263e Nuklearer Terrorismus
Terroranschläge mit Nuklearwaffen oder radioaktiven Materialien haben bisher bis auf einen bekannt gewordenen Fall nicht stattgefunden. Trotzdem zählen sie zu den realistischen Bedrohungsszenarien. Neben den medizinischen Auswirkungen auf Betroffene und Rettungskräfte sind die enormen psychologischen Auswirkungen einer solchen Schadenslage auf die Gesellschaft zu berücksichtigen.
Die Schadenslage definiert sich über Art und Menge der freigesetzten ionisierenden Strahlung, die Expositionsart, die Verbreitung der radioaktiven Strahlung und die Anzahl der Betroffenen.
Das medizinische Management unterscheidet sich grundsätzlich nicht von anderen Schadenslagen. Das initiale Management besteht in der primären Triage und dem Transport der Verletzten in geeignete medizinische Behandlungseinrichtungen. Besondere Bedeutung haben dabei aber Detektion der Strahlung, die Dekontamination und der Eigenschutz der Rettungskräfte.
Lebensrettende Eingriffe haben Priorität.
Die Abschätzung des Ausmaßes der radioaktiven Exposition erfolgt durch die klinische Untersuchung und – falls verfügbar – durch die Biodosimetrie. Die klinische Beurteilung stützt sich vor allem auf die zeitliche Abfolge und die Schwere der Prodromalsyndrome.
Die Behandlung einer Inkorporation von Radionukliden sollte möglichst rasch nach der vermuteten oder bekannten Exposition erfolgen.
Terroranschläge mit Nuklearwaffen oder radioaktiven Materialien sind zweifellos eine Bedrohung des 21. Jahrhunderts, deren medizinische und psychologische Auswirkungen enorm sein können und eine sofortige Reaktion der medizinischen Gemeinschaft erforderlich machen. In diesem Kapitel konzentrieren wir uns auf die wahrscheinlichsten Szenarien möglicher Anschläge und auf die medizinischen Grundsätze im Umgang damit.
Es gibt zwei Hauptkategorien terroristischer Anschläge, die zu einer weitreichenden Freisetzung von Radionukliden führen können. Die erste Kategorie beinhaltet die großflächige Verbreitung radioaktiven Materials ohne den Einsatz einer Kerndetonation (Kernfusion bzw. Kernspaltung). In diesem Fall werden mithilfe konventioneller Sprengstoffe Radionuklide aus bestehenden Nuklearanlagen (schmutzige Bomben), aus medizinisch oder technisch genutzten Strahlenquellen, aus atomgetriebenen Wasserfahrzeugen oder U-Booten oder aus funktionsgestörten Kernwaffen verbreitet. Auch die Ausbringung von Radionukliden in Nahrungsmitteln oder Wasser fällt in diese Kategorie. Das zweite und weniger wahrscheinliche Szenario ist die unmittelbare Anwendung von Kernwaffen. Jedes Szenario hat seine eigenen medizinischen Aspekte, zu denen neben der „konventionellen“ Sprengstoffverletzung und Verbrennung die Schädigung durch externe Bestrahlung und die durch eine radioaktive Explosion ausgelöste Kontamination und Inkorporation mit bzw. von Radionukliden gehören.
Arten ionisierender Strahlung
Ein Teil der Isotope von Atomen mit unterschiedlicher Protonen- und/oder Neutronenzahl sind instabil; solche Isotope geben auf ihrem Weg zu einem stabilen Zustand Teilchen oder Energie an Materie ab, ein Prozess, der als ionisierende Strahlung bezeichnet wird. Bei diesem Vorgang werden Masse-Partikel, wie Alpha-Teilchen, Elektronen und/oder Neutronen, übertragen (Alpha-, Beta- bzw. Neutronenstrahlung). Alternativ wird die Energie nur in Form von Strahlen übertragen (Gammastrahlung).
Alpha(α)-Strahlung besteht aus schweren, positiv geladenen Teilchen, die sich aus zwei Protonen und zwei Neutronen zusammensetzen. Alphateilchen werden von Isotopen mit einer Kernladungszahl von mindestens 82, wie Uran oder Plutonium, emittiert. Aufgrund ihrer Größe haben sie ein beschränktes Durchdringungsvermögen. Dünne Hindernisse, wie Kleidung oder menschliche Haut, verhindern gewöhnlich ein Eindringen in den menschlichen Körper. Wegen ihres geringen Durchdringungsvermögens stellen sie bei äußerer Exposition zwar nur ein geringes Risiko dar, können jedoch bei einer Aufnahme ins Körperinnere (Inkorporation) zu beträchtlichen zellulären Schäden in ihrer unmittelbaren Umgebung führen. Wenn eine Inkorporation mit Alpha-Strahlung nicht ausgeschlossen werden kann, muss dies durch geeignete diagnostische Verfahren ausgeschlossen werden.
Beta(β)-Strahlung besteht aus Elektronen, kleinen, leichten, negativ geladenen Teilchen von ungefähr 1/2000 der Masse eines Neutrons oder Protons. Sie können nur eine begrenzte, von ihrer Energie abhängige Distanz im Gewebe zurücklegen. Eine Exposition gegenüber Beta-Strahlung kommt bei Strahlenunfällen häufig vor. Prominenter Vertreter aus dieser Gruppe bei Unfällen in Kernkraftanlagen ist radioaktives Iod, das bei Unfällen in atomaren Anlagen freigesetzt werden kann. Plastikplanen und Kleidung können die meisten Betateilchen stoppen, da ihre Penetrationsfähigkeit nur wenige Millimeter beträgt. Wird das Stratum basale der Haut einer großen Energiemenge ausgesetzt, können Verbrennungen auftreten, die thermischen Verbrennungen ähnlich sind und auch genauso behandelt werden (so genannte β-burns).
