471e Neuropsychiatrische Erkrankungen im Zusammenhang mit militärischen Auslandseinsätzen
Neuropsychiatrische Erkrankungen spielen im militärischen Kontext nach Auslandseinsätzen eine erhebliche Rolle. Im Vordergrund stehen die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sowie die leichte traumatische Hirnschädigung.
Die posttraumatische Belastungsstörung äußert sich durch die drei Symptomcluster Intrusion (eine sich aufdrängende Erinnerung), Hyperarousal (Angespanntheit, vegetative Labilität) und Rückzugs-/Vermeidungsverhalten. Mögliche Symptome nach einer Gehirnerschütterung/leichten traumatischen Hirnschädigung sind Kopfschmerzen, Müdigkeit, Konzentrations-, Gedächtnis- oder Aufmerksamkeitsstörungen, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Gleichgewichtsstörungen und Tinnitus. Die Erholung erfolgt meist rasch mit Abklingen der Symptome innerhalb weniger Stunden bis Tage. Bei einem kleinen Teil der Patienten persistieren die Symptome jedoch länger oder chronifizieren (persistierendes postkommotionelles Syndrom).
Die Diagnostik einsatzbedingter psychischer Störungen erfordert eine umfassende Anamnese, die insbesondere mögliche pathogene Einsatzsituationen berücksichtigen muss. Angesichts häufiger Komorbiditäten sind standardisierte Testungen indiziert, unter anderem im Hinblick auf Depression und Suchterkrankungen. Die Behandlung neuropsychiatrischer Beschwerden sollte gemeinsam mit anderen einsatzbedingten Erkrankungen Teil eines Gesamtbehandlungsplans sein.
Ziele sind die Reduktion der Symptomschwere, die Verbesserung der Teilnahme am sozialen und Berufsleben sowie die Prävention einer Langzeitbehinderung. Einsatzbedingte Gesundheitsstörungen sollten bei der Diagnostik und Behandlung von Soldaten immer differenzialdiagnostisch erwogen werden, um eine umfassende Behandlungsstrategie daraus abzuleiten.
Für die deutsche Ausgabe Peter Zimmermann und Florian Masuhr
Neuropsychiatrische Erkrankungen sind eine häufige Folgeerscheinung militärischer Auslandseinsätze, insbesondere wenn diese mit Kampfhandlungen einhergehen. Fortschritte bei der persönlichen Schutzausrüstung der Soldaten, die seit einigen Jahren zunehmend mit gepanzerten Westen und Fahrzeugen ausgestattet sind, sowie bei der medizinischen Akutversorgung im Einsatzland (verbesserte Ersthelferausbildung sowie verkürzte Evakuierungszeiten aus dem Kampfgebiet in die weitergehende medizinische Versorgung) haben die Zahl gefechtsbezogener Todesfälle erheblich vermindert. Dadurch sind seelische Verwundungen, die „stillen Wunden“, durch den Dienst in einem Kampfgebiet in den militärischen Versorgungssystemen, aber auch im öffentlichen Bewusstsein, stärker in den Vordergrund getreten.
Amerikanische Studien haben gezeigt, dass der Dienst im Irak und in Afghanistan signifikant häufiger als in der Allgemeinbevölkerung zu mentalen Störungen führt. Insbesondere zwei Erkrankungen wurden als kennzeichnend für diese beiden Einsatzgebiete erkannt: die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und die leichte traumatische Hirnschädigung (mTBI), die auch als Gehirnerschütterung bezeichnet wird. Dieses Kapitel befasst sich zwar vornehmlich mit der posttraumatischen Belastungsstörung und Gehirnerschütterung/leichten traumatischen Hirnschädigung, trotzdem muss darauf hingewiesen werden, dass Kampfeinsätze in Kriegsgebieten grundsätzlich mit zahlreichen gesundheitlichen Folgen einhergehen, die nebeneinander bestehen und symptomatische Überschneidungen aufweisen können. Bei der Behandlung ist also ein multidisziplinäres, patientenzentriertes Vorgehen von besonderer Bedeutung.
Symptomatik und Epidemiologie einsatzbedingter psychiatrischer und neurologischer Erkrankungen
Der Dienst in einem Kriegsgebiet kann u. a. mit extremer körperlicher Belastung in unwirtlicher Umgebung, prolongiertem Schlafentzug, körperlichen Verletzungen, Exposition mit lebensgefährlichen Ereignissen und Gefahren wie (Selbstmord-)Anschlägen, Scharfschützen, Hinterhalten, indirektem Feuer durch Raketen und Mörser sowie verschiedenen Umweltnoxen einhergehen. Bestimmte Ereignisse, wie z. B. die Notwendigkeit, andere Menschen zu verletzen oder zu töten, oder auch der Verlust eines Freundes im Kampf, hinterlassen besonders schwere seelische Folgen und gehen nicht selten auch mit Begleitphänomenen wie Schuld- oder Schamgefühlen einher. Alle diese Erfahrungen wirken sich durch psychophysiologische Mechanismen, wie die Dysregulation des neuroendokrinen und vegetativen Nervensystems, additiv auf die Gesundheit aus. Dazu kommen umfangreiche soziale Auswirkungen, insbesondere auf die Bereiche Ehe, Elternschaft, Bildungsziele und die militärischen wie zivilen Beschäftigungsverhältnisse. Die Belastungen durch den Dienst in Kriegsgebieten haben darüber hinaus in den amerikanischen Streitkräften die Suizidrate bei Soldaten der beiden am stärksten an Kampfhandlungen beteiligten Waffengattungen (Landstreitkräfte und Marineinfanterie) in die Höhe getrieben. In einer bislang unveröffentlichten Studie der Bundeswehr fand sich ein ähnlicher, signifikanter Trend ansteigender Suizidraten zwischen 2010 und 2015 (Willmund et al., unveröffentlicht).
Diese Entwicklung spiegelt sich auch in einer zunehmenden Inanspruchnahme der Bundeswehrpsychiatrie durch psychisch erkrankte Soldaten wider. Während 2008 z. B. noch 245 ambulante und stationäre Behandlungsfälle mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) bundeswehrintern registriert wurden, waren es 2009 schon 466 Fälle, 2010 stieg die Zahl auf 729, 2011 auf 922, 2015 waren es 1750 Fälle.
