94e Die Biologie des Alterns
Durch die hohe Aussagekraft genetischer Analyse von Modellorganismen, wie Caenorhabditis elegans (Nematode), Drosophila melanogaster (Fruchtfliege) und der Labormaus, wurden erhebliche Fortschritte bei der Aufklärung dessen, was man die extrinsischen Modulationen des intrinsischen biologischen Alterns nennen könnte, erzielt – also von Gemeinsamkeiten der Wirkungen von Genen bei stark unterschiedlichen Stämmen, die teilweise die Plastizität des Alterungsprozesses erklären. Es gibt Hinweise auf zumindest einen derartigen beim Menschen erhalten gebliebenen Signalweg.
Diese Beobachtungen sowie ähnliche Forschungen über andere biochemische Signalwege, die bereits seit langem erfolgende Forschung über die günstigen Auswirkungen von Nahrungsrestriktion (mit ersten Berichten über deren günstige Effekte auf die Gesundheit und Lebensdauer von Primaten) sowie spektakuläre Fortschritte der Genomforschung erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass wir eines Tages in der Lage sein werden, den Beginn des Alterungsprozesses hinauszuschieben und den Alterungsprozess selbst zu verlangsamen. Diese Interventionen haben das Potenzial, einem Großteil der Bevölkerung ein längeres aktives und gesundes Leben ermöglichen. Allerdings handelt es sich dabei derzeit noch um rein theoretische Überlegungen, die sich bislang nicht in die klinische Praxis übertragen lassen. Außerdem wird die Bedeutung dieser experimentellen Ergebnisse von vielen kritisch gesehen. Wir wissen noch viel zu wenig über die Pathophysiologie des Alterns, vor allem weil der Großteil unseres Wissens über die genetische Festlegung der Lebensdauer aus Modellen an wirbellosen Tieren stammt.
Wichtig sind ausführlichere Informationen über die Auswirkungen Langlebigkeit fördernder Maßnahmen auf die Phase des Lebens, die man den „terminalen Niedergang“ nennen könnte: das Lebensstadium des Menschen mit vermehrter Morbidität, Gebrechlichkeit und dem Verlust der Selbstständigkeit. Diese terminale Verschlechterung ist für einen erheblichen Teil der Gesundheitsausgaben verantwortlich. Außerdem müssen diese vielversprechenden neuen Erkenntnisse unter anderem von Ethikern, Ökonomen, Soziologen und Politikwissenschaftlern beurteilt werden, um den Einfluss auf die Gesellschaft zu ermitteln, falls eine breitflächige Anwendung in der klinischen Praxis möglich werden sollte.
Für die deutsche Ausgabe Ilja Demuth und Elisabeth Steinhagen-Thiessen
Einfluss des Alterns auf die Medizin
Altern und hohes Alter gehören zu den schwierigsten Herausforderungen der Medizin in diesem Jahrhundert. Der Alterungsprozess ist in den Industrienationen der wichtigste Risikofaktor für Erkrankungen und Behinderungen. Außerdem reagieren ältere Menschen anders auf Therapien, die für jüngere Erwachsene entwickelt wurden (meistens im Sinne geringerer Effektivität und vermehrter unerwünschter Wirkungen). Durch die moderne Medizin und die gesündere Lebensweise ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass jüngere Erwachsene ein hohes Alter erreichen. Gleichzeitig gibt es dadurch immer mehr ältere Menschen, die oft unter altersbedingten Krankheiten leiden, von denen vorhergesagt wird, dass sie die Gesundheitssysteme überlasten werden. Eine noch bessere Gesundheit im hohen Alter und eine weitere Verlängerung der Lebenserwartung sind inzwischen eher das Ergebnis eines besseren Verständnisses der Biologie des Alterns, der altersbedingten Suszeptibilität für Krankheiten und modifizierbarer Einflussfaktoren des Alterungsprozesses.
Definitionen des Alterns
Altern ist leicht zu erkennen, aber schwer zu definieren. Die meisten Definitionen des Alterns betrachten es als einen progressiven Prozess, der mit einer Abnahme von Struktur und Funktion, gestörten Erhaltungs- und Reparatursystemen, erhöhter Suszeptibilität für Krankheiten und Tod sowie mit einer reduzierten Fortpflanzungsfähigkeit assoziiert ist. Das Altern hat statistische und phänotypische Komponenten. Wie Gompertz im 19. Jahrhundert feststellte, geht das Altern des Menschen mit einem im Laufe der Zeit exponentiell zunehmenden Mortalitätsrisiko einher (Abb. 94e-1). Inzwischen ist allerdings klar, dass die Mortalität aufgrund eines Überlebensbias im sehr hohen Alter ein Plateau erreicht. Zu den phänotypischen Komponenten des Alterns gehören strukturelle und funktionelle Veränderungen, die in gewissem Grade willkürlich in primäre Veränderungen des Alterns (z. B. Sarkopenie, graues Haar, oxidativer Stress, erhöhter peripherer Gefäßwiderstand) und altersbedingte Erkrankungen (z. B. Demenz, Osteoporose, Arthrose, Insulinresistenz, Hypertonie) eingeteilt werden.
Nur selten berücksichtigen die Definitionen des Alterns, dass einige dieser biologischen und funktionellen Veränderungen adaptativ sein könnten oder sogar eine Verbesserung oder einen Gewinn darstellen. Außerdem vernachlässigen sie den Effekt des Alterns auf das Ansprechen auf medikamentöse Behandlungen. Ein hohes Alter ist mit einer erhöhten Vulnerabilität gegenüber zahlreichen Störungen, darunter auch therapeutischen Interventionen, assoziiert. Dieser Aspekt ist für den Arzt von besonderer Bedeutung. Das Problem mit dem Altern wäre weniger ausgeprägt, wenn die derzeitigen erkrankungsspezifischen Therapien ihr ausgewogenes Nutzen-Risiko-Verhältnis auch im hohen Alter beibehalten würden.
Altern und Krankheitssuszeptibilität
Ein hohes Alter ist der wichtigste unabhängige Risikofaktor für die chronischen Erkrankungen (und die damit einhergehende Mortalität) mit der höchsten Prävalenz in den Industrienationen, wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Krebserkrankungen und neurodegenerative Krankheiten (Abb. 94e-2). Daher leiden alte Menschen unter vielen Krankheiten gleichzeitig, meistens 5–10 Krankheiten pro Person.
Die Entwicklung von Krankheiten bei älteren Menschen erfolgt in der Regel multifaktoriell und hängt stark vom zugrunde liegenden Alterungsprozess ab. So ist die Alzheimer-Krankheit bei jüngeren Patienten mit Demenz eine Krankheitsentität, die durch die Untersuchung von Gehirngewebe auf Plaques und Bündel aus Amyloid und Tauproteinen gesichert wird. Die meisten Menschen mit Demenz sind jedoch älter und weisen einen weniger definitiven Zusammenhang zwischen der typischen Alzheimer-Neuropathologie und der Demenz auf. Bei den ältesten Alten ist die Prävalenz der Alzheimer-Gehirnpathologie bei denen mit und ohne die klinischen Zeichen einer Demenz gleich hoch. Andererseits weisen die Gehirne von älteren Menschen mit Demenz oft eine gemischte Pathologie mit Befunden im Sinne einer Alzheimer-Pathologie und anderer Demenzen auf, wie Gefäßläsionen, Lewy-Körperchen und die Non-Alzheimer-Tauopathie. Vielen dieser pathologischen Veränderungen liegen typische altersbedingte Veränderungen, wie eine Mikroangiopathie, oxidative Schäden und eine Störung der Mitochondrien, zugrunde.