Gamma(γ)- und Röntgenstrahlung (beides Photonenstrahlung mit hoher Energie) gleichen sich. Bei Gamma-Strahlung handelt es sich um elektromagnetische Strahlung, die als Energie in Form von Wellen von einem Kern abgegeben wird. Röntgenstrahlen sind das Ergebnis einer abrupten mechanischen Abbremsung von Elektronen, z. B. beim Auftreffen auf ein dichtes Ziel wie Wolfram (Bremsstrahlung). Gamma- und Röntgenstrahlung haben die gleichen Eigenschaften, das heißt keine Ladung oder Masse, sondern nur Energie. Beide können Materie leicht durchdringen. Sie werden deshalb auch als penetrierende Strahlung bezeichnet und repräsentieren den Typ von Strahlung, der zu einer Ganzkörperexposition führt. Gammastrahlen und Röntgenstrahlen mit derselben Energie erzeugen dieselben biologischen Effekte, die auf dieselbe Weise behandelt werden.
Neutronen sind schwere, ungeladene Teilchen, die häufig bei einer nuklearen Detonation freigesetzt werden und ein großes Energiespektrum besitzen. Ihre Fähigkeit, Gewebe zu durchdringen, ist variabel und hängt von ihrer Energie ab. Sie dürften in den meisten Szenarien von radioaktivem Terrorismus nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Durch Interaktionen zwischen Strahlung und Atomen kann es zur Ionisierung und der Bildung freier Radikale kommen. Letztere schädigen das Gewebe, indem sie in den Zellen chemische Bindungen und Molekularstrukturen zerstören, darunter auch die DNS. Protonen, Elektronen und Gammastrahlen führen durch die Ionisierung der DNS zu Zellschäden. Abhängig von der Energie und anderen Faktoren beruht ein Teil dieses Schadens auf der direkten Beschädigung der DNS (direkte Ionisierung). Der Rest entsteht durch die Ionisierung von Wassermolekülen mit Bildung freier Radikale, welche die DNS schädigen (indirekte Ionisierung). Die Ionisierung der DNS durch Neutronen erfolgt nur indirekt. Strahlenschäden können zum Zelltod führen. Die Zellen, die sich wieder erholen, können Mutationen beherbergen und erhöhen das Risiko für eine spätere Krebserkrankung. Die Sensitivität von Zellen ist umso höher, je häufiger sie sich teilen und je weniger sie differenziert sind.
Die Einheit für die Energiedosis ionisierender Strahlung ist das Gray (Gy). Es beschreibt die Menge absorbierter Strahlungsenergie in einer Masseneinheit und ersetzt die alte Einheit Rad (Radiation Absorbed Dose). 1 Gray entspricht einer Energiedosis von 1 J/kg (SI-Einheit). Das Sievert (Sv) ist die SI-Einheit der äquivalenten Strahlendosis in biologischen Geweben. Obwohl 1 Sv = 1 Joule/kg ist, geben Sievert und Gray nicht das Gleiche an: Das Sievert beschreibt den biologischen Effekt von Strahlung und das Gray die übertragene physikalische Energie.
Expositionsarten - Nuklearer Terrorismus
Als Ganzkörperexposition bezeichnet man die Einwirkung ionisierender Strahlung auf den gesamten Körper. Alpha- und Betateilchen haben ein beschränktes Durchdringungsvermögen. Sie verursachen daher keine nennenswerten nicht kutanen Wirkungen, sofern es nicht zu einer Inkorporation gekommen ist. Eine Ganzkörperexposition durch Gamma-Strahlen, Röntgenstrahlen oder Neutronen, die (energieabhängig) den Körper durchdringen können, kann zu Schäden in zahlreichen Geweben und Organen führen. Das Ausmaß des Gewebeschadens ist proportional zum Ausmaß der Strahlenexposition des jeweiligen Gewebes bzw. Organs.
Äußere Kontamination ist das Ergebnis eines Niederschlags radioaktiver Partikel auf Körperoberfläche, Kleidung, Haut und Haaren. Sie ist der wichtigste Aspekt, den man bei einem Massenanfall von Verletzten infolge eines Terroranschlages mit radioaktivem Material beachten muss. Die häufigsten Radionuklidpartikel emittieren in erster Linie Alpha- und Beta-Strahlung. Alphateilchen können die Haut nicht durchdringen und haben somit nur minimale systemische Wirkungen. Beta-Strahler können zu schweren Verbrennungen und zu Narbenbildungen der Haut führen. Gamma-Strahler können nicht nur lokale Schäden verursachen, sondern auch zu einer Ganzkörperbestrahlung und zu einer Strahlenkrankheit führen. Die primäre medizinische Behandlung besteht hauptsächlich in der Dekontamination des Körpers, einschließlich der Wunden und Verbrennungen, um eine Inkorporation von Radionukliden zu verhindern. Die Entfernung kontaminierter Kleidung vermindert die Kontamination erheblich und bildet den ersten Schritt des Dekontaminationsvorgangs. Von den Patienten geht im Allgemeinen keine nennenswerte Strahlungsgefahr für das medizinische Personal aus. Lebensrettende Maßnahmen sollten daher nicht aus Angst vor einer sekundären Kontamination des medizinischen Personals verzögert werden. Obwohl das Risiko relativ gering ist, hängt die Gefährdung des medizinischen Personals direkt von der Dauer der Exposition ab und verhält sich reziprok zum Quadrat der Entfernung zur radioaktiven Quelle. Einweghandschuhe und Mund-Nasen-Schutz sind zum Schutz des Personals und der Betroffenen unverzichtbar.
Eine Inkorporation tritt auf, wenn radioaktives Material eingeatmet oder verschluckt wird oder durch offene Wunden, Verbrennungen oder durch die Haut resorbiert wird. Alle Patienten mit einer äußeren Kontamination sollten grundsätzlich auch hinsichtlich einer Inkorporation untersucht werden. Einige Isotope können darüber hinaus aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften neben den Strahlungsschäden auch toxische Schäden an bestimmten Zielorganen hervorrufen. Der Respirationstrakt ist die Haupteintrittspforte für eine Inkorporation, und die Lunge ist das am häufigsten betroffene Organ. Aerosolpartikel bis 5 μm Größe können die Alveolen erreichen, während größere Partikel in den proximalen Atemwegen verbleiben. Die winzigen Partikel können entweder ausgeatmet oder vom lymphatischen System bzw. dem Blutkreislauf aufgenommen werden, wo sie, abhängig von ihrer physikalischen und biologischen Halbwertszeit, zu einer längerfristigen Strahlenexposition führen können. In dieser Situation kann eine Bronchiallavage hilfreich sein. In den Gastrointestinaltrakt gelangte radioaktive Substanzen werden, ihrer chemischen Struktur und Löslichkeit entsprechend, resorbiert. Nicht lösliche Radionuklide können zu einer Exposition des unteren Gastrointestinaltrakts führen. Die intakte Haut bildet gegenüber den meisten Radionukliden eine gute Barriere. Ein Eindringen durch die Haut findet normalerweise nur dann statt, wenn die Hautbarriere durch Wunden oder Verbrennungen geschädigt ist. Daher sollte jede Hautverletzung sofort gereinigt und dekontaminiert werden.