Eine besondere Form der Symptomausgestaltung bei Veteranen nahezu aller Kampfeinsätze sind generalisierte bzw. multisystemische körperliche, kognitive und psychische Beschwerden, die oft erst Monate bis Jahre nach der Rückkehr aus dem Kriegsgebiet behandlungsbedürftig werden. Dazu gehört das kumulierte Auftreten von Schlafstörungen, Müdigkeit, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Symptomen im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung und Depression, Aggression, Übererregbarkeitssymptomen, Kopfschmerzen, muskuloskelettalen Schmerzen, gastrointestinalen Symptomen (einschließlich gastroösophagealem Reflux), hohem Blutdruck, beschleunigter Herzfrequenz (gelegentlich in Kombination mit Paniksymptomen) und sexuellen Funktionsstörungen. Die optimale Behandlung von Soldaten mit diesen Symptomen setzt ein profundes Verständnis der pathogenetischen Zusammenhänge, insbesondere des Erlebens und der Auswirkungen des Einsatzgeschehens, voraus.
Historische Entwicklung von Nachkriegssyndromen
Die im Verlauf und nach militärischen Einsätzen auftretenden gesundheitlichen Probleme wurden in der Militärgeschichte stets unterschiedlich bewertet und benannt und haben immer wieder Diskussionen in der Ärzteschaft darüber ausgelöst, ob diese Beschwerden überwiegend körperlicher oder psychischer Ursache sind. Phänomene wie das „Kriegszittern“, Lähmungserscheinungen oder Störungen verschiedener Sinnessysteme, die im Ersten Weltkrieg zu einer Massenerscheinung in den Schützengräben an der Westfront wurden, unterlagen kontroversen pathogenetischen Zuordnungen. In Betracht gezogen wurden neurologische (durch Erschütterungen des Gehirns infolge von Explosionen und Granateinschlägen, „Shell Shock“) und psychiatrische Krankheitsbilder mit emotionaler oder „neurasthenischer“ Ursache. Die amerikanischen Streitkräfte, die am Zweiten Weltkriegteilgenommen hatten, litten unter „Kampfmüdigkeit“, bei der Deutschen Wehrmacht kam es zu gastrointestinalen Symptomen, die zur Aufstellung ganzer Verbände mit nur vermindert einsetzbaren Soldaten führte (sogenannte „Magenbataillone“). Die Veteranen des Kampfeinsatzes in Korea wurden wegen „Belastungsreaktionen auf Kampfeinsätze“ und die Vietnam-Veteranen wegen des „Post-Vietnam-Syndroms“ behandelt. Die Bedeutung von Expositionen mit externen Noxen (z. B. Agent Orange) und von psychischen Ursachen (Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, posttraumatische Belastungsstörung etc.) wird bis heute ohne abschließendes Ergebnis diskutiert.
Der 1. Golfkrieg (Operation Desert Storm) nach der irakischen Invasion von Kuweit 1990 brachte das so genannte „Golfkriegssyndrom“ (ebenfalls eine Multisystemerkrankung) hervor, dessen Verursachung durch externe Einwirkungen (z. B. Ölfeuer, angereichertes Uran, Nervengas, multiple Impfungen) oder durch die psychische Belastung ebenfalls unklar blieb. Im Rahmen dieses Kampfeinsatzes wurde mit einer hohen Verlustrate durch chemische und biologische Waffen gerechnet und unter Wüstenbedingungen bei extremen Temperaturen stark belastende Übungen durchgeführt, wie das Tragen von undurchlässigen Uniformen mit Ganzkörperschutz (aus Gummi, Vinyl, kohleimprägniertem Polyurethan und anderen Materialien). Obwohl bei der Gesamtheit der Militärangehörigen, die zwischen 1990 und 1991 dienten (fast 1 Million), niemals ein einheitliches klinisches Syndrom bestätigt werden konnte, ermittelten Studien bei den im Golfkrieg eingesetzten Soldaten übereinstimmend vermehrte generalisierte Symptome aller Bereiche (körperlich, kognitiv, neurologisch, psychiatrisch), die bei Militärpersonal, das andernorts eingesetzt worden war, nicht nachweisbar waren. Außerdem gibt es ausreichende Belege dafür, dass der Einsatz im Persischen Golf während dieses Zeitraums mit der Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung assoziiert war, dazu kamen weitere psychische Erkrankungen wie die generalisierte Angststörung, Depression und Substanzabusus (Kap. 467). Daneben traten funktionelle gastrointestinale Symptome auf, wie ein Reizdarmsyndrom (Kap. 352) und das Chronique-fatigue-Syndrom (Kap. 464e).
Die Konflikte im Irak und in Afghanistan hatten und haben sich der Problematik zu stellen, ob Nachkriegssymptome wie Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Schlafstörungen, Schwindel und Konzentrationsstörungen eher auf einer Gehirnerschütterung/leichten traumatischen Hirnschädigung beruhen oder auf einer posttraumatischen Belastungsstörung. Zahlreiche Studien haben ergeben, dass sich die Mehrzahl der nach dem Einsatz auftretenden Symptome, die initial auf eine Gehirnerschütterung/leichte traumatische Hirnschädigung zurückgeführt wurden, am ehesten durch eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine Depression erklären ließen. Diese Entwicklung wurde in Teilen auch kritisch hinterfragt, steht aber in Einklang mit Studien aus dem zivilen Bereich über Risikofaktoren für persistierende Symptome nach einer Commotio cerebri. Bei all den geschilderten unterschiedlichen Symptomkomplexen bedurfte es im Regelfall eines jahrelangen Diskurses, bis verstanden wurde, wie die posttraumatische Belastungsstörung und die Gehirnerschütterung/leichte traumatische Hirnschädigung mit anderen einsatzbedingten gesundheitlichen Beschwerden zusammenhingen, um dann aus diesen Erkenntnissen effektive diagnostische und therapeutische Strategien abzuleiten.
Der primär versorgende Arzt im militärischen, bei ehemaligen Soldaten, aber auch im zivilen Kontext, ist der wichtigste erste Ansprechpartner bei einsatzbedingten Symptombildern und steht vor der Herausforderung, zum einen im Rahmen der Diagnostik stets die Folgen vorheriger Auslandseinsätze in seine Erwägungen einzubeziehen. Zum anderen erfordert es aber auch ein erhebliches Einfühlungsvermögen, adäquat und entstigmatisierend auf die Beschwerdeschilderung des Patienten einzugehen und eine erste psychotherapeutische Behandlungsmotivation aufzubauen.