Die Dividende der Langlebigkeit
Gemäß dem Konzept der Kompression der Morbidität kann die Krankheitslast im Laufe des Lebens durch medizinische Interventionen auf eine kürzere Phase vor dem Tod komprimiert werden, ohne dass dadurch die Lebenserwartung zwangsläufig erhöht wird. Die fortlaufende Weiterentwicklung erfolgreicher therapeutischer und präventiver Interventionen bei bestimmten Erkrankungen ist bei älteren Menschen aufgrund der vielen Komorbiditäten, der Komplikationen einer Überbehandlung und konkurrierender Todesursachen weniger effektiv. Daher wurde vorgeschlagen, dass sich die gesunde Lebensspanne und die Lebenserwartung durch eine einzige Intervention, die das Altern und die altersbedingte Krankheitssuszeptibilität hinauszögert, und nicht durch mehrere Therapien, die jeweils gegen verschiedene altersbedingte Krankheiten gerichtet sind, verbessern lassen. Dies wird als Dividende der Langlebigkeit bezeichnet und ist der Anlass für eine explosionsartige Zunahme der Forschung zur Biologie des Alterns und vor allem zur Entwicklung von Interventionen (genetische, medikamentöse und nutritive), welche die Geschwindigkeit des Alterns beeinflussen und altersbedingte Erkrankungen hinauszögern.
Evolutionsmechanismen des Alterns
Grundsätzlich haben Lebewesen nur zwei Möglichkeiten, um ihre Existenz zu sichern: Unsterblichkeit und Fortpflanzung. In einer sich verändernden Umgebung ist die Fortpflanzung in Kombination mit einer begrenzten Lebenserwartung eine erfolgreiche Strategie. Natürlich ist eine begrenzte Lebenserwartung nicht mit dem Altern gleichzusetzen, obwohl Altern per definitionem zur begrenzten Lebenserwartung beiträgt.
Vielen der Evolutionstheorien des Alterns ist der Versuch gemein, die Interaktionen zwischen Fortpflanzung und Langlebigkeit zu erklären (Abb. 94e-3). Die meisten Mainstream-Theorien des Alterns beruhen auf der Tatsache, dass die Evolution durch einen frühzeitigen Erfolg bei der Fortpflanzung vorangetrieben wird, während bei einer Fortpflanzung im höheren Alter und dem anschließenden Überleben ein nur minimaler Selektionsdruck besteht. Altern wird als zufällige Degeneration aufgrund der Unfähigkeit der Evolution, sie zu verhindern, betrachtet, ist also eine nicht adaptative Folge einer evolutionären „Vernachlässigung“. Diese Schlussfolgerung wird durch Studien gestützt, in denen die sich die Fruchtfliege (Drosophila melanogaster) erst im späteren Leben fortpflanzen konnte, sodass die natürliche Selektion erst auf Merkmale im späteren Leben einwirkte und die Lebenserwartung anstieg. Es gibt einige Tier- und Pflanzenspezies, die nicht zu altern scheinen oder zumindest sehr langsam altern, was als vernachlässigbare Seneszenz bezeichnet wird. Die Mortalitätsraten dieser Spezies sind im Laufe der Zeit relativ konstant und sie zeigen keine offensichtliche Änderung ihres Phänotyps mit dem Alter. Umgekehrt gibt es Lebewesen, die unmittelbar nach der Fortpflanzung einen programmierten Tod erleben, wie einjährige Pflanzen und semelpare Tiere (Abb. 94e-4). Viele andere Lebewesen jedoch, von der Hefe bis zum Menschen, durchlaufen einen allmählichen Alterungsprozess, der zum Tod führt und über die Taxa auf zellulärer und biochemischer Ebene erstaunlich ähnlich verläuft. Einige der wichtigsten klassischen Evolutionstheorien des Alterns sind:
Programmierter Tod. Die erste Evolutionstheorie des Alterns stammt von Weissman aus dem Jahr 1882 und besagt, dass das Altern und der Tod programmiert sind und entwickelt wurden, um ältere Tiere aus der Population zu entfernen, damit Umgebungsressourcen, wie Nahrung und Wasser, für jüngere Mitglieder der Spezies freigesetzt werden.
Akkumulation von Mutationen. Diese Theorie wurde 1952 von Medawar vorgeschlagen. Die natürliche Selektion wirkt sich am stärksten auf Merkmale aus, welche die Fortpflanzung früh im Leben beeinflussen, und formt dadurch unseren biologischen Abbau mit dem Alter. Keimbahnmutationen, die sich später im Leben schädlich auswirken, können einfach dadurch akkumulieren, weil die natürliche Selektion sie nicht verhindern kann.
Antagonistische Pleiotropie. George C. Williams erweiterte Medawars Theorie durch den Vorschlag, dass die Evolution die Selektion pleiotroper Gene zulassen kann, die für das Überleben und die Fortpflanzung im jungen Alter von Nutzen sind, sich aber im Alter schädlich auswirken. So sind die für die Geschlechtshormone kodierenden Gene früh im Leben für die Fortpflanzung wichtig, tragen aber im höheren Alter zum Krebsrisiko bei.
Life-history-Theorie. Die Evolution wird dadurch beeinflusst, wie sich begrenzte Ressourcen auf alle Aspekte des Lebens auswirken, wie die Entwicklung, die Geschlechtsreifung, die Fortpflanzung, die Anzahl der Nachkommen sowie Seneszenz und Tod. Daher gibt es einen Ausgleich zwischen diesen Lebensphasen. So ist das Überleben in einer feindseligen Umgebung für die Spezies mit vielen Nachkommen und kurzer Lebenserwartung am höchsten, während in einer sicheren und mit reichlichen Ressourcen versehenen Umgebung die Spezies am längsten leben, welche die Ressourcen in eine geringere Anzahl an Nachkommen und ein längeres Leben investieren.
Disposable-Soma-Theorie. Kirkwood und Holliday kombinierten im Jahr 1979 viele dieser Ideen zur Disposable-Soma-Theorie des Alterns. Da für die Aufrechterhaltung und Reparatur der Keim- und Somazellen nur begrenzte Ressourcen verfügbar sind, muss es einen Kompromiss zwischen den Keimzellen (also der Fortpflanzung) und den Somazellen (also Langlebigkeit und Altern) geben. Weil Somazellen aus evolutionärer Sicht entbehrlich sind, akkumulieren sie zum Altern führende Schäden und werden die Ressourcen für die Aufrechterhaltung und Reparatur der Keimzellen eingesetzt. So steigt die Lebenserwartung des Nematoden Caenorhabditis elegans, wenn ihre Keimzellen früh im Leben ablatiert werden.
Alle vorgenannten Theorien gehen davon aus, dass sich die natürliche Selektion kaum oder negativ auf das Altern auswirkt. Einige postmoderne Konzepte gehen jedoch davon aus, dass einige Aspekte des Alterns adaptativ sind und lassen es als möglich erscheinen, dass die Evolution den Alterungsprozess positiv beeinflusst. Zu diesen Theorien gehören:
Großmutterhypothese. Sie wurde 1966 von Hamilton vorgeschlagen und beschreibt, wie die Evolution hohes Alter verstärken kann. Bei manchen Tieren, wie dem Menschen, übersteigt das Überleben vieler Nachkommen die Kapazitäten und Ressourcen eines Elternteils. In dieser Situation hat das Vorhandensein einer langlebigen Großmutter, die an der Versorgung ihrer Enkelkinder beteiligt ist, einen großen Einfluss auf deren Überleben. Diese Kinder tragen einige der Gene ihrer Großmutter, darunter auch jene, die deren Langlebigkeit begünstigt haben.
Fluch der Mütter. Die Dysfunktion der Mitochondrien ist eine Schlüsselkomponente des Alterungsprozesses. Mitochondrien enthalten eigene DNS und werden nur von der Mutter an das Kind weitergegeben, weil Spermienzellen fast keine Mitochondrien enthalten. Daher kann die natürliche Selektion nur auf die Evolution der weiblichen mitochondrialen DNS wirken. Die Hypothese vom Fluch der Mütter durch den maternalen Erbgang der mitochondrialen DNS könnte erklären, warum Frauen länger leben und langsamer altern als Männer.
Adaptive Senectitude. Viele Merkmale, die bei jüngeren Menschen schädlich sind, wie Adipositas, Hypertonie und oxidativer Stress, scheinen bei älteren Menschen paradoxerweise mit einem besseren Überleben und besserer Funktion assoziiert zu sein. Vermutlich spiegeln sie eine durch den Großmuttereffekt angetriebenen adaptativen Effekt oder eine umgekehrte antagonistische Pleiotropie wider, durch die manche in jungen Jahren schädliche Merkmale im Alter eine Schutzfunktion bekommen.