Resorbierte radioaktive Materialien durchwandern den gesamten Körper. Leber, Nieren, Fettgewebe, Schilddrüse, Knochen und Knochenmark neigen eher als andere Gewebe dazu, radioaktives Material zu binden und zu speichern. Die medizinische Versorgung schließt das Verhindern der Resorption, das Verringern der Inkorporation und die Förderung der Elimination ein (siehe unten).
Mit Teilkörperexposition bezeichnet man eine meist durch näheren Kontakt zwischen einer Strahlenquelle und Teilen des Körpers bedingte Strahlenexposition umschriebener Körperareale. Eine Teilkörperexposition hat umschriebene Schädigungen der Haut und der tieferen Gewebe zur Folge, die den Schäden nach einer thermischen Verbrennung ähneln. Abhängig vom Ausmaß der Strahlenexposition kommt es verzögert zu Symptomen, wie Haarverlust, Rötung, feuchter Desquamation, Ulzeration, Blasenbildung oder Nekrose. Ein vorübergehender oder dauerhafter Haarausfall ist dosisabhängig und beginnt bei einer Hautdosis von mindestens 3 Gy. Es kann Wochen oder Monate dauern, bis sich offene Gewebeschäden entwickeln. Der Heilungsprozess kann sehr langsam sein und über Monate andauern. Langzeitveränderungen der Haut, wie Keratose, Fibrose und Teleangiektasien, können noch Jahre nach der Exposition auftreten. Grundlage der Behandlung sind Analgetika und eine Infektionsprophylaxe. Schwere Verbrennungen können jedoch oft eine Transplantation oder sogar Amputation erfordern. Die Langzeiteffekte der Strahlung sind durch Zellverlust, Zelltod und Gewebeatrophie charakterisiert.
Verbreitung radioaktiver Strahlung - Nuklearer Terrorismus
Die Verbreitung von Radionukliden kann im Allgemeinen auf zwei Arten geschehen: (1) durch kleine, gewöhnlich lokal begrenzte Strahlenquellen oder (2) durch großflächige Verbreitung. Es gibt unglaublich viele Verfahren, mit denen sich ein Anschlag mit radioaktiver Strahlung durchführen lässt. Radioaktive Substanzen können als feste Materie, Aerosol, Gas oder Flüssigkeit auftreten. Sie können Nahrungsmitteln oder Wasser beigefügt werden, von Fahrzeugen aus freigesetzt oder durch eine Explosion verbreitet werden. Der Hauptexpositionsweg besteht gewöhnlich in einem direkten Kontakt zwischen der Haut des Opfers und den radioaktiven Partikeln, wobei jedoch auch eine Inkorporation erfolgen kann, wenn das Material eingeatmet oder verschluckt wird. Das Strahlungsfeld kann darüber hinaus zu einer Quelle für Ganzkörperexpositionen werden. Die psychologischen Auswirkungen eines solchen Ereignisses sind bedeutsam, gehen aber über den Rahmen dieses Kapitels hinaus. Eine Liste radioaktiver Substanzen mit Informationen über ihre wichtigsten Eigenschaften und die medizinische Behandlung findet sich in Tabelle 263e-1.
Bei einem lokalen Ereignis sind die Menge und die Zusammensetzung der radioaktiven Substanzen gewöhnlich begrenzt und man kann wie bei der Freisetzung von anderen Gefahrstoffen vorgehen. Durch Schutzkleidung wird die Kontamination der Rettungskräfte verhindert oder zumindest minimiert.
Die Verwendung von Sprengstoffen zusammen mit großen Mengen radioaktiver Substanzen kann zu einer ausgedehnten Verbreitung von Radionukliden führen, die eine weitaus größere Gefährdung darstellt. Andere potenzielle Strahlenquellen sind Kernkraftwerke, verbrauchte nukleare Treibstoffe und Nukleartransportfahrzeuge. Weniger wahrscheinlich, aber dennoch möglich, ist die Verwendung einer großen Strahlenquelle (penetrierende Strahlung) ohne Explosion. Man geht davon aus, dass es sich dabei größtenteils um eine Exposition gegenüber geringen Strahlendosen mit den gleichen gesundheitlichen und psychologischen Auswirkungen des vorher geschilderten Szenarios handeln würde. Die Zahl der Betroffenen würde dann allerdings in einer anderen Größenordnung liegen.
Sofern eine Explosion am Geschehen beteiligt ist, sollte den üblichen lebensrettenden Maßnahmen die erste Priorität eingeräumt werden. Erst danach sollten die Dekontamination und die spezielle Behandlung der Folgen einer Strahlenexposition durchgeführt werden.
Als verdeckte Exposition bezeichnet man ein Szenario, bei dem eine starke radioaktive Quelle an einem häufig frequentierten Ort versteckt wird oder bei dem Radionuklide unbemerkt oder unangekündigt freigesetzt werden. Es kann lange dauern, bis der Vorfall erkannt und die Strahlenquelle lokalisiert wird. Einer der wichtigsten Hinweise auf eine derartige Situation ist das Auftreten von ungewöhnlichen Symptomen bei einer größeren Zahl von Personen. Solche klinischen Manifestationen sind oft unspezifisch. Zu ihnen gehören die Zeichen einer akuten Strahlenkrankheit (siehe unten), wie Kopfschmerzen, Erschöpfung, Krankheitsgefühl und opportunistische Infektionen. Gastrointestinale Symptome wie Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen und Gewichtsabnahme können auftreten. Auch Veränderungen der Haut (Verbrennungen, Ulzerationen und Haarverlust) und des hämatopoetischen Systems wie Blutungsneigung, Thrombozytopenie, Purpura, Lymphopenie oder Neutropenie können dosisabhängig auftreten. Um die Quelle einer solchen Exposition zu identifizieren, können sorgfältig durchgeführte epidemiologische Studien notwendig sein.