Posttraumatische Belastungsstörung
Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)(Kap. 466) ist eine häufige psychische Erkrankung nach Einsätzen in Kriegs- und Krisengebieten. US-amerikanische Studien ermittelten bei den Konflikten im Irak und in Afghanistan vor dem Einsatz eine Prävalenzrate von 2–6 % (vergleichbar der Allgemeinbevölkerung) und danach eine Prävalenz von 6–20 %, wobei die Rate vor allem von der Häufigkeit und Schwere der Kampfhandlungen abhing. Dazu kam noch eine erhebliche Zahl mit einer subklinischen posttraumatischen Belastungsstörung, die auch als posttraumatische Belastung oder Kampfbelastung bezeichnet wird. Diese subklinischen Symptome können ebenfalls eine erhebliche Krankheitswertigkeit erreichen, auch wenn diese nicht der vollen Ausprägung der PTBS entspricht. In der Bundeswehr litten in einer zwischen 2009 und 2013 durchgeführten Prävalenzstudie 2,9 % der aus einem Afghanistan-Einsatz zurückkehrenden Soldaten an einer PTBS (12-Monats-Prävalenz), 21,4 % waren insgesamt psychisch erkrankt, am häufigsten waren Angststörungen, affektive Störungen, somatoforme Störungen und die Alkoholerkrankung (Wittchen et al. 2012).
Die Definition der posttraumatischen Belastungsstörung wurde in der 5. Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (2013) der American Psychiatric Association umdefiniert, wobei die meisten Patienten, bei denen nach den vorherigen Kriterien eine PTSD bestand, auch die neuen Kriterien erfüllen. Die PTSD ist definiert durch persistierende (> 1 Monat) Symptome nach einem lebensbedrohlichen, traumatischen Ereignis (mit Todesgefahr, schweren Verletzungen oder sexuellen Übergriffen). Diese Symptome müssen mit einem hohen Leidensdruck und/oder einer Einschränkung der Teilnahme am sozialen oder beruflichen Leben einhergehen. Sie werden in vier Gruppen eingeteilt: (1) wiederholte Albträume, Flashbacks oder sich aufdrängende, meist szenische Erinnerungen, die mit dem traumatischen Ereignis zusammenhängen („Intrusionen“), (2) Vermeidung von Orten, Situationen und anderen Reizen, die Erinnerungen an das traumatische Ereignis auslösen würden (z. B. ein überfülltes Kaufhaus, das als Gefahrensituation erlebt werden könnte), (3) negative Veränderungen von Kognition und Stimmung (z. B. Gefühl der Losgelöstheit oder Interessenverlust an Dingen, die zuvor Freude bereitet haben, im militärischen Kontext spielen auch die Konstrukte Schuld und Scham in diesem Cluster eine zunehmende Rolle) und (4) Übererregbarkeitssymptome mit Nervosität, erhöhter Wachsamkeit, Schreckhaftigkeit und Schlafstörungen, Aggressivität und/oder Konzentrationsstörungen („Hyperarousal“). Obwohl die Definition der posttraumatischen Belastungsstörung auf klinischen Symptomen basiert, sollte man sie nicht ausschließlich als emotionales oder psychisches Krankheitsbild betrachten, sondern auch als natürliche psychische Reaktion auf ein lebensbedrohliches Trauma, das zu körperlichen, kognitiven, emotionalen und psychischen Symptomen führt.
Die posttraumatische Belastungsstörung weist eine Reihe biologischer Korrelate auf, die im Schwerpunkt auf eine angstvermittelte neuroendokrine Dysregulation und gesteigerte Reaktivität des vegetativen Nervensystems zurückzuführen sind. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die posttraumatische Belastungsstörung mit organischen Erkrankungen, wie z. B. der Hypertonie, chronischen Schmerzen, kardiovaskulären Erkrankungen, sowie mit zellvermittelten Immunfunktionsstörungen und einer kürzeren Lebenserwartung korreliert. Dazu kommen Komorbiditäten wie die Major Depression, generalisierte Angst, Substanzmissbrauch und ein generelles Risikoverhalten, sog. „Sensation-Seeking“ (z. B. Extremsportarten, aggressives Fahren etc). Man schätzt, dass bis zu 80 % der Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung eine oder mehrere Begleiterkrankungen aufweisen. Die höchste Prävalenz im englischsprachigen Raum hat der missbräuchliche Konsum von Alkohol oder anderen Substanzen, oft im Sinne einer Selbstmedikation. In diesem Zusammenhang ist auch der nicht seltene Abusus von Schmerz- und Schlafmedikation sowie Nikotin zu erwähnen, zum Teil bis hin zu einer Toleranzentwicklung mit Entzugssymptomatik (Kap. 470).
Der Arzt sollte damit vertraut sein, wie er auf Veteranen mit PTSD-Symptomen infolge eines zurückliegenden Einsatzes zugehen muss, um sie zu erreichen. Es besteht ein wichtiger beruflicher Zusammenhang, der auch bei traumatischen Expositionen von Ersthelfern, wie Polizisten und Feuerwehrleuten, vorhanden ist. Sie werden ebenso wie Soldaten darin geschult, auf traumatische Ereignisse zu reagieren, und lernen, wie sie die automatischen Flucht-Kampf-Reflexe überwinden können, um ihre Pflichten zu erfüllen. Dazu kommt, dass letztendlich auch Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung einer adaptiven Überlebensreaktion von Soldaten in einer Kampfsituation entsprechen und damit nicht primär pathologisch sind. Vielmehr können physiologische Übererregtheit, Aggressivität und die Fähigkeit, andere Emotionen auszublenden, z. B. in einem Gefecht, hilfreiche Eigenschaften sein, die bei einer realitätsnahen Ausbildung bereits vor den traumatischen Ereignissen vorhanden gewesen sein können. Diese Reaktionen werden nur dann zu Symptomen, wenn sie nach der Heimkehr der Soldaten deren Eingliederung in den zivilen Alltag behindern.
Gehirnerschütterung (Commotio cerebri)/leichte traumatische Hirnschädigung
Das Interesse an leichten traumatischen Hirnschädigungen (Kap. 457e) nahm während der Konflikte im Iran und in Afghanistan wegen der starken Verwendung von improvisierten Explosionskörpern zu. Viele Veteranen aus dem Irak und Afghanistan gaben an, dass sie während ihres Einsatzes mehrfach Gehirnerschütterungen erlitten und sich zum Verletzungszeitpunkt nicht hatten behandeln lassen, um ihre Einheit nicht zu verlassen. Allerdings wurden die berechtigten Sorgen bezüglich der Häufigkeit und Auswirkungen leichter traumatischer Hirnschädigungen auch infrage gestellt, da bei einsatzbezogenen traumatischen Hirnschäden häufig nicht zwischen Gehirnerschütterung und mittelschwerem bis schwerem Schädel-Hirn-Trauma unterschieden wurde. Auch lassen sich tierexperimentelle Daten zur Auswirkung von Explosionen nicht ohne Weiteres auf die Situation der Menschen im Kampfgebiet übertragen. Zudem wiesen neuroradiologische Untersuchungen (z. B. mittels Diffusions-Tensor-Bildgebung), die mögliche Explosions-assoziierte Veränderungen zeigten, keine ausreichenden Vergleichsgruppen auf. Es wird vermutet, dass wiederholte Schläge gegen den Kopf die spätere Entwicklung einer Demenz begünstigen können, da Fallserien mit Berufssportlern (z. B. Boxern, Football-Spielern), bei denen es wiederholt zu Schädeltraumen kam, im Verlauf über die Entwicklung einer chronischen traumatischen Enzephalopathie (Kap. 444e) berichteten (früher als Dementia pugilistica bezeichnet). Ob dies auch für die wiederholte Exposition gegenüber Explosionstraumata gilt, ist bisher nicht bewiesen.
