90e Anwendungen der Stammzellbiologie in der klinischen Medizin
Endogene Stammzellen ersetzen in einem Gleichgewichtszustand absterbende Zellen und regenerieren Organe. Das Ziel von Stammzelltherapien ist, den Zellersatz von Organen zu fördern, der über die intrinsische Kapazität der Selbstheilung hinausgeht.
Es können mindestens drei verschiedene Konzepte für den Zellersatz erwogen werden: die Injektion von Stammzellen direkt in das geschädigte Organ oder in die Zirkulation, die In-vitro-Differenzierung von Stammzellen, gefolgt von einer Transplantation in das geschädigte Organ, oder die Stimulation endogener Stammzellen.
Derzeit werden embryonale Stammzellen, induzierbare pluripotente Stammzellen (iPS) sowie organspezifische multipotente Stammzellen in Studien untersucht, wobei für die Chancen, die diese Form der Organregeneration ermöglicht, Zellart-spezifische Problem noch zu lösen sind.
Es wird eingegangen auf krankheitsspezifische Ansätze der Stammzelltherapie bei kardialen, endokrinologischen, neuronalen und hepatischen Erkrankungen. Ein Ausblick auf weitere Entwicklungen und mögliche Hybridtherapien wird dargelegt.
Es ist nötig, ethische und soziale Aspekte zu berücksichtigen, um für diese vielversprechenden Therapieoptionen in den verschiedenen Gesellschaftsformen Akzeptanz zu finden. Ergänzungen für den europäischen und deutschen Raum bezüglich der aktuellen Rechtsprechungen wurden vorgenommen.
Für die deutsche Ausgabe Caroline Schmidt-Lucke
Eine Organschädigung löst eine Reihe von Reparaturprozessen aus, die zur Wiederherstellung des geschädigten Gewebes führen, wie die Proliferation, Migration und Differenzierung verschiedener Zelltypen, die Freisetzung von Zytokinen und Chemokinen und die Umbildung, sog. Remodelling, der extrazellulären Matrix. Zellpopulationen wie endogene Stamm- und Progenitorzellen sind bei der Regeneration nach Verletzungen beteiligt. Im normalen Gleichgewichtszustand ersetzen intrinsische endogene Stammzellen des Gewebes abgestorbene Zellen. Endogene Stammzellen in Geweben, wie Leber und Haut, haben eine außerordentliche Fähigkeit, diese Organe zu regenerieren, während Herz und Hirn eine deutlich stärker eingeschränkte Fähigkeit zur Selbstheilung haben. Außerdem können in geringeren Maßen zirkulierende Stammzellen bei regenerativen Antworten beteiligt sein, indem sie in ein Gewebe migrieren und in organspezifische Zellarten differenzieren. Das Ziel von Stammzelltherapien ist, den Zellersatz in Organen zu fördern, die über die organspezifische Kapazität der Selbstheilung hinaus geschädigt sind.
Allgemeine Strategien zum Stammzellersatz
Es werden mindestens drei verschiedene Konzepte für den therapeutischen Zellersatz in Erwägung gezogen (Abb. 90e-1): (1) Die Injektion von Stammzellen direkt in das geschädigte Organ oder in die Zirkulation, wodurch sie die Möglichkeit haben, sich in dem geschädigten Organ niederzulassen (sog. „homen“). Alternativ können Stammzellen auch systemisch injiziert werden, da sie den Gradienten der vom verletzten Organ freigesetzten Zytokine und Chemokine folgen und sich dort niederlassen. (2) Ein zweiter Ansatz besteht in der Transplantation von aus Stammzellen differenzierten Zellen. So könnten beispielsweise pankreatische Inselzellen von Stammzellen generiert werden, bevor sie in Diabetiker transplantiert werden, oder Kardiomyozyten hergestellt werden, um ischämische Herzerkrankungen zu behandeln. (3) Außerdem können endogene Stammzellen stimuliert werden, um das Ausbessern geschädigten Gewebes zu erleichtern. Dies kann erreicht werden durch die Applikation von notwendigen Wachstumsfaktoren und Medikamenten, um die Anzahl endogener Stamm-/Progenitorzellen zu vermehren, oder um sie in die gewünschten Zelltypen zu differenzieren. Die therapeutische Stimulation von Präkursorzellen ist im hämatopoetischen System bereits klinische Realität, wo Faktoren wie Erythropoetin, Granulocyte Colony-stimulating Factor (G-CSF) und Granulocyte-macrophage Colony-stimulating Factor (GM-CSF) zur Steigerung der Produktion bestimmter Blutbestandteile verwendet werden. Neben diesen Strategien des Zellersatzes bietet die Ex-vivo- oder In-situ-Generation von Geweben eine Alternative der Gewebetechnik (Tissue Engineering) (Kap. 92e). Stammzellen sind außerdem exzellente Vehikel in der zellulären Gentherapie (Kap. 91e). Schließlich haben transplantierte Stammzellen parakrine Effekte auf das beschädigte Gewebe, ohne zu differenzieren und die verlorenen Zellen zu ersetzen.