Kernwaffen - Nuklearer Terrorismus
Als wahrscheinlichstes Szenario des Terrors mit Nuklearwaffen ist die Detonation einer einzelnen Waffe mit geringer Sprengkraft anzusehen. Die Wirkung einer solchen Waffe dürfte schätzungsweise in einem Bereich zwischen 0,01 und 10 Kilotonnen 2,4,6-Trinitrotoluen (TNT) liegen. Die zu erwartenden Auswirkungen einer solchen Explosion beruhen auf der Kombination verschiedener Komponenten: Erderschütterung, Druckwelle, Hitzestrahlung, anfängliche radioaktive Strahlung, Kraterbildung und radioaktiver „Fall-out“.
Die nukleare Detonation löst, wie eine konventionelle Explosion, eine Druckwelle aus, die zu weitreichenden Zerstörungen und zahlreichen Verwundeten führt. Zusätzlich verursacht sie einen extrem heißen Feuerball, der Materialien entzünden und zu schweren Verbrennungen führen kann. Ferner setzt die Detonation in großem Umfang ionisierende Strahlung frei, und zwar hauptsächlich Gamma-Strahlung und Neutronen. Die in der ersten Minute freiwerdende Strahlung wird als Anfangsstrahlung bezeichnet, während die anhaltende Strahlung durch radioaktiven Niederschlag Rückstandsstrahlung genannt wird. Beide Strahlungsarten können eine akute Strahlenkrankheit hervorrufen. Durch Wind kann radioaktiver Niederschlag fortgetragen werden und weite Gebiete kontaminieren. Die LD50/30 (die Dosis, die innerhalb von 30 Tagen bei der Hälfte der Exponierten tödlich wirkt) nach Ganzkörperexposition liegt ohne medizinische Versorgung bei etwa 4 Gy. Bei entsprechender medizinischer Behandlung liegt sie zwischen 8 und 10 Gy. Darüber hinaus führt die massive Explosion zu einer Kraterbildung im Erdboden und gewöhnlich zu einem Erdbeben, das den Schaden und die Anzahl der Verwundeten weiter erhöht. Die Inhalation großer Mengen radioaktiven Staubes verursacht eine interstitielle Pneumonie (sog. Strahlenpneumonitis), aus der sich eine Lungenfibrose entwickeln kann. Die Verwendung einer Mund und Nase bedeckenden Maske kann sehr hilfreich sein. Der intensive Blitz aus infrarotem und sichtbarem Licht kann sowohl temporäre als auch permanente Blindheit hervorrufen. Bei den Überlebenden können sich noch Monate oder Jahre später Katarakte entwickeln.
Akute Strahlenkrankheit - Nuklearer Terrorismus
Die akute Strahlenkrankheit ist eine Multisystemerkrankung, die Stunden bis Wochen nach einer Strahlenexposition auftritt. Eine akute Strahlenkrankheit ist erst oberhalb einer Äquivalentdosis von 500 mSv zu erwarten. Wie bereits besprochen, steigt die Empfindlichkeit der Zellen mit ihrer Teilungsrate und nimmt mit zunehmender Differenzierung ab. Knochenmark und Schleimhautepithel des Gastrointestinaltrakts, die eine starke Mitose-Aktivität aufweisen, sind sehr viel strahlenempfindlicher als Gewebe, das sich langsamer teilt, wie z. B. Knochen oder Muskeln (Gesetz von Bergonie und Tribondeau). Wird der ganze Körper oder der größte Teil des Körpers ionisierender Strahlung ausgesetzt, kann sich eine akute Strahlenkrankheit entwickeln. Die Symptome hängen sowohl von der Dosis und der Art der Strahlung als auch von den exponierten Körperteilen ab.
Eine akute Strahlenkrankheit manifestiert sich klinisch hauptsächlich mit drei Gruppen von Symptomen: dem gastrointestinalen, dem hämatopoetischen und dem neurovaskulären Syndrom. Sie durchläuft vier Hauptstadien: Prodromalstadium, Latenzphase und Manifestationsstadium mit darauf folgender Genesung oder Tod. Je höher die Strahlendosis ist, desto kürzer und ausgeprägter sind die einzelnen Phasen. Das Prodromalstadium tritt wenige Stunden bis zu 4 Tage nach Strahlenexposition auf und dauert einige Stunden bis Tage. Es kann mit Übelkeit, Erbrechen, Gewichtsabnahme und Diarrhöen einhergehen. Am Ende des Prodromalstadiums geht die akute Strahlenkrankheit in die Latenzphase über. In dieser Phase treten üblicherweise nur minimale oder gar keine Symptome auf. Sie dauert normalerweise bis zu 2,5 Wochen, kann aber auch bis 6 Wochen anhalten. Die Dauer hängt von der Strahlendosis, dem Gesundheitszustand des Patienten und dem Vorhandensein weiterer Krankheiten oder Verletzungen ab. Die Latenzphase mündet in das Manifestationsstadium der Erkrankung und kann dann entweder zu einer Genesung oder zum Tod des Patienten führen.
Bei einer Strahlendosis von bis zu 1 Gy tritt meistens nur eine leichte akute Strahlenkrankheit auf. Selbst bei einer Ganzkörperexposition zeigen sich bei dieser Dosis nur minimale oder gar keine Symptome. Das klinische Bild äußert sich überwiegend in einer vorübergehenden Knochenmarkdepression, die etwa 2–3 Wochen andauern kann.
Bei hohen Dosen von mindestens 30 Gy verläuft die akute Strahlenkrankheit sehr viel rascher und wesentlich dramatischer. Bei solchen Dosen zeigen sich schon nach Minuten Prodromi. Nach einer darauf folgenden Latenzphase von 5–6 Stunden kommt es zu einem Herz-Kreislauf-Versagen als Folge einer Mikrozirkulationsstörung.