Traumatische Hirnschädigungen sind offene und gedeckte Schädelverletzungen. Gedeckte Schädelverletzungen werden anhand der Dauer der Bewusstlosigkeit, der Dauer der posttraumatischen Amnesie und der Glasgow-Coma-Skala (GCS) (Tab. 457e-2) als leicht (leichte traumatische Hirnschädigung oder Gehirnerschütterung), mittelschwer oder schwer eingestuft. Mehrere Studien schätzen, dass 10–20 % des im Irak oder in Afghanistan eingesetzten militärischen Personals während des Einsatzes mindestens einmal eine Gehirnerschütterung/leichte traumatische Hirnschädigung erlitten, meistens aufgrund einer Explosion. Allerdings sind Gehirnerschütterungen auch im Freizeitbereich häufig, z. B. im Sport, beim Training (z. B. Kampfsport) und bei Unfällen.
Obwohl die Verletzung ein neurophysiologisches Kontinuum aufweist, bestehen dennoch klare klinische und epidemiologische Unterschiede zwischen einer Gehirnerschütterung/leichten traumatischen Hirnschädigung und einer mittelschweren bis schwereren traumatischen Hirnschädigung (Tab. 471e-1). Die Gehirnerschütterung/leichte traumatische Hirnschädigung ist definiert als Schlag oder Stoß gegen den Kopf, der zu einem kurzen Bewusstseinsverlust von weniger als 30 Minuten (meistens wenige Sekunden bis Minuten), einer posttraumatischen Amnesie von weniger als 24 Stunden (meistens < 1 h) oder einer vorübergehenden Bewusstseinsveränderung ohne Bewusstseinsverlust führt. Die meisten Gehirnerschütterungen im Irak oder in Afghanistan führten zu transienten Bewusstseinsveränderungen ohne Bewusstseinsverlust oder posttraumatische Amnesie (von den Soldaten oft als „eins auf die Glocke kriegen“ bezeichnet), wobei die GCS normalerweise die volle Punktzahl aufweist (15 Punkte). Behandelt wird die Gehirnerschütterung durch Ruhe, damit das Gehirn Zeit zur Erholung bekommt, sowie allgemeine symptomatische Maßnahmen. Sofern keine weiteren Verletzungen vorliegen, erfolgt fast nie eine Repatriierung aus dem Kampfgebiet.
Im Gegensatz dazu gehen mittelschwere bis schwere oder penetrierende traumatische Hirnschädigungen, die im Irak und in Afghanistan weniger als 1 % der kampfbedingten Kopfverletzungen ausmachten, mit einem Bewusstseinsverlust von mindestens 30 Minuten (im Einzelfall Koma über Wochen und Monate), einer posttraumatischen Amnesie von mindestens 24 Stunden (kann im Einzelfall persistieren) sowie einem Wert auf der GCS von < 13 Punkten (niedrigster Wert 3 Punkte) einher. Diese Verletzungen führen fast immer zur Repatriierung aus dem Kampfgebiet, können zu schweren neurologischen Langzeitschäden führen und eine spätere Rehabilitation erforderlich machen.
Mögliche Symptome nach einer Gehirnerschütterung/leichten traumatischen Hirnschädigung sind Kopfschmerzen, Müdigkeit, Konzentrations-, Gedächtnis- oder Aufmerksamkeitsstörungen, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Gleichgewichtsstörungen und Tinnitus. Die Erholung erfolgt meist mit Abklingen der Symptome innerhalb von Stunden bis Tagen, die Mehrzahl der Patienten ist nach 12 Wochen beschwerdefrei. Bei einem kleinen Teil der Patienten persistieren die Symptome jedoch länger oder chronifizieren (persistierendes postkommotionelles Syndrom), wofür insbesondere vorbestehende neuropsychiatrische Erkrankungen einen Risikofaktor darstellen.
Der Nachweis eines Kausalzusammenhangs zwischen einer einsatzbedingten Gehirnerschütterung und persistierenden postkommotionellen Symptomen Monate bis Jahre nach der Rückkehr aus dem Kampfgebiet ist schwierig und wird oft durch andere einsatzbedingte Schädigungen erschwert, die zu ähnlichen Symptomen führen. Dazu gehören Verletzungen anderer Körperteile, systemische Erkrankungen, Schlafstörungen, eine posttraumatische Belastungsstörung, Depression, Trauer; Erkrankungen durch Substanzmissbrauch, chronische Schmerzen und die allgemeinen körperlichen Auswirkungen von Kampfhandlungen. Zusätzlich erschwerend wirkt, dass die Definition der Gehirnerschütterung/leichten traumatischen Hirnschädigung nur das akute Trauma, nicht jedoch Symptome, zeitlichen Verlauf oder spätere Beeinträchtigungen berücksichtigt. Zudem ist das persistierende postkommotionelle Syndrom nicht gut validiert. In mehreren Studien war die posttraumatische Belastungsstörung ein weitaus stärkerer Prädiktor für die Entwicklung eines persistierenden postkommotionellen Syndroms als eine Gehirnerschütterung/leichte traumatische Hirnschädigung und in einer Studie ließen sich die objektiven neuropsychologischen Beeinträchtigungen nach dem Einsatz vollständig durch eine posttraumatische Belastungsstörung erklären. Allerdings weisen Studien auch darauf hin, dass die Inzidenz von posttraumatischen Belastungsstörungen bei Soldaten mit einer Gehirnerschütterung/leichten traumatischen Hirnschädigung in der Anamnese doppelt so hoch ist (Yurgil KA et al. 2014). Diese Ergebnisse unterstreichen die komplexen Zusammenhänge von kriegsbedingten Beeinträchtigungen der Gesundheit.