Die Stammzelltransplantation an sich ist kein neues Konzept und bereits Teil etablierter medizinischer Behandlungen. Hämatopoetische Stammzellen (Kap. 89e) werden für die langfristige Wiederbesiedlung aller Blutzellen nach Transplantation bei Knochenmarksempfängern genutzt. Die hämatopoetische Stammzelltransplantation ist nun der Goldstandard, an dem andere Stammzelltherapien gemessen werden. Die Transplantation differenzierter Zellen ist ebenfalls klinische Realität: gespendete Organe und Gewebe werden häufig benutzt, um geschädigte Organe zu ersetzen. Allerdings deckt die vorhandene Menge der transplantierbaren Gewebe und Organe längst nicht den Bedarf und ist für manche Organe, wie das Gehirn, nicht geeignet. Stammzellen bieten daher die Möglichkeit einer erneuerbaren Quelle des Ersatzes fast aller Organe.
Abbildung 90e-1Strategien zur Transplantation von Stammzellen. 1. Undifferenzierte oder partiell differenzierte Stammzellen können direkt in das Zielorgan oder intravenös injiziert werden; 2. Stammzellen können ex vivo, vor der Injektion in das Zielorgan, differenziert werden; 3. Wachstumsfaktoren oder andere Substanzen können zur Stimulierung von endogenen Stammzellpopulationen injiziert werden, um zu stimulieren.
Herkunft von Stammzellen zur Wiederherstellung von Geweben
Für regenerative Therapieansätze können zahlreiche Formen von Stammzellen (Kap. 88) verwendet werden, wie embryonale Stammzellen, induzierte pluripotente Stammzellen (iPS), Stammzellen aus Nabelschnurblut, organspezifische Stammzellen (z. B. neuronale Stammzellen für die Therapie des Gehirns) und somatische Stammzellen, die Zellarten für das Zielgewebe generieren, und nicht für das Spenderorgan (wie mesenchymale Stammzellen aus dem Knochenmark oder CD34-positive hämatopoetische Stammzellen für die Wiederherstellung kardialen Gewebes). Jeder Zelltyp hat seine Vor- und Nachteile und es gibt stammzellspezifische Probleme bei der Entwicklung zuverlässiger klinischer Werkzeuge aus diesen Zellen.
Embryonale Stammzellen
Embryonale Stammzellen können in alle Zellformen des Körpers differenzieren, sodass sie theoretisch für alle Organe einsetzbar sind. Sie können sich unendlich erneuern, sodass eine einzelne Zelllinie mit sorgfältig charakterisierten Merkmalen Zellen in großer Zahl generieren kann. Ohne moralische oder ethische Zwänge (siehe unten, „Ethische Aspekte“), könnten theoretisch die humanen Blastozysten aus Befruchtungskliniken zur Gewinnung neuer embryonaler Stammzelllinien verwendet werden, die immunologisch zu den potenziellen Empfängern passen würden. Alternativ könnten mittels Kerntransfers in somatischen Zellen („therapeutisches Klonen“) embryonale Stammzelllinien erzeugt werden, die genetisch mit denen des Patienten identisch sind, obwohl dies bei humanen Zellen bislang technisch nicht machbar war. Allerdings sind humane embryonale Stammzellen schwierig zu kultivieren und wachsen langsam. Man beginnt erst langsam mit der Entwicklung von Verfahren, um sie in bestimmte Zelltypen differenzieren zu lassen. Bei längerer Vermehrung in Kultur neigen diese Zellen zur Ausbildung anormaler Karyotypen und anderer Anomalien und haben das Potenzial, Teratome zu bilden, wenn sie vor der Transplantation nicht auf den gewünschten Zelltyp festgelegt sind. Außerdem werden humane embryonale Stammzellen aus ethischen Gesichtspunkten kontrovers beurteilt und sind daher trotz ihres enormen Potenzials für manche Patienten und Kliniker inakzeptabel. Dennoch gibt es eng umschriebene klinische Studien über den Einsatz von embryonalen Stammzellen bei Krankheiten, wie Makuladegeneration, Myopie und Rückenmarksschäden.