Die Exposition gegenüber intermediärer Strahlendosen führt zu unterschiedlichen Verläufen der akuten Strahlenkrankheit. Art und Dosis der Strahlung sowie der Umfang einer (Teil-)Körperexposition bestimmen nicht nur die Zeit des Auftretens der verschiedenen Phasen einer akuten Strahlenkrankheit, sondern auch das dominierende klinische Bild. Bei geringen Strahlendosen von 0,7–4 Gy manifestiert sich die akute Strahlenkrankheit hauptsächlich in der durch die Knochenmarksuppression gehemmten Hämatopoese. Beim Patienten können infolge einer verringerten Leukozyten- bzw. Thrombozytenzahl Infektionen und Blutungen auftreten. Patienten mit nur hämatopoetischen Manifestationen überleben fast immer unter einer supportiven Therapie mit Transfusionen und Flüssigkeitssubstitution. Bei einer Strahlenexposition von 6–8 Gy ist das klinische Bild sehr viel komplizierter. Nach diesen Dosen kann sich das Knochenmark nicht immer erholen und die Strahlenkrankheit kann tödlich verlaufen. Ein gastrointestinales Syndrom kann die hämatopoetischen Symptome begleiten und den Zustand des Patienten weiter verschlechtern. Die Schädigung der Resorptionsschichten des Darmes verändert die Aufnahme von Flüssigkeit, Elektrolyten und Nährstoffen und kann zu Erbrechen, Diarrhöen, gastrointestinalen Blutungen sowie zu Flüssigkeitsverlusten und Elektrolytentgleisungen führen. Diese Symptome werden generell von einem schweren hämatopoetischen Syndrom mit nur geringen Aussichten auf eine Erholung des Knochenmarks begleitet; diese Konstellation führt oft zum Tod. Eine Ganzkörperbestrahlung mit Dosen von über 9–10 Gy verläuft fast immer tödlich, da sich die entscheidenden Bestandteile des Knochenmarks nicht mehr erholen können. Neben dem gastrointestinalen Syndrom können Patienten bei sehr hohen Strahlendosen auch ein neurovaskuläres Syndrom entwickeln, das bei einer Ganzkörperdosis von über 20 Gy im Vordergrund steht. Nach einem auf wenige Stunden verkürzten Prodromalstadium und einer ebenso verkürzten Latenzphase treten Krampfanfälle und ein in der Regel tödlich verlaufendes Herz-Kreislauf-Versagen auf.
Behandlung: Akute Strahlenkrankheit
Die Behandlung der akuten Strahlenkrankheit besteht in der Aufrechterhaltung der Homöostase, um den geschädigten Organen die Möglichkeit zur Erholung zu geben. Alle geschädigten Organsysteme werden so weit wie möglich mit supportiven Maßnahmen unterstützt. Zur Behandlung des hämatopoetischen Syndroms gehören die Verkürzung der Neutropeniedauer, der Ausgleich einer Thrombopenie und Anämie sowie die Behandlung von Infektionen. Transfusionen von Blutprodukten wie leukozytendepletiertem, bestrahltem Blut und die Gabe von hämatopoetischen Wachstumsfaktoren sind notwendig. Der Stellenwert von Knochenmarktransplantationen ist in dieser Situation umstritten. Keine der Transplantationen, die bei Einsatzkräften des Unglücks in Tschernobyl durchgeführt wurden, war erfolgreich. Eine Knochenmarktransplantation kann in Fällen mit einer Ganzkörperstrahlendosis von 6–10 Gy erwogen werden, sofern das hämatopoetische Syndrom im Vordergrund steht und sich das Knochenmark im Laufe der Zeit vermutlich kaum erholen wird. Allerdings ist die Effizienz dieser Behandlung noch nicht belegt. Eine weitere wichtige Komponente in der Behandlung der akuten Strahlenkrankheit ist die – teilweise oder ausschließliche – parenterale Ernährung, um den geschädigten Magen-Darm-Trakt zu umgehen. Verletzungen durch Explosionen und Verbrennungen werden nach den üblichen Standardverfahren behandelt. Psychologische Hilfe ist in den meisten Fällen unverzichtbar. Einen Algorithmus für die Behandlung von Strahlengeschädigten zeigt Abbildung 263e-1.
Medizinisches Management bei nuklearem Terrorismus
Opfer von nuklearem Terrorismus können sowohl unter konventionellen Brand- und Explosionsverletzungen als auch unter Strahlenexposition und Kontamination durch radioaktive Substanzen leiden. Viele Betroffene werden Kombinationsverletzungen erleiden, die synergistisch wirken und eine höhere Morbidität und Letalität aufweisen als jede dieser Erkrankungen für sich allein. Die Anzahl der Verwundeten ist der entscheidende Faktor für die Reaktion des Gesundheitswesens auf einen nuklearen terroristischen Anschlag. Wenn nur wenige Personen betroffen sind, so sind zur Behandlung der Opfer keine besonderen Veränderungen oder Anpassungen des Systems notwendig. Sollte jedoch ein terroristischer Anschlag eine große Anzahl (Hunderte oder mehr) an Opfern mit sich bringen, ist ein organisierter Katastrophenplan auf regionaler und nationaler Ebene notwendig, um in geeigneter Weise mit der Krise fertig zu werden. Nützliche US-amerikanische Dokumente zur Planung mit vielen sinnvollen allgemeingültigen Konzepten finden sich auf http://www.remm.nlm.gov/remm_Preplanning.htm. Das medizinische Personal sollte bereits vorab Anweisungen erhalten und entsprechend vorbereitet sein, um dann in einem Szenario, mit dem es bereits vertraut ist, richtig handeln zu können. Vorräte an spezieller Ausrüstung und Medikamenten sollten bereits vorhanden sein (siehe hierzu die Internetseite der CDC: http://www.bt.cdc.gov/stockpile/). Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es eines der Ziele von Terroristen ist, die medizinischen Einrichtungen zu überfordern und die Rettung von Verwundeten zu minimieren. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Reaktion aller Menschen auf die Ausbringung der radioaktiven Bedrohung sehr von Irrationalität geleitet sein wird.