Abbildung 94e-4Die typischen Merkmale des Alterns (Altersphänotyp und exponentielle Zunahme des Sterblichkeitsrisikos) sind nicht bei allen Lebewesen gleich. Manche Lebewesen (z. B. Felsenbarsch und Langlebige Kiefer, gelegentlich als Methusalembaum bezeichnet) durchlaufen fast keine Seneszenz, während andere fast unmittelbar nach der Fortpflanzung sterben (z. B. semelpare Tiere und einjährige Pflanzen).
Zelluläre Prozesse, die mit dem Altern einhergehen
Viele Prozesse auf Zellebene ändern sich mit dem Alter. Sie werden allgemein als degenerative und stochastische oder zufällige Veränderungen betrachtet, die einen zeitabhängigen Schaden widerspiegeln (Abb. 94e-3). Ob eine diese Veränderungen die Hauptursache des Alterns ist, ist unbekannt. Sie alle tragen aber zum Phänotyp des Alterns und der Suszeptibilität für Krankheiten bei.
Oxidativer Stress und die Freie-Radikale-Theorie des Alterns
Freie Radikale sind hoch reaktive chemische Spezies, weil sie ungepaarte Elektronen enthalten. Oxidanzien sind sauerstoffhaltige freie Radikale, wie das freie Hydroxylradikal, Superoxid und Wasserstoffperoxid. Die meisten zellulären Oxidanzien sind Abfallprodukte der Mitochondrien, die dort bei der Produktion von ATP aus Sauerstoff entstehen. Vor kurzem wurde die Rolle von Oxidanzien bei der zellulären Signalgebung und entzündlichen Reaktionen erkannt. Solange sie nicht eingedämmt werden, können Oxidanzien Kettenreaktionen auslösen, die zu breitflächigen Schäden in biologischen Molekülen führen. Um einen derartigen oxidativen Stress zu verhindern, besitzen Zellen zahlreiche antioxidative Verteidigungsmechanismen, wie Enzyme (Superoxid-Dismutase, Katalase, Glutathionperoxidase) und Chemikalien (Harnsäure, Ascorbat). Im Jahr 1956 stellte Harman die Freie-Radikale-Theorie des Alterns auf, bei der metabolisch oder durch Strahlung entstandene Oxidanzien für altersbedingte Schäden verantwortlich sind. Inzwischen ist bekannt, dass ein höheres Alter bei den meisten Spezies mit vermehrtem oxidativem Stress verbunden ist, der z. B. auf die DNS (8-Hydroxyguanosin-Derivative), Proteine (Carbonyle), Lipide (Lipoperoxide, Malondialdehyde) und Prostaglandine (Isoprostane) einwirkt. Außerdem lassen viele der zellulären antioxidativen Verteidigungsmechanismen im hohen Alter nach. Die Freie-Radikale-Theorie des Alterns hat zu zahlreichen Studien mit Supplementierung von Antioxidanzien, wie Vitamin E, zur Hinauszögerung des Alterns bei Tieren und Menschen geführt. Leider zeigen die Metaanalysen von klinischen Studien am Menschen zur Behandlung und Prävention verschiedener Erkrankungen durch Supplementierung mit Antioxidanzien, dass diese keinen Effekt auf die Mortalität haben oder sie sogar erhöhen.
Mitochondriale Dysfunktion
Das Altern ist durch eine veränderte mitochondriale Produktion von ATP und sauerstoffstämmigen freien Radikalen gekennzeichnet. Dadurch entsteht ein Teufelskreis, der durch die Akkumulation von oxidativen Schäden der mitochondrialen Proteine und DNS unterhalten wird. Mit dem Alter sinkt die Anzahl der Mitochondrien in den Zellen, während ihre Größe gleichzeitig zunimmt (Megamitochondrien) und weitere strukturelle Veränderungen, wie eine Vakuolisierung und zerstörte Krypten, auftreten. Diese morphologischen altersbedingten Veränderungen sind mit einer reduzierten Aktivität der mitochondrialen Komplexe I, II und IV sowie mit einer verminderten ATP-Produktion verbunden. Von allen an der ATP-Produktion beteiligten Komplexen ist die Aktivität von Komplex IV (COX) in der Regel am stärksten im Alter eingeschränkt. Durch die reduzierte Energieproduktion entstehen mehr Wasserstoffperoxid und Superoxidradikale, die zu oxidativen Schäden der mitochondrialen DNS sowie zur Akkumulation von carbonylierten mitochondrialen Proteinen und mitochondrialen Lipoperoxiden führen. Die mitochondriale Dysfunktion spielt nicht nur beim Alterungsprozess eine Rolle, sondern ist auch mit häufigen geriatrischen Syndromen, wie Sarkopenie, Gebrechlichkeit und kognitiven Einschränkungen, assoziiert.
Verkürzung der Telomere und replikative Seneszenz
Zellen, die aus tierischem Gewebe isoliert und kultiviert werden, durchlaufen nur eine bestimmte Anzahl an Zellteilungen, bevor sie in eine Seneszenz eintreten. Diese Anzahl von Zellteilungen wird als Hayflick-Limit bezeichnet und ist bei Zellen von älteren Tieren niedriger als bei Zellen von jungen Tieren. Vermutlich beruht das Altern in vivo zumindest teilweise darauf, dass sich einige Zellen nicht mehr teilen, weil sie ihr Hayflick-Limit erreicht haben. Ein Mechanismus der replikativen Seneszenz beruht auf den Telomeren. Telomere sind Repeat-Sequenzen der DNS am Ende linearer Chromosomen, die sich bei jeder DNS-Replikation um 50–200 Basenpaare verkürzen. Sobald die Telomere zu kurz sind, ist keine Zellteilung mehr möglich. Dieser Mechanismus trägt zum Hayflick-Limit bei und wurde als zelluläre Uhr bezeichnet. Zahlreiche Studien zeigen, dass die Länge der Telomere in zirkulierenden Leukozyten (leukozytäre Telomerenlänge, LTL) beim Menschen mit dem Alter abnimmt. Allerdings betrifft der Alterungsprozess auch Gewebe, wie die Neuronen, die keine wiederholten Zellteilungen durchlaufen.
Veränderte Genexpression, Epigenetik und mikro-RNS
Während des Alterungsprozesses verändert sich die Expression vieler Gene und Proteine. Diese Veränderungen sind kompliziert und für jede Spezies und jedes Gewebe anders. Eine derartige Heterogenität spiegelt die zunehmende Dysregulation der Genexpression mit dem Alter wider und schließt eine programmierte und/oder einheitliche Reaktion aus. Im hohen Alter ist oft die Expression der an der mitochondrialen Funktion beteiligten Gene und Proteine reduziert, und die Expression der an Entzündungen, Genomreparatur und oxidativem Stress beteiligten Gene und Proteine erhöht. Mehrere Faktoren, welche die Expression von Genen und Proteinen steuern, verändern sich mit dem Alter. Dazu gehören der epigenetische Status der Chromosomen (z. B. DNS-Methylierung und Histon-Acetylierung) und die mikroRNS (miRNS). Die DNS-Methylierung korreliert mit dem Alter, wobei komplexe Veränderungen auftreten. Die Histon-Acetylierung wird von zahlreichen Enzymen, wie SIRT1, reguliert. Das Protein SIRT1 hat bei vielen Spezies einen deutlichen Effekt auf das Altern und die Reaktion auf eine begrenzte Nährstoffzufuhr. miRNS sind eine sehr große Gruppe aus nicht kodierenden RNS-Molekülen (18–25 Nukleotide), welche die Translation zahlreicher mRNS durch Bindung an deren nicht translatierte 3’-Regionen (UTRs) hemmen. Die Expression von miRNS sinkt in der Regel mit dem Alter und ist bei manchen altersbedingten Krankheiten verändert. Spezifische, mit den Signalwegen des Alterns verbundene miRNS sind miR-21 (Assoziation mit dem Target-of-Rapamycin-Signalweg) und miR-1 (Assoziation mit dem Signalweg von Insulin/Insulin-like Growth Factor 1).