Induzierte pluripotente Stammzellen
Das Gebiet der Stammzellbiologie wurde durch die Entdeckung revolutioniert, dass sich adulte somatische Zellen durch Überexpression der normalerweise von pluripotenten Stammzellen exprimierten Transkriptionsfaktoren in pluripotente Stammzellen umwandeln oder „umprogrammieren“ lassen (Kap. 88). Diese induzierten pluripotenten Stammzellen haben viele Eigenschaften von embryonalen Stammzellen, obwohl es umschriebene Unterschiede in der Genexpression zwischen embryonalen und induzierten pluripotenten Stammzellen gibt. Zunächst wurden Viren verwendet, um die Transkriptionsfaktoren in die somatischen Zellen zu transportieren, sodass sie für den klinischen Einsatz nicht geeignet waren. Inzwischen wurden jedoch mehrere Strategien entwickelt, die dieses Problem umgehen, wie die Insertion von modifizierter mRNS, Proteinen oder mikroRNS statt cDNAs; der Einsatz von nicht integrierenden Viren, wie dem Sendai-Virus, die Insertion von Transposons mit Programmierungsfaktoren mit nachfolgender Entfernung der Transposons und die Verwendung von loxP-Stellen flankierten, sog. gefloxten, Viruskonstrukten mit anschließender Exzision durch Cre-Rekombinase. Die Sicherheit von iPS-Zellen beim Menschen muss noch gezeigt werden. Dazu sind klinische Studien bei der Makuladegeneration und anderen Krankheiten geplant. Ihr möglicher Vorteil ist, dass der Einsatz der somatischen Zellen von Patienten zu genetisch identischen induzierten pluripotenten Stammzellen führen würde, die zudem nicht denselben ethischen Bedenken unterliegen wie embryonale Stammzellen. Es ist nicht bekannt, ob sich die Unterschiede bei der Genexpression zwischen embryonalen und induzierten pluripotenten Stammzellen auf deren möglichen späteren klinischen Einsatz auswirken werden – dazu sind klinische Studien mit beiden Zelltypen erforderlich.
Stammzellen aus Nabelschnurblut
Stamm-/Progenitorzellen aus Nabelschnurblut sind weit verbreitet und gut erhältlich. Sie sind im Gegensatz zu Stammzellen des Knochenmarks mit deutlich weniger Graft-versus-host-Reaktionen assoziiert. Sie haben weniger Einschränkungen durch HLA als adulte Stammzellen aus dem Knochenmark und sind seltener mit dem Herpesvirus kontaminiert. Es ist jedoch nicht klar, wie viele verschiedene Zellarten jene Zellen generieren können, und die Methoden zur Differenzierung in nicht hämatopoetische Phänotypen fehlen. Trotzdem laufen derzeit klinische Studien mit diesen Zellen bei zahlreichen Krankheiten, wie Zirrhose, Kardiopathien, multiple Sklerose, Verbrennungen, Schlaganfall, Autismus und kritischer Extremitätenischämie.
Organspezifische multipotente Stammzellen
Da organspezifische multipotente Stammzellen einigermaßen spezialisiert sind, können sie leichter in den gewünschten Zelltyp differenziert werden. Diese Zellen könnten möglicherweise von den Patienten entnommen und in Kultur expandiert werden, wodurch die Probleme, die mit der Immunantwort assoziiert sind, umgangen werden können. Multipotente Stammzellen können relativ leicht aus Geweben wie dem Knochenmark und Blut entnommen werden, sind jedoch schwieriger aus anderen Geweben, wie Herz und Gehirn, zu isolieren. Das Potenzial dieser Zellen ist jedoch kleiner als das von embryonalen und induzierten pluripotenten Stammzellen, und sie können bei vielen Organen nur schwer in größerer Menge gewonnen werden. Daher wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, um mehr pluripotente Stammzellpopulationen für den Einsatz in regenerativen Therapien zu erhalten, wie mesenchymale Stammzellen des Knochenmarks (MSCs), CD34-positive hämatopoietische Stammzellen (HSCs), kardiale Mesenchymzellen oder des Fettgewebes. Hinweise aus Gewebekulturen legen nahe, dass diese Stammzellpopulationen durch einen Prozess, der als Transdifferenzierungbekannt ist, zahlreiche Zellarten generieren können, einschließlich Myozyten, Chrondrozyten, Sehnenzellen, Osteoblasten, Kardiomyozyten, Adipozyten, Hepatozyten und Neuronen. Es ist allerdings unklar, wie effektiv sich diese differenzierten Zellen nach einer Transplantation in vivo in Organe integrieren, überleben und dort ihre Funktion ausüben. Erste Studien von transplantierten knochenmarkstämmigen Stammzellen in Herz, Leber und anderen Organen postulierten, dass diese Zellen in organspezifische Zellarten differenzierten und in Krankheitsmodellen im Tierversuch positive Wirkung hatten. Anschließende Studien zeigten dann jedoch, dass die eingewanderten Stammzellen lediglich mit residenten Zellen in den Organen fusioniert waren und dass der beobachtete Nutzen auf der Freisetzung parakriner trophischer und antiinflammatorischer Zytokine beruhte. Weitere Studien werden nötig sein, um zu untersuchen, ob die Transdifferenzierung von mesenchymalen Stammzellen, adipösen Stammzellen und anderen Stammzellpopulationen häufig genug stattfindet, um sie für die Stammzellersatztherapie einzusetzen. Erste klinische Studien mit Stammzellen des Knochenmarks, autologen hämatopoetischen, umbilikalen und adipogenen Stammzellen bei der ischämischen Herzkrankheit, der Kardiomyopathie, Diabetes, Schlaganfall, Zirrhose und Muskeldystrophie zeigen uneinheitliche Ergebnisse, die die Heterogenität der Studien reflektieren.