Das anfängliche Management besteht in der primären Triage und dem Transport der Verletzten zu den medizinischen Einrichtungen, um sie dort zu behandeln. Der Triage liegt die Überlegung zugrunde, die Patienten entsprechend der Schwere ihrer Verletzungen zu klassifizieren, um die klinische Versorgung zu beschleunigen und um die optimale Nutzung der vorhandenen klinischen Ressourcen zu gewährleisten. Die Auswirkungen der ionisierenden Strahlung werden erst zu einem späteren Zeitpunkt klinisch relevant. Der Fokus der Triage ist deshalb auf die lebensbedrohlichen Verletzungen zu richten. Eine Triage erfordert die Festlegung der benötigten medizinischen Versorgungsebene. Je größer die Anzahl der Verletzten und je heterogener das Ausmaß ihrer Verwundungen ist, desto komplexer und schwieriger wird die Triage. Die Leichtverletzten und Kontaminierten können nur evakuiert, von Katastrophenhelfern registriert und dann zu Dekontaminations- und Behandlungszentren geschickt werden. Dadurch wird vermieden, dass die Krankenhäuser unmittelbar überfüllt werden. Die Schwerverletzten können auf diese Weise besser behandelt werden. Abbildung 263e-2 zeigt ein Modell für die Evakuierung bei zahlreichen Verletzten. Das Ziel eines derartigen Algorithmus besteht darin, alle Opfer einer Exposition sowie alle Patienten mit geringfügigen Verletzungen außerhalb des Krankenhauses zu behandeln. Auf diese Weise können die Krankenhäuser selbst verhindern, dass sie überlastet werden und die Schwerverletzten können besser behandelt werden. Notfallbehandlungen von konventionellen Verletzungen wie Wunden, Traumata und Verbrennungen oder Verätzungen werden sofort durchgeführt. Personen mit solchen Verletzungen müssen möglichst stabilisiert und sofort zu einer medizinischen Versorgungseinrichtung transportiert werden. Wird das Opfer entkleidet und in saubere Decken oder Nylon-Laken gewickelt, so verringert sich sowohl die Strahlenexposition des Patienten als auch das Kontaminationsrisiko des Personals. Weniger schwer Verletzte sollten vor oder während der Evakuierung in ein Krankenhaus vorläufig dekontaminiert werden.
Man sollte nicht vergessen, dass eine Kontamination der Haut mit Radionukliden normalerweise keine akut lebensbedrohliche Situation für den Patienten oder das behandelnde Personal bedeutet. Nur bei starken Gamma-Strahlern ist es wahrscheinlich, dass sie durch eine Kontamination zu einem realen Schaden führen. Es ist nachdrücklich zu betonen, dass die Exposition gegenüber einem Strahlungsfeld für sich genommen nicht zwangsläufig zu einer Kontamination führt. Die exponierte Person ist, wenn sie nicht kontaminiert ist, nicht radioaktiv und sondert auch keine Strahlung ab.
Zum Schutz des Personals sollte Schutzkleidung (Kittel, Handschuhe, Maske und Haube) getragen werden. ABC-Masken mit Filter und Chemikalienschutzanzüge schützen exzellent vor Kontamination. Wasserdichte Überschuhe sind ebenfalls wichtig. Der Aufenthalt im kontaminierten Bereich, um lebensrettende Sofortmaßnahmen durchzuführen, sollte nach dem „ALARA“-Prinzip erfolgen: „as low as reasonably achievable“ (so wenig Strahlenexposition wie vernünftigerweise erreichbar). Um die gleiche Aufgabe zu erledigen, ist es besser, viele Personen für kurze Zeit der Strahlung auszusetzen als wenige Personen über einen längeren Zeitraum.
Die Dekontamination der Opfer sollte immer im Vorfeld ihrer Aufnahme in die medizinischen Einrichtungen stattfinden, aber niemals die medizinische Behandlung beeinträchtigen. Die Entfernung der Oberbekleidung und der Schuhe vermindert die Kontamination des Patienten meist um 80–90 %. Kontaminierte Kleidung sollte vorsichtig entfernt werden, indem man die Außenseite nach innen wendet, und sie dann in eine markierte Plastiktüte packt, die an eine dafür vorgesehene Sammelstelle für kontaminierte Kleidung und Ausrüstungsgegenstände gebracht wird. Der Körper des Patienten sollte hinsichtlich verbliebener Kontamination mit einem Strahlenmessgerät untersucht werden. Um eine Inkorporation radioaktiver Substanzen zu verhindern, sollten offene Wunden vor der Dekontamination bedeckt werden. Duschen und Waschen der gesamten Hautoberfläche sowie der Haare ist sehr wichtig und sollte so schnell wie möglich erfolgen. Nach dem Abtrocknen wird die Haut so oft erneut auf eventuell verbliebene Kontamination überprüft, bis keine Strahlung mehr nachgewiesen werden kann. Chemische Dekontaminationsmittel sind für eine radioaktive Dekontamination mehr als ausreichend.
Die Dekontamination von Wunden sollte so vorsichtig wie möglich durchgeführt werden. Hauptziel ist es, sowohl eine Ausdehnung der lokalen Gewebsschädigung als auch eine Inkorporation von Radionukliden über die verletzte Haut zu verhindern. Bandagen müssen entfernt und die Wunden müssen gespült werden. Die Wunde muss danach getrocknet und auf Kontamination geprüft werden. Diese Prozedur kann so lange wiederholt werden, bis keine Kontamination mehr gemessen werden kann. Eine Exzision kontaminierter Wunden sollte nur bei entsprechender chirurgischer Indikation durchgeführt werden. Radioaktive Schrapnelle können die Haut durchdringen und sollten entfernt werden.
Das Personal im Krankenhaus kann normale Schutzkleidung mit zwei Paar Handschuhen, Kittel, Haube, Überschuhen, Kopfbedeckung und Gesichtsmaske tragen. Ein Augenschutz (Arbeitsschutzbrille) ist empfehlenswert. Nach der Notfallversorgung und der Dekontamination des Patienten ist eine Dekontamination des Personals obligat. Nach Gebrauch sollte sämtliche Schutzkleidung in den für die Aufnahme kontaminierter Kleidung vorgesehenen Behältern gesammelt werden.