Studien an Veteranen, die im Irak oder in Afghanistan Gehirnerschütterungen erlitten hatten, deuten darauf hin, dass Explosionsverletzungen und Verletzungen ohne Explosionsmechanismus zu ähnlichen klinischen Folgen führen, obwohl Tiermodelle zunächst etwas anderes vermuten ließen. Eine Explosion kann durch die rasche Druckänderung (primärer Druckwellenmechanismus), herumfliegende Trümmer (sekundärer Druckwellenmechanismus) oder das Schleudern gegen einen harten Gegenstand (tertiärer Druckwellenmechanismus) schwere Verletzungen verursachen. Der sekundäre und tertiäre Mechanismus sind vergleichbar mit Mechanismen, die auch bei Unfällen zu Gehirnerschütterungen führen können. Vermutlich erklärt die Physik von Explosionen die Unterschiede zwischen klinischen Studien am Menschen und experimentellen Tierstudien. Da die Verteilung der Munitionsfragmente bei den meisten Explosionen weit über die initiale Druckwelle hinausgeht, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Kopfverletzung allein aufgrund der Druckwelle bei sonst unverletzten Soldaten eher gering.
Medizinische Beschwerden, die verschiedene Systeme betreffen und nicht ausreichend definiert sind, sind für allgemeine öffentliche Gesundheitsprogramme, wie beispielsweise Vorsorgeuntersuchungen, nur bedingt geeignet. Trotzdem wurde für alle Rückkehrer der US-amerikanischen Streitkräfte aus dem Irak und Afghanistan und allen Veteranen, die sich zur Behandlung in medizinischen Einrichtungen der Streitkräfte vorstellten, eine Screening-Untersuchung zur Erfassung von Gehirnerschütterungen/leichten traumatischen Hirnschädigungen angeordnet. Diese Screening-Untersuchungen, die versuchten, die möglichen Folgen einer akuten Gehirnerschütterung (fehlende Symptome, zeitlicher Verlauf oder Einschränkung) Monate bis Jahre nach der Verletzung einzuordnen, umfassen oft Fragen, die den Arzt und den Patienten dazu ermutigen, eine direkte Verbindung zwischen den aktuellen Symptomen und zurückliegenden Schädelverletzungen herzustellen, die vermutlich nur wenig mit der aktuellen Symptomatik zu tun haben. Diese Screening-Ansätze wurden dafür kritisiert, dass sie den Arzt dazu verleiten, häufige kriegsbedingte Symptome auf eine Gehirnerschütterung/leichte traumatische Hirnschädigung zurückzuführen. Das Screening wurde trotzdem fortgesetzt und ist Teil einer hochspezialisierten Pflege- und Behandlungsstruktur des DoD und der VA, um gesundheitliche Folgen von Gehirnerschütterung/leichter traumatischer Hirnschädigung zu ergründen.
Das Management von kriegsbedingten körperlichen und kognitiven Beschwerden konzentriert sich überwiegend auf Symptome und findet idealerweise hausärztlich statt. Studien zeigen, dass die optimale Strategie zur Behandlung multisymptomatischer Beschwerden mit regelmäßigen hausärztlichen Besuchen mit orientierender körperlicher Untersuchung erfolgt. Die Patienten müssen vor unnötigen diagnostischen Untersuchungen und nicht evidenzbasierten Interventionen geschützt werden und sollten nicht unnötigerweise an Fachärzte überwiesen werden, Wichtig sind ein verbindliches Fallmanagement und eine gute Kommunikation, um positive Erwartungen hinsichtlich der Heilung zu wecken. Untersuchungen haben ergeben, dass negative Erwartungen bei Patienten nach einer Gehirnerschütterung einer der wichtigsten Risikofaktoren für persistierende Beschwerden im Verlauf sind.
Obwohl viele Fragen hinsichtlich der Langzeiteffekte von einsatzbedingten leichten traumatischen Hirnschädigungen auf die Gesundheit offen bleiben (vor allem nach mehrfachen Gehirnerschütterungen), handelt es sich um relevante Kampfverletzungen, die sorgfältig beobachtet und dokumentiert werden sollten. Allerdings müssen sie im Kontext mit allen anderen kriegsbedingten Gesundheitsbeschwerden betrachtet werden.
Diagnostik einsatzbedingter neuropsychiatrischer Erkrankungen
Die Diagnosestellung und Einleitung einer adäquaten Behandlung wird bei Soldaten insbesondere bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung durch Ängste vor einer Stigmatisierung sowie andere Barrieren behindert. Trotz der umfangreichen Aufklärungsbemühungen vor allem auf der Ebene vorgesetzter Führungskräfte schreitet der Prozess der Entstigmatisierung in den westlichen Streitkräften nur langsam voran. Die betroffenen Soldaten fürchten, dass sie von anderen Soldaten oder Vorgesetzten als „Schwächlinge“ betrachtet werden, wenn sie mit ihren Beschwerden zum Arzt gehen. Studien haben gezeigt, dass weniger als die Hälfte des militärischen Personals und der Veteranen mit schweren gesundheitlichen Beschwerden die erforderliche Behandlung erhalten haben und mehr als die Hälfte derjenigen, die mit einer Behandlung beginnen, diese zu früh wieder abbrechen. Zu diesen eher geringen Werten tragen neben der Stigmatisierungsangst (vor allem bei Männern) viele Faktoren bei, wie zum Beispiel auch die hohe Bedeutung des Gruppenzusammenhalts bei militärischen Teams, der Symptomcluster „Vermeidung“, der Teil einer posttraumatischen Belastungsstörung ist, Wahrnehmungen der Selbstständigkeit (z. B. „Ich kann meine Probleme allein lösen.“) sowie gelegentlich Zweifel daran, ob Psychologen oder Psychiater wirklich helfen können.
In der deutschen Armee hatten in einer bundeswehreigenen Erhebung ebenfalls nur ca. 50 % der Soldaten, die nach einem Einsatz in Afghanistan psychisch erkrankt waren, bereits Kontakt zum psychosozialen Hilfesystem aufgenommen (Wittchen et al. 2012). Nur 10–20 % der psychisch erkrankten Soldaten waren ein Jahr nach Rückkehr aus dem Einsatz in einer adäquaten Therapie. Die häufigsten Hindernisse waren Zweifel, ob eine Therapie helfen würde, sowie Ängste vor Ausgrenzung und Karrierenachteilen (Wittchen et al., unveröffentlichte Daten).
Zugang zum Patienten: Diagnostisches Vorgehen bei Soldaten mit neuropsychiatrischen Störungen
Die Diagnostik sollte mit einer umfassenden ärztlichen Anamnese einschließlich einer ausführlichen Berufsanamnese beginnen. Dazu gehören u. a. die Anzahl der Dienstjahre, die militärische Tätigkeit, Einsatzgebiete und -zeiträume, dienstbedingte Krankheiten oder Verletzungen und signifikante traumatische Einsatzerfahrungen, die evtl. weiterhin als belastend empfunden werden (Tab. 471e-2). Dabei sollte abgewogen werden, inwieweit die aktuellen Probleme des Patienten Teil der normalen Anpassungsreaktion nach Rückkehr aus einem belastenden Einsatzgeschehen sind. Eine zu tiefgehende und detaillierte Exploration sollte gerade in den ersten Kontakten vermieden werden, da dies zu Triggerungen der traumwertigen Erinnerungen führen und einen Stressor für den Patienten darstellen kann.