Gestörte Autophagie
Für die Zellen gibt es zahlreiche Möglichkeiten, um beschädigte Makromoleküle und Organellen zu entfernen, bei denen als Nebenprodukt oft Energie entsteht. Der intrazelluläre Abbau erfolgt durch das lysosomale System und das Ubiquitin-Proteasom-System. Beide sind beim Altern beeinträchtigt, sodass Abfallprodukte akkumulieren und die Zellfunktionen verändern. Dazu gehören Lipofuscin, ein braunes autofluoreszierendes Pigment, das im hohen Alter in den Lysosomen der meisten Zellen vorkommt und oft als das herausragende histologische Merkmal von alternden Zellen betrachtet wird, und aggregierte Proteine, die für altersbedingte neurodegenerative Erkrankungen typisch sind (z. B. Tau, β-Amyloid, α-Synuclein). Lysosomen sind Organellen, die Proteasen, Lipasen, Glykasen und Nukleotidasen zum intrazellulären Abbau (Autophagie) von Makromolekülen, Membranbestandteilen, Organellen und einigen Erregern enthalten. Der beim Altern am stärksten eingeschränkte lysosomale Prozess ist die Makroautophagie, die durch zahlreiche Autophagie-assoziierte Gene (ATG) gesteuert wird. Im höheren Alter ist die chaperonvermittelte Autophagie gestört, während der Effekt des Alterns auf den dritten lysosomalen Prozess, die Mikrooautophagie, unbekannt ist.
Altersbedingte Gewebeveränderungen, die für Krankheiten prädisponieren
Die altersbedingten Veränderungen mancher Gewebe erhöhen als sekundäres oder nachgeschaltetes Phänomen die Suszeptibilität für altersbedingte Erkrankungen (Abb. 94e-3). Beim Menschen gehören dadurch (aber nicht ausschließlich) das Immunsystem (mit erhöhter Infektneigung und Autoimmunität), die Detoxifikation durch die Leber (mit vermehrter Exposition gegenüber pathogenen Endobiotika und Xenobiotika), das endokrine System (mit Hypogonadismus und Knochenerkrankung) und das Gefäßsystem (mit segmentalen oder globalen ischämischen Veränderungen zahlreicher Gewebe).
Inflammaging und Immunoseneszenz
Ein hohes Alter ist mit einem erhöhten entzündlichen Hintergrundspiegel assoziiert, darunter mit einem erhöhten Serumspiegel von C-reaktivem Protein (CRP), einer erhöhten Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG) und erhöhten Serumspiegeln von Zytokinen, wie Interleukin 6 (IL-6) und Tumornekrosefaktor α (TNF-α). Dieses Phänomen wird als Inflammaging bezeichnet. Aufgrund der altersbedingten Thymusatrophie sind weniger T-Zellen (insbesondere naive T-Zellen) vorhanden, während die B-Zellen zu viele Autoantikörper produzieren und so zur altersbedingten Zunahme von Autoimmunerkrankungen und Gammopathien beitragen. Daher werden ältere Menschen allgemein als immunkompromittiert betrachtet und reagieren weniger gut auf Infektionen (Fieber, Leukozytose) bei erhöhter Mortalität.
Detoxifikation und Leber
Im hohen Alter ist die Detoxifikation zahlreicher krankheitsverursachender Endobiotika (z. B. Lipoproteine) und Xenobiotika (z. B. Neurotoxine, Karzinogene) reduziert, sodass eine vermehrte systemische Exposition die Folge ist. Beim Menschen ist vor allem die Leber für das Entfernen derartiger Toxine zuständig. Im hohen Alter ist die hepatische Clearance zahlreicher Substrate aufgrund der schlechteren Blutversorgung der Leber, der gestörten Mikrozirkulation in der Leber sowie gelegentlich reduzierter Expression xenobiotischer metabolisierender Enzyme reduziert. Diese Veränderungen der hepatischen Detoxifikation erhöhen auch die Wahrscheinlichkeit für einen Anstieg der Serumspiegel von Medikamenten und das vermehrte Auftreten von Nebenwirkungen.
Endokrines System
Seit mehr als einem Jahrhundert konzentriert sich die Altersforschung auf die hormonellen Veränderungen des Alterns, weil zum Teil fälschlicherweise davon ausgegangen wird, dass die Supplementierung mit Geschlechtshormonen das Altern hinauszögern kann und für ältere Menschen eine Verjüngungskur ist. Es gibt altersbedingte Reduktionen der Geschlechtshormone aufgrund von Hypogonadismus sowie, bei der Frau, durch die Menopause. Das altersbedingte Absinken von Wachstumshormon und Dehydroepiandrosteron (DHEA) ist gesichert, ebenso der Anstieg der Insulinspiegel und die damit einhergehende Insulinresistenz. Diese hormonellen Veränderungen tragen zu einigen Merkmalen des Alterns bei, wie der Sarkopenie und der Osteoporose, die durch hormonelle Supplementierung hinausgezögert werden können. Allerdings überwiegen die unerwünschten Wirkungen einer hormonellen Langzeittherapie den Nutzen bezüglich einer Verlängerung der Lebenserwartung.
Gefäßveränderungen
Bei vielen alten Menschen findet sich ein Kontinuum aus vaskulärem Altern bis zur atherosklerotischen Erkrankung. Die altersbedingten Gefäßveränderungen überschneiden sich mit den Frühstadien von Hypertonie und Atherosklerose und gehen mit einer zunehmenden Versteifung der Arterien und einem Anstieg des Gefäßwiderstands einher. Diese Veränderungen tragen zur Myokardischämie und zu Schlaganfällen bei und scheinen mit geriatrischen Krankheiten, wie Demenz, Sarkopenie und Osteoporose, zusammenzuhängen, deren gemeinsamer pathogener Faktor der gestörte Austausch zwischen Blut und Geweben ist. So steigt das Risiko für eine Alzheimer-Krankheit und Demenz bei Patienten mit Risikofaktoren für Gefäßkrankheiten. Aus Autopsiestudien bei Menschen mit gesicherter Alzheimer-Krankheit gibt es pathologische Belege für mikrovaskuläre Veränderungen. Außerdem besteht ein starker epidemiologischer Zusammenhang zwischen der Osteoporose und vaskulären Standardrisikofaktoren sowie signifikanten altersbedingten Veränderungen in der Mikrozirkulation osteoporotischer Knochen. Auch die Sarkopenie könnte mit Effekten auf die Muskelgefäße zusammenhängen, die im hohen Alter verändert sind. Die sinusoidale Mikrozirkulation der Leber verändert sich deutlich beim Altern (Pseudokapillarisierung) und wirkt sich auf die hepatische Aufnahme von Lipoproteinen und anderen Substraten aus. Oft wurde übersehen, dass Harman in seiner ursprünglichen Aufstellung der Freie-Radikale-Theorie des Alterns als primäres Ziel des oxidativen Stresses die Gefäße benannte und viele Veränderungen des Alterns auf einen gestörten Austausch über die geschädigten Blutgefäße zurückführte.
Genetische Einflüsse auf das Altern
Populationen genetisch identischer Spezies, z. B. Mäuse, die in derselben Umgebung leben, weisen Unterschiede beim Altern und der Lebenserwartung auf. Außerdem wird die Erblichkeit der Lebenserwartung in menschlichen Zwillingsstudien mit nur 25 % angegeben (wobei der hereditäre Beitrag zu extremer Langlebigkeit höher ist). Diese beiden Beobachtungen zeigen, dass die Ursache des Alterns nicht ausschließlich im DNS-Code liegt. Andererseits haben genetische Studien, die initial an dem Nematoden C. elegans und vor kurzem auch an anderen Modellen von der Hefe bis zur Maus durchgeführt wurden, gezeigt, dass sich die Manipulation von Genen deutlich auf die Alterungsrate auswirkt. Vielleicht überrascht es, dass dies oft durch die Variabilität in Einzelgenen möglich ist, während manche genetischen Mechanismen einer sehr starken evolutionären Konservierung unterliegen.