Die Strahlungsintensität verringert sich exponentiell mit der Entfernung zur Quelle. Daher sind die Grundprinzipien des Strahlenschutzes eine Vergrößerung der Entfernung zur Strahlenquelle und eine Verkürzung der in ihrer Nähe verbrachten Zeit. Vor kleinen radioaktiven Gamma-Strahlern kann eine Abschirmung mit Blei schützen. Geiger-Zähler können Gamma- und Beta-Strahlung messen. Taschen-Dosimeter, Strahlenschutzplaketten und Thermoluminiszenz-Dosimeter messen kumulativ die Exposition gegenüber Gamma-Strahlung. Diese Detektoren sind in medizinischen Einrichtungen gebräuchlich und sollten genutzt werden, um das Ausmaß der Kontamination zu bestimmen. Alpha-Strahlung ist aufgrund ihres geringen Durchdringungsvermögens schwerer zu erkennen. Alpha-Szintillationszähler, die Alpha-Strahlung erkennen können, werden in medizinischen Einrichtungen üblicherweise nicht benutzt.
Richtlinien für das Management im Krankenhaus bei nuklearerm Terrorismus
Abbildung 263e-3 zeigt modellhaft den Ablauf einer Triage. Äußerlich kontaminierte Personen und Patienten mit Inkorporation müssen erkannt und äußerlich dekontaminiert werden. Gegebenenfalls müssen sie sofort eine spezielle Therapie der Inkorporation erhalten. In allen anderen Fällen ist die Behandlung von Strahlenverletzten kein medizinischer Notfall. Bei offensichtlicher akuter Strahlenkrankheit müssen sofort erste Maßnahmen ergriffen werden. Hierzu gehört die Entnahme von Blutproben, um sowohl den Schweregrad der Exposition als auch die Blutgruppe zu bestimmen, damit Kreuzproben für die Vorbereitung möglicher Transfusionen durchgeführt werden können.
Im Eingangsbereich des Krankenhauses sollte sofort ein deutlich erkennbarer Dekontaminationsbereich eingerichtet werden. Die Trennung von sauberen und kontaminierten Bereichen ist essenziell. Das medizinische Personal im kontaminierten Bereich sollte die oben beschriebene Schutzkleidung tragen. Das Personal sollte auch alle 1–2 Stunden zwischen den verschiedenen Aufgabenbereichen rotieren, um sicherzustellen, dass es möglichst wenig Strahlung ausgesetzt wird. Wenn Patienten schwer verletzt sind und operiert werden müssen oder Wiederbelebungsmaßnahmen benötigen, müssen sie direkt in einen „kontaminierten“ Operationssaal bzw. Reanimationsraum gebracht werden, damit lebensrettende Maßnahmen getroffen werden können. Sobald diese Patienten stabil sind, sollten sie dekontaminiert werden. Es ist wichtig, Details über die Exposition zu erfragen, nach Prodromalzeichen einer Strahlenkrankheit zu suchen und eine körperliche Untersuchung durchzuführen. Eine der besten Methoden, die Exposition klinisch abzuschätzen, besteht darin, die Zeit bis zum Auftreten von Prodromalerscheinungen zu erfassen. Je früher die Prodromi und Symptome auftreten, desto höher ist die Strahlenexposition gewesen. Einige Labortests müssen routinemäßig durchgeführt werden, wie Blutbild und Urinstatus. Wenn eine Inkorporation vermutet wird, sollte die unten beschriebene spezifische Behandlung durchgeführt werden.
Behandlung: Radionuklidkontamination
Tabelle 263e-2 fasst die gängigen Behandlungsregime einer Inkorporation von Radionukliden zusammen. Die Behandlung einer Inkorporation von Radionukliden, die als Dekorporation bezeichnet wird, sollte möglichst rasch nach der vermuteten oder bekannten Exposition beginnen. Die Obergrenze, bis zu der eine Radionuklidkontamination aus Sicherheitsgründen ignoriert werden kann, ist nur unzureichend definiert. Derartige Entscheidungen hängen von den aktuellen Umständen und den verfügbaren Ressourcen ab. Der Clinical Decision Guide ist Teil des National Council on Radiation Protection and Measurements (NCRP) Report 161 und eine Entscheidungshilfe bei der Behandlungsindikation von kontaminierten Patienten. Große Triage-Zentren sollten diese Bände anschaffen (verfügbar auf http://www.ncrppublications.org/Reports/161_I), weil sie dem medizinischen Personal in kritischen Situationen bei der Entscheidung darüber helfen, bei welchen Patienten eine Dekorporation durchgeführt werden sollte.
Ziel ist es, nur die kleinstmögliche Menge an Radionukliden im Körper zu belassen. Die Behandlung soll die Resorption vermindern und die Eliminierung und Ausscheidung verstärken. Einige der dekorporierenden Substanzen sind nicht von der U.S. Food and Drug Administration (FDA) für diese Indikationen zugelassen und es gibt nur sehr wenige klinische Daten, die ihre Wirksamkeit belegen.
Die Reinigung des Gastrointestinaltrakts von Radionukliden kann durch eine Magenspülung, durch den Einsatz von Emetika (z. B. Apomorphin 5–10 mg oder Ipecacuanha 1- bis 2-g-Kapseln oder 15 ml Sirup) oder durch die Anwendung von Purgativa/Adsorbenzien, Laxanzien, Ionenaustauschern und Aluminiumantazida durchgeführt werden. Preußischblau ist ein Ionenaustauscher, der zur Behandlung einer Inkorporation von Cäsium-137 in einer Dosis von 3 × 1 g/d über mindestens 3 Wochen angewandt wird. Aluminiumantazida (z. B. Aluminiumphosphat-Gel 100 ml) können die Aufnahme von Strontium im Darm verringern, wenn sie unmittelbar post expositionem gegeben werden. Aluminiumhydroxid (60–100 ml) ist weniger effektiv.
Die Interaktion von Radionukliden mit Geweben lässt sich durch Substanzen, welche die Absorption blockieren, die Radionuklide verdünnen, mobilisieren oder aus dem Gewebe freisetzen sowie durch Substanzen, die Chelate mit den Radionukliden bilden, verhindern oder umkehren.