Unabhängig von der Herkunft von Stammzellen, die in der regenerativen Medizin eingesetzt werden, müssen eine Reihe spezifischer Probleme für die Entwicklung erfolgreicher klinischer Anwendungen gelöst werden. Dazu gehört die Entwicklung von Methoden zur verlässlichen Generierung größerer Mengen spezifischer Zellarten. Hierdurch sollen das Risiko der Tumorentwicklung und Proliferation ungeeigneter Zellarten minimiert, die Lebensfähigkeit und Funktion der implantierten Zellen gewährleistet, Abstoßungsreaktionen bei allogenen Transplantationen überwunden, und die Revaskularisierung des regenerierten Gewebes erleichtert werden. Außerdem wird jedes Organsystem seine gewebespezifischen Probleme bei der Stammzellentherapie aufwerfen.
Krankheitsspezifische Stammzellenansätze
Ischämische Herzerkrankung und Kardiomyozytenregeneration
Bedingt durch die hohe Prävalenz von ischämischen Herzerkrankungen, werden umfangreiche Bemühungen zur eingehenden Erforschung des Ersatzes von Kardiomyozyten unternommen. Ursprünglich wurde das Herz des Erwachsenen als terminal differenziertes Organ ohne Möglichkeiten der Regeneration angesehen. Anschließende Studien belegten jedoch, dass im Myokard Kardiomyozytenregeneration auf niedrigem Niveau stattfindet (Kap. 265e). Diese Regeneration wird am ehesten durch kardiale residente Stammzellen im Herzen erreicht und wahrscheinlich durch Zellen aus dem Knochenmark. Wenn diese Zellen charakterisiert, isoliert und ex vivo vermehrt werden könnten, wären sie eine ideale Quelle von Stammzellen zu therapeutischen Zwecken. Für eine effektive myokardiale Regeneration müssen Zellen entweder systemisch oder lokal appliziert werden. Anschließend müssen die Zellen überleben, implantieren und in funktionstüchtige Kardiomyozyten transdifferenzieren, die sich mechanisch und elektrisch mit dem Empfängermyokard verbinden. Der optimale Applikationsweg ist noch nicht endgültig geklärt, und verschiedene Studien haben intramyokardiale, transendokardiale, intravenöse, intrakoronare und retrograde koronarvenöse Injektionswege untersucht. Bei experimentellen Herzinfarkten wurden funktionelle Verbesserungen nach Transplantation von verschiedenen Zellarten, wie embryonalen Stammzellen, Knochenmarkzellen, endothelialen Stammzellen und Stammzellen des Fettgewebes erzielt. Erste Studien ließen vermuten, dass jeder dieser Zelltypen Kardiomyozyten würde ersetzen können. Die meisten Untersucher kamen jedoch zu dem Ergebnis, dass die Generation von Kardiomyozyten durch diese Zellen allenfalls ein seltenes Ereignis ist mit kurzer Überlebenszeit des Transplantats. Die überwiegende Beweislast suggeriert, dass die funktionellen Verbesserungen nicht auf eine direkte Bildung von Kardiomyozyten zurückgeführt werden können, sondern eher auf indirekte Effekte der Stammzellen auf residente Zellen, vermutlich im Sinne einer Freisetzung von löslichen Wachstumsfaktoren, dem Auslösen der Angiogenese, der Freisetzung antiinflammatorischer Zytokine oder anderer Mechanismen. Zahlreiche Verfahren zur Applikation der Zellen sowie unterschiedliche Zelltypen und -dosierungen wurden in mehreren kleineren klinischen Studien eingesetzt. Insgesamt haben diese Studien eine kleine, aber messbare Verbesserung der Herzfunktion und in einigen Fällen der Infarktgröße gezeigt. Aktuell müssen die Ergebnisse in den rekrutierenden internationalen Multizenterstudien bestätigt werden. Trotzdem ist das Schicksal der Zellen, wie sie die kardiale Funktion verbessern und ihre Wirkung auf harte Endpunkte wie Mortalität ausüben, noch nicht abschließend geklärt.