Genetische Progeroidsyndrome
Es gibt ein paar sehr seltene genetische Syndrome, die mit frühzeitigem Altern einhergehen. Diese so genannten Progeroidsyndrome rekapituliueren einige der altersbedingten Erkrankungen und Seneszenzphänotypen. Sie werden überwiegend durch Beeinträchtigungen des Genoms und der nukleären Instandhaltungsmechanismen verursacht. Zu diesen Syndromen gehören:
Werner-Syndrom. Die Krankheit mit autosomal rezessivem Erbgang entsteht durch eine Mutation im WRN-Gen. Dieses Gen kodiert für eine RecQ-Helikase, welche die DNS zur Reparatur und Replikation entwindet. Die Krankheit wird in der Regel im jugendlichen Alter diagnostiziert und geht mit vorzeitiger Atherosklerose, Osteoporose, Krebserkrankungen und Diabetes einher. Die Betroffenen werden in der Regel nicht älter als 50 Jahre.
Hutchinson-Gilford-Progerie-Syndrom (HGPS). Dieses Syndrom entsteht in der Regel durch eine De-novo-Mutation des Lamin-A-Gens (LMNA-Gens), durch die ein anormales Protein, das Progerin, entsteht. LMNA ist für die nukleäre Lamina erforderlich, die den Zellkern strukturell stützt. Bereits im Kleinkindalter fallen deutliche Veränderungen der Entwicklung auf mit nachfolgender Atherosklerose, Niereninsuffizienz und sklerodermieformen Merkmalen. Die Betroffenen versterben in der Regel im Alter zwischen 10 und 20 Jahren.
Cockayne-Syndrom. Dieses Syndrom unterliegt ebenfalls einem autosomal rezessiven Erbgang und geht z. B. mit Entwicklungsverzögerungen, Mikrozephalie, Lichtüberempfindlichkeit und geringer Lebenserwartung einher. Ursache sind Mutationen in den Genen CSA, CSB, XPB, XPD und XPG, die für Proteine der Nukleotid-Exzisionsreparatur kodieren.
Genetische Untersuchungen bei sehr alten Menschen
Die beiden wichtigsten Gene, die in humanen Kandidatengenstudien konstant mit einer sehr hohen Lebenserwartung in Verbindung gebracht wurden, sind das APOE-Gen und das FOXO3A-Gen. ApoE ist ein Apoprotein, das in Chylomikronen vorkommt, während die ApoE4-Isoform ein Risikofaktor für die Alzheimer-Krankheit und kardiovaskuläre Erkrankungen ist, was seine Assoziation mit einer reduzierten Lebenserwartung erklärt. FOXO3A ist ein Transkriptionsfaktor, der am Insulin/IGF-I-Signalweg beteiligt ist. Sein Homolog in C. elegans, daf16, hat bei diesem Nematoden einen nachhaltigen Einfluss auf das Altern. Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) an 100-jährigen Menschen haben die Assoziation einer hohen Lebenserwartung mit dem APOE-Gen bestätigt. Außerdem wurde bei diesen Studien versucht, eine Reihe anderer Einzelnukleotid-Poymorphismen (SNPs) zu identifizieren, die mit einer hohen Lebenserwartung verbunden sind, darunter SNPs in den Sirtuin-Genen sowie in den Progeroidsyndrom-Genen LMNA und WRN. Die Analysen von Gen-sets aus GWAS-Studien ergaben, dass der Insulin/IGF-I-Signalweg und der Telomer-Instandhaltungs-Signalweg mit einer hohen Lebenserwartung zusammenhängen.
In diesem Zusammenhang besonders interessant sind Menschen mit Kleinwuchs bei Laron-Syndrom. Bei ihnen bestehen Mutationen im Wachstumshormonrezeptor, wodurch eine ausgeprägte Resistenz gegen das Wachstumshormon entsteht. Bei Mäusen führt ein ähnliches Knockout des Wachstumshormonrezeptors (GHRKO-Maus, Methusalem-Maus) zu einem extrem langen Leben. Daher wurden Menschen mit dem Laron-Syndrom sorgfältig untersucht und es wurde festgestellt, dass sie sehr selten Krebserkrankungen und Diabetes mellitus entwickeln und vermutlich länger leben.
Signalwege des Nährstoff-Sensing
Viele Lebewesen haben Mechanismen entwickelt, um auf Phasen mit geringem Nahrungsangebot und Hunger durch eine Erhöhung der zellulären Resilienz und das Aussetzen der Fortpflanzung zu reagieren, bis wieder ausreichend Nahrung zur Verfügung steht. Dadurch steigen die Erfolgsaussichten der Fortpflanzung und überleben die Nachkommen mit höherer Wahrscheinlichkeit. Eine lebenslange reduzierte Nahrungszufuhr, die oft als kalorische Restriktion (oder Nahrungsrestriktion) bezeichnet wird, erhöht die Lebenserwartung und verzögert das Altern bei vielen Tieren vermutlich im Sinne einer nicht adaptativen Nebenwirkung dieser Hungerreaktion. Viele der Gene und Signalwege, welche die Reaktion der Zellen auf eine Unterversorgung mit Nährstoffen steuern wurden – zunächst bei der Hefe und C. elegans – identizifiert. Eine Manipulation dieser Signalwege (durch genetisches Knockout oder Überexpression oder pharmakologische Agonisten und Antagonisten) verändert den Nutzen der Kalorienrestriktion beim Altern und gelegentlich die Lebenserwartung von Tieren mit normaler Ernährung. Bei diesen Signalwegen handelt es sich jeweils um einflussreiche zelluläre „Schalter“, die ein breites Spektrum an Schlüsselfunktionen kontrollieren. Dazu gehören die Proteintranslation, die Autophagie, die mitochondriale Funktion und Bioenergetik sowie der zelluläre Stoffwechsel von Fetten, Proteinen und Kohlenhydraten. Die Entdeckung dieser Signalwege des Nährstoff-Sensing hat Angriffspunkte für eine pharmakologische Beeinflussung der Lebenserwartung geliefert. Die wichtigsten Signalwege des Nährstoff-Sensing, die das Altern und die Reaktionen auf eine Kalorienrestriktion beeinflussen, sind:
SIRT1. Die Sirtuine sind eine Klasse der Histondeacetylasen, welche die Genexpression hemmen. Das wichtigste Nährstoff-Sensing-Mitglied dieser Klasse ist SIRT1. Die Aktivität von SIRT1 wird durch die Spiegel von reduziertem Nikotinamidadenindinukleotid (NAD+) gesteuert, die ansteigen, wenn die zellulären Energiespeicher geleert sind. Wichtige nachgeschaltete Ziele sind PGC1a und NRF2, die auf die mitochondriale Biogenese wirken.
Target of Rapamycin (TOR, oder mTOR bei Säugetieren). mTOR wird durch verzweigtkettige Aminosäuren aktiviert, welche die Verbindung zur Eiweißzufuhr herstellen. Der Komplex organisiert zwei Signalwege (TORC1 und TORC2). Wichtige nachgeschaltete Ziele von mTOR mit Bedeutung für das Altern sind das Tuberöse-Sklerose-Protein (TSC) und 4EBP1, welche die Proteinproduktion beeinflussen.
5’Adenosinmonophosphat-aktivierte Proteinkinase (AMPK). AMPK wird durch erhöhte Spiegel von AMP aktiviert, das den zellulären Energiestatus widerspiegelt.
Insulin-Signalweg und IGF-I/Wachstumshormon. Diese beiden Signalwege werden in der Regel gemeinsam betrachtet, weil sie bei niederen Tieren identisch und nur bei höheren Tieren getrennt sind. Insulin reagiert auf die Kohlenhydratzufuhr. Ein wichtiges nachgeschaltetes Ziel dieses Signalwegs ist der Transkriptionsfaktor daf16 bei Würmern und FOXO bei Säugetieren und der Fruchtfliege.