Bereits in dieser frühen Kontaktphase kann mit einem Ressourcenaufbau bei dem Patienten begonnen werden, beispielsweise indem militärbezogene Stärken wertschätzend hervorgehoben werden (Mut, Stolz auf das Erreichte, Dienst an der Sache, hohe Belastbarkeit in Extremsituationen, Führungsfähigkeit oder Teamfähigkeit) und indem darauf hingewiesen wird, dass Reaktionen, die das häusliche Funktionieren stören, die Folge von günstigen physiologischen Anpassungen sind.
Eines der Probleme in der klinischen Praxis ist, dass nicht selten Ärzte verschiedener Fachrichtungen am diagnostischen Prozess teilnehmen. Die Behandlung sollte daher durch den Hausarzt koordiniert werden, dem evtl. ein Fallmanager zur Seite steht. In der Bundeswehr übernimmt neben dem Hausarzt („Truppenarzt“) der militärische Sozialdienst mit einem flächendeckenden Netz von Mitarbeitern in den Einheiten der Betroffenen diese Aufgabe und kümmert sich um Fragen der Kostenübernahme von Behandlungen oder anderweitige soziale Problematiken. Auch ehemalige Soldaten können auf dieses Angebot zurückgreifen. Besonders wichtig ist die kontinuierliche Überprüfung aller verordneten Medikamente und die Beurteilung möglicher Langzeitnebenwirkungen, Abhängigkeiten oder Arzneimittelinteraktionen. Besondere Aufmerksamkeit sollte chronischen Schmerzen und Schlafstörungen gelten, zusätzlich auch einer möglichen Selbstmedikation mit Alkohol oder anderen Substanzen, der chronischen Einnahme nicht steroidaler Antiphlogistika (die zu Rebound-Kopfschmerzen oder Schmerzen beitragen können), der chronischen Einnahme von Sedativa/Hypnotika sowie von Opioidanalgetika.
Bei allen Soldaten sollte nach Auslandseinsätzen routinemäßig ein Screening auf posttraumatische Belastungsstörungen, Depression und Alkoholmissbrauch erfolgen. Dieses wird derzeit in der Bundeswehr entwickelt und soll zukünftig neben die Erfassung der „körperlichen Fitness“ eine „psychische Fitness“ stellen. Zur Anwendung in der Primärversorgung wurden in den amerikanischen Streitkräften drei Screening-Instrumente validiert, die allgemein zugänglich sind: der „Four-Question Primary Care Posttraumatic Stress Screen“ (PC-PTSD), der „Two-Question Patient Health Questionnaire“ (PHQ-2) und das „Three-Question Alcohol Use Disorders Identification Test-Consumption Module“ (AUDIT-C) (Tab. 471e-3). Ein positives Screening-Ergebnis für eine Depression oder posttraumatische Belastungsstörung sollte zu Anschlussfragen zu diesen Krankheiten und/oder zur Anwendung eines längeren Screening-Instruments, wie dem PHQ-9 oder der National Center for Posttraumatic Stress Checklist führen. Die Einschätzung von Eigen- oder Fremdgefährdung sollte den gesamten diagnostischen und therapeutischen Prozess kontinuierlich begleiten.
Da die klinische Definition einer akuten Gehirnerschütterung/leichten traumatischen Hirnschädigung weder Symptome noch den zeitlichen Verlauf oder eine funktionelle Beeinträchtigung berücksichtigt, gibt es derzeit kein klinisches validiertes Screening-Instrument, das Monate bis Jahre nach der Verletzung angewandt werden kann. Es ist daher wichtig, Informationen über alle während des Einsatzes erlittenen Verletzungen zu erfassen, die mit einem Verlust oder einer Veränderung des Bewusstseins oder einer Amnesie zum Zeitpunkt des Traumas verbunden waren. Falls es zu Schädel-Hirn-Traumata gekommen ist, sollte der Arzt deren Anzahl, die Dauer der Bewusstlosigkeit und die Verletzungsmechanismen ermitteln. Weiterhin sollten mögliche postkommotionelle Symptome, die unmittelbar nach dem Trauma auftraten (z. B. Kopfschmerzen, Schwindel, Tinnitus, Übelkeit, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen) sowie deren Schwere und Dauer ermittelt werden.
Behandlung: Allgemeine Behandlungsprinzipien
Aufgrund der beschriebenen Wechselbeziehungen von einsatzbedingten somatischen und psychischen Erkrankungen sollte die Behandlung gut koordiniert und integrativ erfolgen. Dabei haben sich verschiedene Bausteine als nützlich erwiesen, wie die Vereinbarung regelmäßiger Vorstellungen beim Hausarzt (und nicht nur bei Bedarf), die Erstellung eines Fallmanagements in Zusammenarbeit mit komplementären Berufsgruppen (z. B. Sozialdienste), das schrittweise Hinzuziehen von Fachärzten (statt der sofortigen Überweisung des Patienten zu einem Facharzt, damit dieser die Behandlung übernimmt) und ambulante sowie stationäre psychotherapeutische Angebote.
Bei der Erarbeitung eines Gesamtbehandlungsplans mit dem Patienten sollte beachtet werden, dass bestehende körperliche Symptome nicht voreilig auf psychische Erkrankungen oder die Einsatzbelastung zurückgeführt, sondern zunächst fachgerecht organisch abgeklärt werden. Jedes andere Vorgehen geht mit der Gefahr einer Beeinträchtigung der Arzt-Patient-Beziehung oder einer Symptomexazerbation einher. Falls frühzeitig eine psychiatrische Intervention notwendig wird, sollte dem Patienten deutlich gemacht werden, dass diese zum Beispiel deswegen erfolgt, um Schlafstörungen zu bessern und die physiologische Übererregtheit (Hyperarousal) zu reduzieren, was wiederum die Behandlung der einsatzbedingten chronischen Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen oder der chronischen Müdigkeit erleichtern kann.
