erhöht. Während der vaginalen Entbindung, die in einer entsprechend erfahrenen Geburtsklinik mit angebundener Neonatologie durchgeführt werden sollte, kann der parenterale Einsatz von Neostigmin und Steroiden notwendig sein.
Medikamente, die eine Myasthenie verschlechtern können
Viele Medikamente können den Verlauf einer Myasthenia gravis negativ beeinflussen (Tab. 461-4). Das trifft jedoch individuell nicht für jeden Patienten und alle Medikamente zu. Andererseits darf nicht davon ausgegangen werden, dass alle vermeintlich „sicheren“ Medikamente auch bedenkenlos bei Patienten mit Myasthenia gravis eingesetzt werden können. Es wird empfohlen, die hier aufgeführten Medikamente möglichst zu vermeiden. Myasthenie-Patienten sollten bei Einsatz eines neuen Medikaments grundsätzlich engmaschig beobachtet werden.
Überwachung des Patientenstatus bei Myasthenia gravis
Es ist wichtig, den klinischen Status des Patienten zum Ausgangspunkt der Behandlung und wiederholt im Intervall systematisch zu überwachen, um die Effektivität der Behandlung und medikamenteninduzierte Nebenwirkungen zu erfassen. Aufgrund der Variabilität der Symptome einer Myasthenia gravis muss die Zwischenanamnese genauso wie die aktuellen Untersuchungsbefunde berücksichtigt werden. Zu den nützlichsten klinischen Tests gehören die Zeit im Armhalteversuch (bis zu 5 min), die Spirometrie mit Bestimmung der forcierten Vitalkapazität, das Ausmaß der Augenbewegungen, die Zeit bis zum Auftreten einer Ptosis bei Blick nach oben sowie die Beurteilung bulbärer Funktionen (Sprechen, Phonation, Schlucken). Die manuelle Prüfung der Muskelkraft oder bevorzugt eine quantitative Dynamometrie der Extremitätenmuskeln, insbesondere der proximalen Muskeln, ist ebenfalls wichtig. Ein standardisiertes Formular für die klinische Intervalluntersuchung kann eine präzise Zusammenfassung des Patientenstatus und eine Hilfestellung für die Behandlungsergebnisse liefern. Internationaler Standard ist der quantitative Myasthenia gravis (QMG) Score. Ein vereinfachtes Formblatt zeigt Abbildung 461-3. Darüber hinaus kann eine fortschreitende Reduktion des AChR-Antikörper-Titers des Patienten klinisch wertvolle Hinweise für Therapiewirksamkeit geben, noch bevor eine deutliche klinische Verbesserung eingetreten ist. Im umgekehrten Fall kann ein steigender AChR-Antikörpertiter beim Ausschleichen der immunsuppressiven Therapie oder bei Patienten mit einem Thymom-Rezidiv einer klinischen Exazerbation vorausgehen. In der Praxis ist zur Verlaufsbeurteilung der klinische Status des Patienten in der Regel ausreichend und die regelmäßige Bestimmung des AChR-Antikörpers nur in Ausnahmefällen sinnvoll, z. B. bei Thymom-assoziierten Myasthenien oder vor dem Absetzen bzw. der Reduktion einer Langzeitimmunsuppresion.
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