Mitochondriale Gene
Die Funktion der Mitochondrien wird von Genen der mitochondrialen DNS (mtDNS) und der nukleären DNS beeinflusst. Die mtDNS entstammt vermutlich den Prokaryonten und ist in den Taxa hochkonserviert. Beim Menschen ist sie ringförmig und besteht aus 16.569 Nukleotiden. Das Altern geht mit einer erhöhten Frequenz von Mutationen in der mtDNS einher, weil sie viel Kontakt mit sauerstoffstämmigen freien Radikalen hat und über recht inneffektive DNS-Reparaturmechanismen verfügt. Die nukleäre DNS kodiert für etwa 1000–1500 Gene mit mitochondrialer Funktion. Darunter befinden sich Gene, die an der oxidativen Phosphorylierung, den mitochondrialen Stoffwechselwegen und der Biogenese der erforderlichen Enzyme beteiligt sind. Diese Gene entstammen vermutlich der mtDNS, wurden aber im Laufe der Evolution in den Nukleus transloziert. Ihre Struktur bleibt im Gegensatz zu derjenigen der mtDNS-Gene beim Altern stabil.
Bei Tieren beeinflusst die Manipulation der mitochondrialen Gene das Altern und die Lebenserwartung. Bei C. elegans verlängern viele Mutationen mit Defekten der Elektronentransferkette die Lebenserwartung. Die mtDNS-Mutator-Maus, der das mtDNS-Proofreading-Enzym fehlt, weist vermehrt mtDNS-Mutationen auf und altert schneller, während die Überexpression mitochondrialer Entkopplungsproteine die Lebenserwartung erhöht. Beim Menschen führt die hereditäre Variabilität der mtDNS zu Erkrankungen (Mitochondriopathien, wie das Leigh-Syndrom) und zum Altern. Bei Europäern ist die mitochondriale DNS-Haplogruppe J (Haplogruppen sind Kombinationen genetischer Varianten in bestimmten Populationen) z. B. mit einer hohen Lebenserwartung assoziiert, währen die Haplogruppe D bei asiatischen Menschen über 100 Jahren übermäßig stark vertreten ist.
Strategien zur Verlängerung der Lebenserwartung und Hinauszögerung des Alterns
Altern ist ein untrennbarer Bestandteil des menschlichen Lebens, dessen Manipulation die Menschheit fasziniert, seit sie sich ihrer selbst bewusst geworden ist. Aktuelle Berichte und wissenschaftliche Literatur formen ein Bild, bei dem verschiedene Regime der Nahrungsrestriktion und Interventionen mit körperlicher Betätigung das gesunde Altern bei Labortieren fördern. Mehrere experimentelle Langzeitinterventionen (z. B. mit Resveratrol, Rapamycin, Spermidin, Metformin) öffnen die Tür für entsprechende pharmakologische Strategien. Dabei überrascht es, dass die meisten der als effektiv beim Altern vorgeschlagenen Interventionen nur ein paar molekulare Signalwege betreffen: das Nährstoff-Sensing, die mitochondriale Proteostase und den Autophagie-Apparat.
Im Laufe des Lebens kommt es unweigerlich zu einer funktionellen Verschlechterung, einer stetigen Zunahme zahlreicher chronischer Erkrankungen und schließlich zum Tod. Seit Jahrtausenden träumt die Menschheit von einer Verlängerung der Lebenserwartung und der gesunden Lebensspanne. Die Industrienationen haben von den medizinischen Fortschritten, ihrer Einbindung in die öffentliche Gesundheitsversorgung sowie von den durch ihre sozioökonomische Kraft besseren Lebensumständen profitiert und konnten die Lebenserwartung im letzten Jahrhundert deutlich verlängern. In den USA wird der Anteil der Menschen ≥ 65 Jahre von 13 % im Jahr 2010 auf 19,3 % im Jahr 2030 ansteigen. Allerdings bleibt ein hohes Alter auch weiterhin der Hauptrisikofaktor für schwere, lebensbedrohliche Krankheiten und die Anzahl der Menschen, die an altersbedingten Erkrankungen leiden, wird sich in den nächsten 20 Jahren fast verdoppeln. Die Prävalenz altersbedingter Krankheiten ist eine wichtige Bedrohung und ökonomische Belastung und macht sofort effektive Interventionen erforderlich.
Auch weiterhin haben die Öffentlichkeit sowie Wissenschaftler auf allen biologischen und medizinischen Forschungsgebieten großes Interesse an Molekülen, Medikamenten und anderen Interventionen, die den Alterungsprozess verlangsamen könnten. In den letzten 20 Jahren hat sich dieses Interesse gefestigt, weil viele der molekularen Mechanismen des Alterns miteinander und mit Signalwegen verbunden sind, die Krankheiten wie Krebs sowie kardiovaskuläre und neurodegenerative Krankheiten auslösen. Leider haben viele der gegen das Altern vorgeschlagenen Interventionen selbst kaum ein nennenswertes Alter erreicht. Die Ergebnisse sind oft aufgrund eines einfachen inhärenten Problems nicht reproduzierbar: Interventionen in der Altersforschung dauern ein Leben lang. Experimente über die Lebenszeit von Tiermodellen neigen zu Artefakten, sodass die Wahrscheinlichkeit und die Zeitfenster für experimentelle Abweichungen steigen. Manche Ungereimtheiten des Forschungsgebiets entstehen durch die Überbewertung von Modellen zur Verkürzung der Lebenserwartung und von Szenarios, die mit beschleunigtem Altern in Verbindung gebracht werden.
Im Laufe der Geschichte wurde und wird von vielen Substanzen und Interventionen behauptet, dass sie das Altern aufhalten können. In den nachfolgenden Abschnitten werden nur die Interventionen dargestellt, welche die folgenden hochselektiven Kriterien erfüllen: (1) Verlängerung der Lebenserwartung und/oder der gesunden Lebensspanne, (2) Validierung an mindestens drei Modellorganismen und (3) Bestätigung durch mindestens drei Labore. Diese Interventionen sind (1) Regime zur Kalorienrestriktion und zum Fasten, (2) einige Arzneimitteltherapien (Resveratrol, Rapamycin, Spermidin, Metformin) und (3) körperliche Bewegung.
Kalorienrestriktion
Eine der wichtigsten und robustesten Interventionen, die das Altern hinauszögern, ist die Kalorienrestriktion. Dieses Ergebnis wurde bei Nagetieren, Hunden, Würmern, Fliegen, Hefen, Affen und Prokaryonten bestätigt. Die Kalorienrestriktion ist definiert als die Reduktion der Gesamtkalorienzufuhr um etwa 30 % ohne Mangelernährung. Die Kalorienrestriktion reduziert die Freisetzung von Wachstumsfaktoren, wie Wachstumshormon, Insulin und IGF-I, die durch Nährstoffe aktiviert werden, das Altern nachweislich beschleunigen und bei vielen Organismen die Mortalität erhöhen. Die Effekte der Kalorienrestriktion auf das Altern wurden schon 1935 von McCay entdeckt, lange bevor die Effekte derartiger Hormone und Wachstumsfaktoren auf das Altern erkannt wurden. Die zellulären Signalwege, die diese bemerkenswerte Reaktion vermitteln, wurden in vielen experimentellen Modellen untersucht. Dazu gehören die Signalwege des Nährstoff-Sensing (TOR, AMPK, Insulin/IGF-I, Sirtuine) und die Transkriptionsfaktoren (FOXO bei D. melanogaster und daf16 bei C. elegans). Der Transkriptionsfaktor Nrf2 scheint bei der Maus überwiegend für die schützende Wirkung der Kalorienrestriktion vor Krebserkrankungen verantwortlich zu sein, obwohl er für die Verlängerung der Lebenserwartung entbehrlich ist.