Diabetes mellitus
Der Erfolg der Inselzell- und Pankreastransplantation beweist die Machbarkeit eines zellbasierten Ansatzes für den Typ-1-Diabetes. Allerdings übersteigt der Bedarf an Spenderpankreata bei weitem die verfügbare Anzahl, und das langfristige Überleben des Transplantats bleibt ein Problem. Daher wurde auch hier intensiv nach einer erneuerbaren Stammzellquelle gesucht, die in der Lage ist, Pankreasinseln zu regenerieren. Der Umsatz von pankreatischen β-Zellen findet im Pankreas unter normalen Bedingungen statt, wobei die Herkunft der neuen β-Zellen kontrovers diskutiert wird. Es liegt nahe, dass sich prinzipiell Strategien entwickeln lassen müssten, mit denen sich die Betazellpopulation bei Diabetes wiederherstellen lässt. Alle Versuche, die endogenen Reparaturprozesse durch eine Kombination aus Wachstumsfaktoren, Medikamenten und Gentherapie auszulösen, sind jedoch bislang gescheitert, stellen aber einen möglichen Ansatz dar. Verschiedene Zellarten kommen als Kandidaten für den Einsatz von Stammzellen in Frage, wie induzierte pluripotente und embryonale Stammzellen, hepatische Progenitorzellen, Pankreasgang-Progenitorzellen und Knochenmarkzellen. Eine erfolgreiche Therapie hängt davon ab, ob die Entwicklung vermehrungsfähiger Zellen gelingt, die sich zu größeren Zellpopulationen vermehren können, Insulin synthetisieren und speichern können und es bei Bedarf, vornehmlich in Abhängigkeit von den Blutzuckerwerten, wieder freisetzen. Die proliferative Kapazität der Ersatzzellen muss genau reguliert werden, um exzessive Expansionen der β-Zellzahl zu verhindern, da sich sonst eine Hyperinsulinämie und/oder Hypoglykämie entwickelt. Außerdem dürfen die Zellen keine Abstoßungsreaktion verursachen. Obwohl embryonale und induzierte pluripotente Stammzellen in insulinproduzierende Zellen differenzieren können, haben sie einen nur geringen Insulingehalt, eine hohe Apoptoserate und sind nicht in der Lage, hohe Glukosespiegel in diabetischen Tieren zu normalisieren. Daher sind embryonale und induzierte pluripotente Stammzellen noch nicht für die Produktion größerer Mengen differenzierter Inselzellen geeignet. Während der Embryogenese gehen Pankreas, Leber und der Gastrointestinaltrakt aus dem anterioren Endoderm hervor. Die Transdifferenzierung von Pankreas zu Leber und umgekehrt kann unter bestimmten pathologischen Bedingungen beobachtet werden. Außerdem gibt es sichere Belege dafür, dass multipotente Stammzellen in den Magendrüsen und Darmkrypten leben. Diese Beobachtungen lassen hepatische, pankreatische und/oder gastrointestinale Präkursorzellen als geeignete Kandidaten für eine zellbasierte Therapie des Diabetes erscheinen. Es ist unklar, ob die Insulin produzierenden Zellen aus Stammzellen des Pankreas oder der Leber hervorgehen, die in vitro in klinisch verwendbarer Zahl expandiert werden können. Knochenmark- und neurale Stammzellen können nachweislich beide Insulin produzierende Zellen erzeugen, allerdings gibt es keine Hinweise darauf, dass eine dieser Zellarten klinisch von Nutzen ist. Derzeit laufen klinische Studien zum Einsatz von Stammzellen des Knochenmarks, umbilikalen Stammzellen, hämatopoetischen Stammzellen und adipogenen Stammzellen bei Diabetes mellitus Typ 1 und 2.