Sollten sich Anhalte für einen Alkoholmissbrauch oder eine Alkoholabhängigkeit ergeben, kann eine kurze motivationale Intervention sinnvoll sein, in deren Rahmen das erhöhte Ausmaß des Alkoholkonsums bewusst gemacht, der Soldat über die gesundheitlichen Folgen von Alkohol aufgeklärt und eine Mengenreduktion oder Abstinenz empfohlen wird. Ziele bezüglich des Trinkverhaltens sollten erarbeitet sowie eine anschließende engmaschige Begleitung bzw. weitere stationäre oder ambulante suchttherapeutische Maßnahmen erarbeitet werden. Derartige Programme werden in den Bundeswehrkrankenhäusern als dreiwöchige stationäre qualifizierte Entzüge (QE) angeboten. Das Gespräch mit dem betroffenen Soldaten lässt sich vereinfachen, wenn betont wird, dass Einsätze in Kriegsgebieten zu einem vermehrten Verlangen nach Alkohol führen, da der Körper nach Wegen sucht, die Belastung zu vermindern. Oft trinken Einsatzsoldaten bewusst oder unbewusst, um besser zu schlafen, weniger erregt zu sein oder nicht über die Ereignisse im Einsatzgebiet nachdenken zu müssen. Es sollte dabei deutlich gemacht werden, dass Trinken zur Schlafförderung zwar subjektiv zunächst hilfreich erscheint, tatsächlich aber das Schlafmuster und die Schlafqualität verschlechtert (z. B. durch initiale Reduktion der REM-Schlaf-Phasen mit Rebound-REM-Aktivität und morgendlichem Früherwachen). Häufig ist auch ein Schamgefühl oder eine Verschiebung individueller Wertorientierungen, die durch Einsätze entstehen können, z. B. durch das Töten von Menschen oder das Erleben von Not und Leid in der Zivilbevölkerung, mit autodestruktiven Impulsen verbunden, die unter anderem in einem Missbrauch von Alkohol münden können (Zimmermann et al. 2016).
Spezielle Behandlungsstrategien bei posttraumatischer Belastungsstörung und begleitender Depression
Posttraumatische Belastungsstörungen und Depressionen treten bei Soldaten nach Auslandseinsatz nicht selten komorbide auf. Es existieren ähnliche evidenzbasierte Behandlungsoptionen, wie die Gabe von Antidepressiva, eine kognitive Verhaltenstherapie oder beides. Eine Psychoedukation als erster therapeutischer Schritt, der den Betroffenen dabei hilft zu verstehen, dass ein Teil der Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung ihre Grundlage in adaptativen Überlebensstrategien und den für Soldaten notwendigen militärischen Denk- und Handlungsmustern haben, kann die Herstellung eines Arbeitsbündnisses erleichtern. Dazu gehören eine ständige und ausgeprägte Wachsamkeit gegenüber Bedrohungen, die verminderte Wahrnehmung und Äußerung von Emotionen, eine erhöhte Leistungsfähigkeit trotz Schlafentzugs und die Nutzung von Aggressivität zur besseren Fokussierung und Angstkontrolle. Daher ist die posttraumatische Belastungsstörung bei Soldaten sowohl eine psychiatrische Erkrankung als auch eine Summation von Reaktionen, die Folge von physiologischen Anpassungen und Fähigkeiten sind, die erfolgreich in Gefechtssituationen verwendet wurden.
Erwähnenswert und therapeutisch eine besondere Herausforderung sind anderweitige einsatzbezogene Traumatisierungen wie Vergewaltigungen bzw. sexuelle Nötigungen durch Kameraden. Diese sind vor allem bei weiblichen Veteranen besonders pathogen, kommen aber auch bei Männern vor, da dadurch das basale Sicherheitsgefühl zerstört wird, das der Einzelne in einem Kriegsgebiet aus der Zugehörigkeit zu seiner Einheit zieht. In der Bundeswehr spielen derartige Traumata allerdings quantitativ eine untergeordnete Rolle.
Ende 2011 wurde von der Arbeitsgemeinschaft Medizinisch Wissenschaftlicher Fachgesellschaften (AWMF) eine S3-Leitlinie zur posttraumatischen Belastungsstörung auf hohem Evidenzniveau verabschiedet. Darin wird zur Behandlung empfohlen: „Bei der Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung soll mittels Konfrontation mit der Erinnerung an das auslösende Trauma das Ziel der Integration unter geschützten therapeutischen Bedingungen erreicht werden. Die Bearbeitung traumatisch fixierter Erinnerungen und sensorischer Fragmente ist ein zentraler Bestandteil der Behandlung. Dazu sollen traumadaptierte Behandlungsmethoden eingesetzt werden.“ In erster Linie werden die Verfahren EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) und CBT (Kognitiv-behaviorale Therapie) empfohlen, nach jetzigem Kenntnisstand mit vergleichbarer Wirksamkeit.
Adjuvante Verfahren wie Ergotherapie, Kunsttherapie, Musiktherapie, Körper- und Bewegungstherapie und Physiotherapie können in einem traumaspezifischen Gesamtbehandlungsplan berücksichtigt werden. Außerdem wurden mehrere komplementäre alternativmedizinische Behandlungsansätze bei der posttraumatischen Belastungsstörung untersucht, wie Akupunktur, Aufmerksamkeitsmeditation, Yoga und Massage. Obwohl es sich dabei nicht um evidenzbasierte Verfahren handelt, können sie die traumabezogene Stabilisierung und Entspannung erleichtern und die Symptome der Übererregbarkeit lindern.
Die kognitive Verhaltenstherapie (CBT) umfasst verschiedene Elemente wie die narrative Expositionstherapie, bei der das Erlebte in einem intensivierten Erzählstil mehrfach wiedergegeben wird, die In-vivo-Exposition, um psychophysische Reaktionen auf belastende Reize (z. B. ein überfülltes Kaufhaus) durch abgestufte Gewöhnung zu vermindern und Verfahren zur Modulation der physiologischen Übererregbarkeit (z. B. Zwerchfellatmung, progressive Muskelrelaxation). EMDR arbeitet ähnlich wie die CBT mit der kognitiven und emotionalen Auseinandersetzung mit dem Traumageschehen, verwendet dabei aber zusätzlich als Bestandteil des Prozesses bilaterale Stimulationen, meist durch angeleitete Augenbewegungen des Patienten alternierend zu den Seiten. Dadurch wird ein in seiner Physiologie noch nicht vollständig verstandener Verarbeitungsreflex ausgelöst, der zunächst zu einer erheblichen Aktivierung des Geschehens („Abreaktionen“) und anschließend zu einer Umbewertung und Verarbeitung führt. Diese klassischen traumatherapeutischen Ansätze sollten im Gesprächsverlauf gerade im militärischen Kontext auch die Thematisierung moralischer Verletzungen durch das Erleben moralisch fragwürdiger Situationen sowie die Veränderung von Wertorientierungen durch Auslandseinsätze und die damit verbundenen interkulturellen Erfahrungen integrieren. Ein begleitendes gruppentherapeutisches Setting kann dabei hilfreich sein (Zimmermann et al. 2016).
Ein pragmatischer Handlungsansatz für den Hausarzt könnte die initiale Therapie einer leichten bis mittelschweren posttraumatischen Belastungsstörung mit einem SSRI und die Überweisung des Patienten zu einem ambulanten Psychotherapeuten sein.