Zwei Studien haben unterschiedliche Effekte der Kalorienrestriktion bei Affen beschrieben: Die eine beobachtete eine lebensverlängernde Wirkung, die andere nicht. Beide Studien bestätigten aber, dass die Kalorienrestriktion die gesunde Lebensspanne verlängerte, da sie das Risiko für Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen und Krebserkrankungen reduzierte. Beim Menschen verlängert die Kalorienrestriktion Lebenserwartung und gesunde Lebensspanne. Am überzeugendsten wurde dies in Okinawa, Japan, belegt, wo eine der Populationen mit der höchsten Lebenserwartung lebt. Im Vergleich zum Rest der japanischen Bevölkerung kombinieren die Bewohner von Okinawa eine überdurchschnittliche tägliche körperliche Betätigung mit einer unterdurchschnittlichen Nahrungszufuhr. Sobald aber Familien aus Okinawa nach Brasilien umsiedeln, nehmen sie eine westliche Lebensweise an, die sich auf körperliche Bewegung und Ernährung auswirkt, sodass sie an Gewicht zunehmen und ihre Lebenserwartung um fast 20 Jahre sinkt. Im Biosphäre-II-Projekt, bei dem Freiwillige 24 Monate zusammenlebten und eine unvorhersehbare Kalorienrestriktion durchmachten, besserten sich Insulin, Blutzucker, glykiertes Hämoglobin, Cholesterinspiegel und Blutdruck – alles Ergebnisse, von denen eine Verlängerung der Lebenserwartung zu erwarten ist. Die Kalorienrestriktion verändert viele Aspekte des menschlichen Alterns, die sich auf die Lebenserwartung auswirken, wie das Transkriptom, den Hormonstatus (v. a. IGF-I und Schilddrüsenhormone), den oxidatives Stress, Entzündungen, mitochondriale Funktion, Glukosehomöostase und kardiometabolische Risikofaktoren. Epigenetische Modifikationen sind zunehmend Ziele der Kalorienrestriktion.
Allerdings soll darauf hingewiesen werden, dass die Aufrechterhaltung einer Kalorienrestriktion ohne Mangelernährung beim Menschen nicht nur mühsam ist, sondern vermutlich auch mit erheblichen Nebenwirkungen einhergeht. So werden durch eine längere Kalorienrestriktion Fertilität und Libido reduziert, die Wundheilung gestört, die Fähigkeit zur Bekämpfung von Infektionen eingeschränkt und eine Amenorrhö und Osteoporose ausgelöst.
Während extreme Adipositas (Body Mass Index [BMI] > 35) das Sterblichkeitsrisiko um 29 % erhöht, scheint die Mortalität von Menschen mit einem BMI im übergewichtigen Bereich reduziert zu sein. Dies gilt zumindest für Populationsstudien an Menschen mittleren und höheren Alters. Menschen mit einem BMI im übergewichtigen Bereich können Krankheiten, Verletzungen und Infektionen besser bekämpfen und darauf reagieren, während eine Kalorienrestriktion die Heilung und die Immunantwort stört. Andererseits spiegelt der BMI den Körper und seine Fettzusammensetzung nur ungenau wider. Ein durchtrainierter Sportler kann wegen der höheren Massedichte der Muskulatur einen ähnlichen BMI wie eine übergewichtige Person besitzen. Die Waist-to-hip-Ratio zeigt den Fettgehalt des Körpers weitaus zuverlässiger an und ist ein ausgezeichneter und stringenter Vorhersagefaktor für das Risiko, an einer kardiovaskulären Krankheit zu sterben: Je niedriger die Waist-to-hip-Ratio ist, desto geringer ist das Risiko.
Periodisches Fasten
Wie kann die Kalorienrestriktion sozial und medizinisch machbar auf den Menschen übertragen werden? Es gibt eine ganze Serie von Fasten-Regimes, die sich als geeignete Strategien anpreisen, darunter das Fasten an jedem zweiten Tag, das 5 : 2-Fasten und das 48-stündige Fasten 1- bis 2-mal im Monat. Periodisches Fasten ist psychologisch besser machbar, hat weniger negative Nebenwirkungen und geht mit einer nur minimalen Gewichtsreduktion einher.
Es fällt auf, dass viele Kulturen Rituale mit periodischem Fasten aufweisen, wie die Buddhisten, die Christen, die Hindus, die Juden, die Muslime sowie einige afrikanische animistische Religionen. Möglicherweise haben die fastenden Populationen den nicht fastenden Populationen gegenüber einen Selektionsvorteil durch die gesundheitsfördernden Attribute der religiösen Routinen, die eine periodische Kalorienrestriktion vorsehen. Tatsächlich zeigen mehrere Evidenzlinien, dass periodisches Fasten eine Antiaging-Wirkung hat. So besserten sich bei spanischen Pflegeheimbewohnern, die an jedem zweiten Tag fasteten, Morbidität und Lebenserwartung. Selbst Ratten, die an jedem zweiten Tag fasten, leben bis zu 83 % länger als normal gefütterte Kontrolltiere, und eine 24-stündige Fastenperiode alle 4 Tage reicht aus, um das Leben zu verlängern.
Durch den Wechsel zwischen Fasten und Essen werden die negativen Nebenwirkungen einer dauerhaften Kalorienrestriktion umgangen. Diese Strategie ist selbst dann noch wirksam, wenn während der Perioden ohne Fasten extrem viel gegessen wird. In einem spektakulären Experiment erhielten Mäuse zeitlich begrenzt fettreiche Nahrung, d. h. mit regelmäßigen Unterbrechungen durch Fasten. Bei den Tieren sanken die Entzündungsmarker, sie hatten keine Fettleber und waren schlanker als Mäuse mit gleichwertiger Gesamtkalorienzufuhr ad libitum. Evolutionär betrachtet, spiegelt diese Form der Ernährung die Anpassung der Säugetiere an das Nahrungsangebot wider: Das Verzehren großer Mengen bei entsprechender Verfügbarkeit (z. B. nach Jagderfolg) und dazwischen Hungerphasen. Auf diese Weise leben einige indigene Völker, die sich bislang einer Verwestlichung widersetzen konnten; diejenigen von ihnen, die untersucht wurden, zeigten weniger altersbedingte Erkrankungen wie Krebserkrankungen, Neurodegeneration, Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen und Hypertonie.
Fasten wirkt sich positiv auf die gesunde Lebensspanne aus, indem es das Risiko für altersbedingte Erkrankungen, wie Hypertonie, Neurodegeneration, Krebserkrankungen und kardiovaskuläre Krankheiten, senkt. Die effektivste und schnellste Folge des Fastens ist die Abnahme des Hypertonus. Die zweiwöchige Ernährung nur mit Wasser senkte den Blutdruck bei 82 % der Patienten mit Borderline-Hypertonie auf Werte unter 120/80 mmHg. Zehntägiges Fasten heilte alle hypertensiven Patienten, die zuvor Antihypertensiva einnehmen mussten.
Periodisches Fasten lindert in Mausmodellen auch die Folgen vieler altersbedingter neurodegenerativer Erkrankungen (Alzheimer-Krankheit, Parkinson-Syndrom, Chorea Huntington und frontotemporale Demenz, nicht aber amyotrophe Lateralsklerose). Bei Mäusen sind Fastenzyklen gegen manche Tumoren genauso wirkungsvoll wie eine Chemotherapie. In Kombination mit einer Chemotherapie schützt das Fasten die Mäuse vor den Nebenwirkungen der Zytostatika und verstärkt deren Wirkung gegen die Tumoren. Nach der Inokulation mit hochaggressiven Tumoren, wie dem Glioblastom oder dem Pankreaskarzinom, die selbst mit Chemotherapie eine Letalität von 100 % haben, waren 20–60 % der Mäuse nach einer Kombination aus Fasten und Chemotherapie krebsfrei. Dieser Ansatz wurde auch auf den Menschen übertragen und festgestellt, dass er die Toxizität der Chemotherapie reduziert.