Nervensystem
Bei der Erzeugung neuraler Zellen aus verschiedenen Stammzellpopulationen wurden erhebliche Fortschritte gemacht. Menschliche embryonale oder induzierte pluripotente Stammzellen können dazu veranlasst werden, Zellen mit den Eigenschaften neuraler Stammzellen zu bilden, aus denen wiederum Neurone, Oligodendroglia und Astrozyten entstehen. Die Transplantation geeigneter Mengen dieser Zellen in Nagetiergehirne führte zur Bildung der zu ersetzenden Zellarten ohne Tumorbildung. Ebenso können multipotente Stammzellen im adulten Gehirn leicht vermehrt werden, sodass sie die überwiegende Anzahl neuronaler Zelltypen generieren. Allerdings wären sehr invasive Prozeduren notwendig, um autologe Zellen zu gewinnen, was derzeit therapielimitierend ist. Die Gewinnung fetaler neuronaler Stammzellen von Fehlgeburten und Aborten ist eine Alternative, die allerdings ethische Bedenken hervorruft. Trotzdem laufen derzeit klinische Studien zum Einsatz von fetalen neuronalen Stammzellen bei amyotropher Lateralsklerose (ALS), Schlaganfall und mehreren anderen Krankheiten. Transdifferenzierung von MSC und ASC in neurale Stammzellen und zurück wurde von verschiedenen Gruppen gezeigt und war Anlass für klinische Studien auf unterschiedlichen Indikationsgebieten. Klinische Studien zu immortalisierten humanen Zelllinien und umbilikalen Stammzellen bei Schlaganfällen laufen derzeit. Aufgrund der starken Behinderung durch neurologische Krankheiten und der begrenzten endogenen Reparaturkapazität des Nervensystems gibt es besonders viele Studien zum Einsatz von Stammzellen bei neurologischen Krankheiten. Dazu gehören Studien u. a. bei Rückenmarksschäden, multipler Sklerose, Epilepsie, Alzheimer-Demenz, ALS, akuten und chronischen Schlaganfällen, zahlreichen genetisch bedingten Krankheiten, traumatischen Hirnschäden, Parkinson-Syndrom. Bei Krankheiten wie der ALS dürfte der mögliche Nutzen auf indirekten trophischen Effekten beruhen und nicht auf dem Ersatz von Neuronen. Beim Parkinson-Syndrom führt der Verlust einer einzigen Zellpopulation, der dopaminergen Neuronen in der Substantia nigra, zu den hauptsächlich motorischen Defiziten, was einen recht einfachen Zellersatz möglich machen sollte. Zwei klinische Studien mit fetaler Transplantation der Substantia nigra verfehlten die primären Endpunkte und zeigten Komplikationen durch die Entwicklung von Dyskinesien. Die Transplantation von dopaminproduzierenden Stammzellen bietet potenzielle Vorteile gegenüber fetalen Transplantaten, wie der Fähigkeit der Stammzellen, in das Gewebe zu migrieren und sich zu verteilen, der Möglichkeit, Zellen zu entwickeln, deren Dopaminfreisetzung reguliert werden kann und der Produktion von Faktoren, die das Zellüberleben verbessern. Die Erfahrungen mit fetalen Transplantaten zeigen deutlich die entstehenden Schwierigkeiten.
Zumindest einige der neurologischen Erkrankungen nach Rückenmarkverletzungen sind Folge einer Demyelinisierung, und sowohl embryonale Stammzellen als auch Knochenmarkstammzellen können die Remyelinisierung nach experimentellen Rückenmarkverletzungen erleichtern. In vielen Ländern wurden klinische Studien mit Knochenmarkstammzellen bei dieser Krankheit begonnen. Bei Rückenmarkverletzungen könnten embryonale Stammzellen erstmalig klinisch eingesetzt werden. Die Studie mit embryonalen Stammzellen bei Rückenmarksschäden wurde aus nicht medizinischen Gründen vorzeitig beendet. Knochenmarkstammzellen werden ebenfalls bei der Behandlung von Schlaganfall, traumatischer Hirnverletzung und ALS eingesetzt, bei denen mögliche Verbesserungen eher durch indirekte trophische Effekte oder Remyelinisierung als durch den neuronalen Ersatz zu erklären sind. Bis jetzt konnte bei keiner transplantierten Zellpopulation nachgewiesen werden, dass sie Neuronen ausbilden, deren Axone sich über längere Entfernungen erstrecken und dann Synapsen ausbilden (dies wäre für den Ersatz der oberen Motoneuronen bei ALS, Schlaganfall oder anderen Erkrankungen notwendig). Bei vielen Verletzungen, wie der Rückenmarksschädigung, muss auch das Gleichgewicht zwischen Narbenbildung und Gewebereparatur/-regeneration berücksichtigt werden. So könnte es sich schlussendlich als erforderlich erweisen, die Narbenbildung so zu begrenzen, dass die Axone ihre Verbindungen wiederherstellen können.