Für alle Therapieansätze bei der posttraumatischen Belastungsstörung gilt, dass sie bei einem nicht unerheblichen Teil der Patienten unzureichend wirksam sind, sodass oft mehrere Therapieformen kombiniert werden müssen oder eine Umstellung der Therapie erforderlich ist. Oft sind SNRI eine nützliche Alternative bei Nichtansprechen auf SSRI, insbesondere wenn gleichzeitig ein chronisches Schmerzsyndrom vorliegt (v. a. Duloxetin ist auch bei Schmerzen indiziert). Die Patienten sollten darauf hingewiesen werden, dass SSRI und SNRI die Angst initial verstärken können. Deswegen sollte die Behandlung mit der niedrigsten empfohlenen Dosis beginnen (oder sogar für einige Tage mit der Hälfte davon) und anschließend langsam gesteigert werden. Mirtazapin kann zu Schwindel und Gewichtszunahme führen. Antidepressiva sind zusätzlich auch bei einer Depression hilfreich, die oft begleitend bei Soldaten mit posttraumatischer Belastungsstörung besteht. Alle Antidepressiva haben potenzielle Arzneimittelwechselwirkungen, die bei der Auswahl der geeigneten Substanz bedacht werden müssen.
Neben den beschriebenen Substanzen der ersten Wahl kommen auch noch andere Medikamente für die Behandlung der PTBS infrage, meist für spezielle Symptombereiche wie Schlaf, Schmerz oder Angst (z. B. trizyklische Antidepressiva, Benzodiazepine, atypische Neuroleptika und Antiepileptika). Sie sollten wegen der größeren Risiken und stärkeren Nebenwirkungen grundsätzlich nur von einem Psychiater verordnet werden. Insbesondere Benzodiazepine sollten bei einsatzbelasteten Soldaten in der Behandlung des PTDS vermieden werden. Studien haben gezeigt, dass sie trotz initialer Symptomlinderung die Kernsymptome der posttraumatischen Belastungsstörung nicht beheben, sondern eher zu einer Abhängigkeitsentwicklung führen oder einen bestehenden Substanzmissbrauch verschärfen können. Atypische Neuroleptika, die zur adjuvanten Therapie bei Depression, Angst und Schlafstörungen immer beliebter werden, haben signifikante Langzeitnebenwirkungen, wie metabolische Effekte (z. B. diabetogene Wirkung), Gewichtszunahme und kardiovaskuläre Risiken.
Schlafstörungen sollten zunächst durch eine Verbesserung der Schlafhygiene behandelt werden. Anschließend kann die Gabe eines Antihistaminikums, von Trazodon, niedrig dosiertem Mirtazapin oder von sedativen Hypnotika, wie Zolpidem, Eszopiclon oder Zaleplon, erwogen werden. Allerdings sollten auch nicht zu den Benzodiazepinen gehörende Hypnotika nur vorsichtig angewandt werden, da sie zur Toleranz und zu Rebound-Schlafstörungen ähnlich denen bei Benzodiazepineinnahme führen können.
Behandlungsstrategien bei Gehirnerschütterung/leichter traumatischer Hirnschädigung und einsatzbedingten postkommotionellen Symptomen
Die Gehirnerschütterung/leichte traumatische Hirnschädigung wird akut am besten mit Aufklärung und Ruhe behandelt, damit das Gehirn sich erholen kann und vor einem so genannten Second-Impact-Syndrom geschützt wird (einem seltenen aber lebensbedrohlichen Ereignis mit einem generalisierten Hirnödem, das entsteht, wenn ein erneutes Schädel-Hirn-Trauma auftritt, bevor die Folgen des ersten Traumas abgeklungen sind). Randomisierte Studien haben gezeigt, dass Aufklärung über die zu erwartenden Folgen und die im Regelfall gute Prognose nach einer Gehirnerschütterung persistierende Symptome am effektivsten verhindern kann.
Sobald das Militärpersonal aus dem Kampfgebiet zurückgekehrt ist und wegen gesundheitlicher Probleme einen Arzt aufsucht, erfolgt die Behandlung überwiegend symptomatisch, patientenzentriert und interdisziplinär. Die bei mittelschwerer bis schwerer traumatischer Hirnschädigung sehr hilfreiche kognitive Rehabilitation zur Verbesserung der Gedächtnisfunktion, der Aufmerksamkeit und der Konzentration war in randomisierten klinischen Studien bei leichter traumatischer Hirnschädigung nicht wirksam, obwohl von Konsensusgruppen empfohlen.
Allgemeine Empfehlungen zum klinischen Management persistierender postkommotioneller Symptome sind die Behandlung körperlicher und kognitiver Gesundheitsprobleme unter Berücksichtigung von aktuellen Beschwerden, Begleiterkrankungen und Patientenwünschen sowie die Behandlung einer begleitenden Depression, posttraumatischen Belastungsstörung, Erkrankung durch Substanzmissbrauch oder anderer Faktoren, die vermutlich zur Symptompersistenz beitragen. Das häufigste Symptom nach einer Gehirnerschütterung/leichten traumatischen Hirnschädigung sind Kopfschmerzen, deren differenzialdiagnostische Abklärung und Behandlung nach den gleichen Grundsätzen wie bei Kopfschmerzen anderer Genese erfolgen sollte (Kap. 21 und 447). Der Einsatz von Stimulanzien zur Behandlung von kognitiven Einschränkungen nach einer Gehirnerschütterung/leichten traumatischen Hirnschädigung wird nicht empfohlen. Wichtig ist die Berücksichtigung von ungünstigen Wirkungen auf Kognition und Vigilanz, wenn Medikamente zur Behandlung von Depression, Angst, Schlafstörungen oder chronischen Schmerzen verordnet werden.
Die Behandlung neuropsychiatrischer Beschwerden sollte gemeinsam mit anderen einsatzbedingten Erkrankungen Teil eines Gesamtbehandlungsplans sein. Ziele sind die Reduktion der Symptomschwere, die Verbesserung der Teilnahme am sozialen und Berufsleben sowie die Prävention einer Langzeitbehinderung. Einsatzbedingte Gesundheitsstörungen sollten bei der Diagnostik und Behandlung von Soldaten immer differenzialdiagnostisch erwogen werden, um daraus eine umfassende Behandlungsstrategie abzuleiten.
Ausschlusserklärung
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Weiterführende Literatur
Wittchen HU, Schönfeld S, Kirschbaum C, Thurau C, Trautmann S, Steudte S, Zimmermann P: Traumatic experiences and posttraumatic stress disorder in soldiers following deployment abroad: how big is the hidden problem? Dtsch Arztebl Int 109(35–36):559–68, 2012
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