Pharmakologische Interventionen zur Hinauszögerung des Alterns und Verlängerung der Lebenserwartung
Fast alle adipösen Menschen wissen, dass eine stabile Gewichtsreduktion ihr erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen senkt und ihr Gesamtüberleben verbessert. Trotzdem schaffen es nur 20 % der Übergewichtigen, über einen Zeitraum von einem Jahr 10 % ihres Körpergewichts abzunehmen. Selbst für die am stärksten motivierten Menschen (wie die „Cronies“, die bewusst eine Langzeitkalorienreduktion anstreben, um ihr Leben zu verlängern) ist eine lang dauernde Kalorienrestriktion extrem schwierig. Daher richtete sich der Fokus auf die Entwicklung von Medikamenten, die den Nutzen der Kalorienrestriktion replizieren, ohne dass die Nahrungszufuhr reduziert werden muss („CR-Mimetika“; Abb. 94e-5):
Resveratrol. Dieser Agonist von SIRT1 ist ein Polyphenol, das in Weintrauben und Rotwein vorkommt. Die Fähigkeit von Resveratrol zur Verlängerung der Lebenserwartung wurde erstmals bei Hefen nachgewiesen. Seitdem hat es einige Berühmtheit erlangt, weil es vermutlich für das so genannte französische Paradoxon verantwortlich ist, durch das Wein einen Teil des kardiometabolischen Risikos einer fettreichen Ernährung reduziert. Resveratrol soll die Lebenserwartung vieler niederer Spezies mit fettreicher Ernährung verlängern, darunter Hefen, Fruchtfliegen, Würmer und Mäuse. Bei Affen, die eine fett- und zuckerreiche Kost erhielten, beeinflusste Resveratrol die entzündlichen und kardiometabolischen Parameter günstig. Auch einige Studien am Menschen haben eine Verbesserung der kardiometabolischen Funktion belegt, während andere keine derartigen Effekte nachweisen konnten. Genexpressionsstudien an Tieren und Menschen zeigen, dass Resveratrol einige der Veränderungen von Stoffwechsel und Genexpression der Kalorienrestriktion nachahmt.
Rapamycin. Dieser Inhibitor von mTOR wurde ursprünglich auf einer Osterinsel (Rapa Nui; daher der Name) als bakterielles Sekret mit antibiotischen Eigenschaften entdeckt. Schon weit vor seinem Einzug in das Gebiet der Antiaging-Forschung, war Rapamycin als Immunsuppressivum und Chemotherapeutikum bei Krebserkrankungen beim Menschen etabliert. Rapamycin verlängert die Lebenserwartung aller bislang untersuchten Organismen, wie Hefen, Fliegen, Würmer und Mäuse. Allerdings wird der mögliche lebensverlängernde Nutzen von Rapamycin beim Menschen durch seine unerwünschten Wirkungen, z. B. auf Immunfunktion und Wundheilung, sowie durch eine Proteinurie und Hypercholesterinämie eingeschränkt. Eine Alternative wäre die periodische orale Zufuhr von Rapamycin, die bei der Maus lebensverlängernd wirkt.
Spermidin. Dieses physiologische Polyamin induziert bei Hefen, Fliegen und Würmern eine durch Autophagie vermittelte Verlängerung der Lebenserwartung. Der Spermidinspiegel sinkt erstaunlicherweise bei fast allen Organismen, auch dem Menschen, im Laufe des Lebens; ausgenommen sind davon nur die Hundertjährigen. Die orale Gabe von Spermidin und die Heraufregulation der bakteriellen Polyaminproduktion im Darm verlängern die Lebenserwartung in kurzlebigen Mausmodellen. Außerdem hat Spermidin vermutlich durch die Steigerung der Transkription von an der Autophagie beteiligten Genen einen positiven Effekt auf die Neurodegeneration.
Metformin. Dieser Aktivator von AMPK ist ein Biguanid, das erstmals aus der Geißraute isoliert wurde und zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 weit verbreitet ist. Metformin reduziert die hepatische Glukoneogenese und erhöht die Insulinsensitivität. Außerdem hemmt es mTOR und den mitochondrialen Komplex I und aktiviert den Transkriptionsfaktor SKN-1/Nrf2. Metformin verlängert die Lebenserwartung von verschiedenen Mausstämmen, darunter auch weibliche Stämme mit einer starken Prädisposition für Mammatumoren. Auf biochemischen Ebenen reduziert die Gabe von Metformin oxidative Schäden und die Entzündung und ahmt einige der Veränderungen der Genexpression, die bei Kalorienrestriktion beobachtet werden, nach.
Sport und körperliche Aktivität
Bei Menschen und Tieren reduziert regelmäßige körperliche Betätigung das Risiko für Morbidität und Mortalität. Da kardiovaskuläre Erkrankungen beim Menschen, nicht aber bei der Maus, die vorherrschende Ursache des Alterns sind, dürfte der Effekt auf die Gesundheit beim Menschen noch weitaus stärker sein als im Mausmodell. Eine Zunahme der aeroben körperlichen Leistungsfähigkeit, die während des Alterns abnimmt, hat bei älteren Menschen eine günstige Wirkung auf Blutdruck, Lipidspiegel, Glukosetoleranz, Knochendichte und Depression. Das Gleiche gilt für Sportprogramme gegen Alterskrankheiten, wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus und Osteoporose. Sport ist die einzige Behandlung, die eine Sarkopenie (altersbedingter Muskelabbau) verhindern und sogar umkehren kann. Selbst körperliche Betätigung auf niedrigem bis mittlerem Niveau (30 Minuten Gehen täglich) hat bei adipösen Menschen deutlich positive Effekte. Bei älteren Menschen erhöht regelmäßige körperliche Betätigung die Dauer des eigenständigen Lebens.
Trotz der günstigen Wirkungen auf Gesundheit und Lebensqualität verlängert regelmäßige körperliche Betätigung das Leben nicht. Auch die Kombination aus körperlicher Betätigung und Kalorienrestriktion hat keinen zusätzlichen Effekt auf die maximale Lebenserwartung bei Nagetieren. Allerdings ist der Wechsel zwischen Fasten und körperlicher Betätigung für die Muskelmasse besser, als eines allein. Bei nicht adipösen Menschen haben körperliche Betätigung und Kalorienrestriktion synergistische Effekte auf Insulinsensitivität und Entzündung. Evolutionär betrachtet sind die Reaktionen auf Hunger und körperliche Betätigung miteinander verbunden: Bei zu geringem Nahrungsangebot ist körperliche Bewegung erforderlich, um zu jagen und zu sammeln.
Hormesis
Der Begriff Hormesis beschreibt die auf den ersten Blick paradoxen protektiven Effekte einer Exposition mit niedrigen Dosen von Stressoren oder Toxinen (oder mit Nietzsches Worten: „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.“). Adaptative Stressreaktionen, die durch ein schädliches Agens (chemisch, thermisch oder radioaktiv) ausgelöst werden, präkonditionieren einen Organismus und machen ihn anschließend gegen höhere und sonst tödliche Dosen resistent. Hormetische Stressoren beeinflussen das Altern und die Lebenserwartung vermutlich durch eine Erhöhung der zellulären Resilienz gegenüber Faktoren, die zum Altern beitragen, wie oxidativer Stress.
Hefezellen, die geringen Dosen von oxidativem Stress ausgesetzt wurden, zeigen eine deutliche Antistressreaktion, die den Tod bei Exposition mit sonst tödlichen Dosen verhindert. Bei der ischämischen Präkonditionierung des Menschen schützen kurze Ischämiephasen das Gehirn und das Herz vor einem schweren Sauerstoffmangel und dem durch die anschließende Reperfusion induzierten oxidativen Stress. Auch die lebenslange und periodische Exposition mit verschiedenen Stressoren kann den Alterungsprozess hemmen oder aufhalten. In diesem Sinne verlängern Wärme oder leichte Dosen von oxidativem Stress die Lebenserwartung von C. elegans. Auch die Kalorienrestriktion ist eine Form von hormetischem Stress, der zur Aktivierung von Antistress-Transkriptionsfaktoren (Rim15, Gis1 und Msn2/Msn4 bei Hefe und FOXO bei Säugetieren) führt, welche die Expression von Scavenging-Faktoren freien Radikalen und Hitzeschockproteinen erhöhen.
Schlussfolgerungen
Der Arzt muss die Biologie des Alterns verstehen, um ältere Menschen besser behandeln zu können. Außerdem müssen dringend anhand der Biologie des Alterns Strategien entwickelt werden, die das Altern verzögern, altersbedingte Krankheiten reduzieren oder ihren Beginn hinausschieben und das funktionelle Leben und die gesunde Lebensspanne künftiger Generationen verlängern. Derzeit werden mit der Ernährung zusammenhängende Interventionen und Arzneimittel, die auf die Signalwege des Nährstoff-Sensing wirken, entwickelt und ihr Einsatz in einigen Fällen auch schon am Menschen untersucht. Ob diese Interventionen universell wirksam sind oder nur bei bestimmten Spezies/Individuen, muss noch ermittelt werden.
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