Leber
Im terminalen Leberversagen ist die Transplantation derzeit die einzige erfolgreiche Behandlungsoption, wobei dieser Ansatz durch den Mangel an Spenderorganen limitiert ist. Klinische Studien konnten zeigen, dass die Transplantation von Hepatozyten möglicherweise die Organtransplantation ersetzen kann, allerdings limitiert auch hier die geringe Anzahl der zur Verfügung stehenden Zellen den Ansatz. Mögliche Quellen von Stammzellen sind endogene Leberstammzellen (wie Ovalzellen), embryonale Stammzellen, Knochenmarkzellen und Zellen aus Nabelschnurblut. Obwohl eine Reihe von Studien an Menschen und Tieren nahelegt, dass transplantierte Stammzellen aus dem Knochenmark oder hämatopoetische Stammzellen Hepatozyten generieren können, ist dies wohl auf die Fusion der transplantierten Zellen mit den endogenen Leberzellen zurückzuführen, die fälschlicherweise den Eindruck neuer Hepatozyten erwecken. Die verfügbare Evidenz zeigt, dass transplantierte hämatopoetische Stammzellen in der Leber nur sehr langsam Hepatozyten-ähnliche Zellen produzieren und vermutlich über indirekte parakrine Effekte von Nutzen sind. Im Tiermodell des Leberversagens wurden embryonale Stammzellen in Hepatozyten differenziert, ohne dass Teratome entstanden. Derzeit laufen klinische Studien zum Einsatz von verschiedenen Stammzellen, wie Knochenmark-Stammzellen, umbilikalen Stammzellen, hämatopoetischen Stammzellen und adipogenen Stammzellen bei Zirrhose.
Andere Organsysteme und Ausblick
Der Einsatz von Stammzellen in der regenerativen Medizin wurde für eine Vielzahl weiterer Organsysteme und andere Zellarten untersucht, unter anderem für Haut, Auge, Knorpel, Knochen, Niere, Lunge, Endometrium, vaskuläres Endothel, glatte Muskelzellen und gestreifte Muskulatur. Klinische Studien zu diesen und anderen Organen laufen derzeit. Tatsächlich sind die Einsatzmöglichkeiten für die Stammzellregeneration für geschädigte Organe und Gewebe fast unendlich. Trotzdem müssen zahlreiche Hindernisse überwunden werden, bevor die Stammzelltherapie als etabliert angesehen werden kann. Lediglich hämatopoetische Stammzellen wurden ausreichend über Oberflächenmarker charakterisiert, um eine uneingeschränkte Identifikation zu ermöglichen. Dies ist die Voraussetzung für eine zuverlässige klinische Anwendung. Die Wege, die Stammzellen bei der Differenzierung in spezifische zelluläre Phänotypen nehmen, sind immer noch unbekannt, die Migration transplantierter Zellen erfolgt unkontrolliert, und die Antwort der Zellen auf die Umgebung erkrankter Organe ist unvorhersehbar. Zukünftige Strategien können die gleichzeitige Gabe von Gewebegerüsten, artifizieller extrazellulärer Matrix und/oder Wachstumsfaktoren einsetzen und kombinieren, um die Differenzierung von Stammzellen und ihre Organisation in die notwendigen Bestandteile eines Organs zu dirigieren. Da sich Stammzellen derzeit nach der Transplantation beim Menschen nicht in vivo darstellen lassen, müssen derartige Verfahren entwickelt werden. Glücklicherweise können Stammzellen vor der Transplantation so konstruiert werden, dass sie Kontrastmittel enthalten, sodass dies ermöglicht wird. Die Gefahr der Tumorbildung und eine etwaige Immunantwort sind ernsthafte Probleme. Außerdem müssen Verfahren entwickelt werden, die eine Vaskularisierung der regenerierten Gewebe sicherstellen. Viele Strategien zum Zellersatz beinhalten bereits die Koadministration von Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) zur Förderung der Vaskularisierung. Einige Strategien sehen gentechnische Manipulationen von Stammzellen vor, die ein Suizidgen enthalten, sodass sie im Falle einer Tumorbildung oder anderer Komplikationen eradiziert werden können. Das Potenzial der Stammzelltherapie zur Revolution der Medizin ist außerordentlich, und Erkrankungen wie Myokardinfarkt, Diabetes mellitus, Parkinson-Syndrom könnten durch sie bald heilbar sein. Insgesamt sind jedoch alle stammzellbasierten Therapien in einem sehr frühen Entwicklungsstadium. Die Perfektion von Techniken zur klinischen Transplantation von vorhersehbaren, gut charakterisierten Zellen ist ein schwieriges und langwieriges Vorhaben.
Ethische Aspekte
Stammzelltherapien werfen ethische und soziale Fragen auf, die gleichzeitig mit den wissenschaftlichen und medizinischen Fragestellungen bedacht werden müssen. Die Gesellschaft weist ein weites Spektrum unterschiedlicher religiöser Glaubensausrichtungen und Konzepte zum Schutz der individuellen Rechte auf sowie eine unterschiedliche Toleranz gegenüber Unsicherheiten, Risiken und Grenzen, in deren Rahmen wissenschaftliche Errungenschaften eingesetzt werden dürfen, die den Ausgang von Krankheiten beeinflussen.
In Deutschland gilt aktuell das Stammzellgesetz in der geänderten Fassung von 2008. Demnach darf die Stammzellforschung nur der genehmigungspflichtigen Grundlagenforschung sowie der Erweiterung medizinischer Kenntnisse anhand stringenter Kriterien dienen. Die Herstellung embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken ist strafrechtlich verboten. Seit 2002 ist die Einfuhr für Zellen erlaubt, die bereits vor einem Stichtag existierten (1.5.2007) und im Ausland gewonnen wurden. Ähnlich sind die Regeln in Österreich. In der Schweiz dürfen Wissenschaftler aus überzähligen menschlichen Embryonen Stammzellen gewinnen und mit den Zellen forschen. Der Europäische Gerichtshof hat 2011 entschieden, dass Verfahren, bei denen embryonale Stammzellen des Menschen verwendet werden, nicht patentiert werden dürfen. Wenn für deren Gewinnung Embryonen zerstört werden, verstoße dies gegen den Schutz der Menschenwürde. Das Urteil beschränkt damit die Verwendung dieser Zellen für die Forschung.
Laufende Studien mit aktuell vorhandenen embryonalen Stammzelllinien haben gezeigt, dass sie in der Kultur nach einiger Zeit Anomalien entwickeln und oft mit Mausprotein verunreinigt sind. Diese Befunde zeigen, dass es erforderlich ist, neue humane embryonale Stammzelllinien zu entwickeln. Durch die Entwicklung der induzierten pluripotenten Stammzellen ist die Suche nach neuen embryonalen Stammzellen zwar weniger dringlich, aber es steht noch nicht fest, ob die Unterschiede bei der Genexpression zwischen embryonalen und induzierten pluripotenten Stammzellen klinisch relevante Auswirkungen haben.
Bei den ethischen Bedenken in Bezug auf Stammzelltherapien ist es nützlich, die Erfahrungen im Umgang mit anderen wissenschaftlichen Errungenschaften zu nutzen, wie der Organtransplantation, rekombinanter DNS-Technologie, Implantation von medizinischen Geräten, Neurowissenschaften und kognitive Wissenschaften, In-vitro-Fertilisation und pränataler genetischer Untersuchung. Aus diesen und andern Präzedenzfällen wird deutlich, dass die biologischen Grundlagen im Labor und in Tiermodellen verstanden sein müssen, bevor neue Technologien in kontrollierten klinischen Studien angewandt werden. Voraussetzung für die Durchführung solcher Studien sind ausführliche Aufklärungen und sorgfältige Beobachtung durch externe Expertengruppen.
Schließlich werden einige medizinische Interventionen wissenschaftlich machbar sein, aber ethisch oder sozial für manche Mitglieder der Gesellschaft inakzeptabel bleiben. Stammzellforschung wirft Fragen nach der Definition des menschlichen Lebens auf und hat tiefe Ängste geschürt, ob sich gesetzliche Vorgaben und Sicherheitsvorschriften mit den Bedürfnissen kritisch kranker Patienten in Einklang bringen lassen. Leistungserbringer im Gesundheitssystem und Experten auf den Gebieten von Ethik, Recht und Soziologie müssen darauf achten, dass Stammzelltherapien nicht zu früh, unkritisch oder bei gesellschaftlich schwachen Schichten eingesetzt werden. Andererseits bergen diese Therapien wichtige neue Strategien für die Behandlung von bislang unheilbaren Erkrankungen. Ein offener Dialog zwischen der wissenschaftlichen Gemeinschaft, Klinikern, Patienten und Rechtsanwälten, der Gesetzgebung und Laien ist wichtig, um ethische Probleme offen anzusprechen und zu beantworten und sie gegen Nutzen und Risiken des Stammzelltransfers abzuwägen.
Weiterführende Literatur
Ayala FJ: Cloning humans? Biological, ethical, and social considerations. Proc Natl Acad Sci USA 112 (29): 8879–86, 2015
Kimbrel EA, Lanza R: Current status of pluripotent stem cells: moving the first therapies to the clinic. Nat Rev Drug Discov 14 (10): 681–92, 2015
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