Blockierende Substanzen verhindern die Aufnahme radioaktiver Substanzen ins Gewebe. Das bekannteste effektive Beispiel ist Kaliumiodid, das die Aufnahme von freigesetztem radioaktivem Iod (131I) durch die Schilddrüse verhindert. Kaliumiodid wirkt am besten, wenn es innerhalb der ersten Stunde post expositionem eingenommen wird, ist aber auch 6 Stunden danach noch wirksam. Die Effektivität nimmt bis 24 Stunden post expositionem stetig ab; trotzdem wird empfohlen, Kaliumiodid bis zu 48 Stunden post expositionem zu verabreichen. Die Kaliumiodiddosis hängt vom Alter, der erwarteten Strahlenexposition der Schilddrüse und einer eventuellen Schwangerschaft oder einem eventuellen Stillen ab. Erwachsene im Alter zwischen 18 und 40 Jahren sollten 130 mg/d über 7–14 Tage erhalten, wenn sie mehr als 0,1 Gy radioaktivem Iod ausgesetzt waren. Andere die Schilddrüse blockende Mittel sind Propylthiouracil (3 × 100 mg/d über 8 Tage) oder Methimazol (3 × 10 mg/d über 2 Tage, gefolgt von 3 × 5 mg/d über 6 Tage), sie sind jedoch geringer wirksam.
Verdünnungsmittel verringern die Resorption von Radionukliden. So kann Wasser als Verdünnungsmittel bei der Behandlung von Tritium(3H)-Kontaminationen benutzt werden. Die empfohlene Menge liegt bei 3–4 l/d über mindestens 3 Wochen.
Mobilisierende Substanzen sind am effektivsten, wenn sie sofort verabreicht werden, können aber auch bis zu 2 Wochen post expositionem noch wirksam sein. Zu ihnen gehören Thyreostatika, Nebenschilddrüsenextrakte, Glukokortikoide, Ammoniumchlorid (Salmiak), Diuretika, Expektoranzien und Inhalativa. Alle diese Substanzen sollen eine Freisetzung der Radionuklide aus dem Gewebe bewirken.
Chelatbildner können eine Vielzahl radioaktiver Substanzen binden. Die gebildeten Komplexe werden danach ausgeschieden. In dieser Hinsicht ist Diethylentriaminpentaessigsäure (DTPA) der Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA) überlegen. DTPA bindet (cheliert) Plutonium, Berkelium, Californium, Americium, Curium oder jede andere Substanz mit einer Atomzahl von mindestens 92. Die tägliche Dosis beträgt 1 g Ca-DTPA oder Zn-DTPA, gelöst in 250 ml physiologischer Kochsalzlösung oder 5%iger Glukoselösung. Sie wird in einstündigen Infusionen verabreicht. Die Therapiedauer hängt vom Ausmaß der inneren Kontamination und dem Therapieansprechen ab. DTPA kann auch per inhalationem appliziert werden: 1 g wird in einer 1:1-Lösung mit Wasser oder Kochsalzlösung über 15–20 Minuten gegeben. Diese Applikationsform wird bei inhalativer Kontamination empfohlen. Die intravenöse Gabe wird empfohlen und sollte gewählt werden, wenn unklar ist, wie es zu der inneren Kontamination kam oder falls es mehrere mögliche Wege gibt. DTPA-Pentaethylester ist ein Prodrug, das bei oraler Aufnahme gut resorbiert wird und dessen therapeutische Wirkungen in ersten Wirksamkeitsstudien belegt wurden. Aufgrund der oralen Gabe dürfte es bei Massenverletzten besser einsetzbar sein als die Zubereitungen zur intravenösen Gabe oder zur Vernebelung. Die Behandlung einer Uraninkorporation mit DTPA ist aufgrund synergistischer Nierenschädigungen kontraindiziert.
Eine bronchoalveoläre Lavage kann das Ausmaß einer strahleninduzierten Pneumonitis reduzieren. Sie ist nur indiziert, wenn eine so große Menge an Radionukliden in die Lunge eingedrungen ist, dass mit der Entwicklung einer akuten Strahlenschädigung gerechnet werden muss. Für diese Prozedur ist eine Anästhesie erforderlich.
Medizinische Untersuchung eines strahlenexponierten Patienten - Nuklearer Terrorismus
Eine der größten Schwierigkeiten bei der Behandlung eines strahlenexponierten Patienten ist die Abschätzung des Ausmaßes der Exposition. Bei der Triage, die sofort nach einem terroristischen Anschlag erfolgt, stehen eher keine Informationen über Quelle, Dosis und Expositionszeit zur Verfügung. Die klinische Untersuchung des Patienten bietet den besten Ansatz und umfasst eine Anamnese und eine körperliche Untersuchung, bei der auf die Prodromi der akuten Strahlenkrankheit geachtet wird. Das Auftreten eines frühen Prodromalsyndroms deutet auf eine hohe Strahlenexposition hin. Opfer, die bei der stationären Aufnahme über Schwäche, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö oder Krampfanfälle klagen, werden trotz therapeutischer Maßnahmen vermutlich nicht überleben. Es gibt nur sehr wenige Tests, mit deren Hilfe sich die Strahlenexposition und die Kontamination abschätzen lassen. Das Biodosimetry Assessment Tool (BAT) erleichtert Therapieentscheidungen bei Strahlenunfällen; es wurde vom U.S. Armed Forces Radiobiology Research Institute entwickelt und schätzt die Strahlenexposition anhand einer einmaligen Bestimmung der Lymphozytenzahl, der Lymphozyten-Depletionsrate und der Zeit, die zwischen der Exposition und dem ersten Erbrechen vergangen ist. Die verwendeten Algorithmen basieren auf großen Datensätzen von Strahlenexpositionen beim Menschen und sind verfügbar auf www.usuhs.mil/afrri/outreach/request.htm. Der Patient sollte überwacht werden und das Auftreten klinischer Symptome sowie Schwere und Zeitpunkt von Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Anorexie, Fieber, Hypotonie, Tachykardie, Schwäche, kognitiven Störungen, Hautschuppung, Diarrhö und blutigen Stuhlgängen dokumentiert werden. Das AFRRI Biodosimetry Worksheet (www.usuhs.mil/afrri/outreach/pdf/afrriform331.pdf) ist eine gute Vorlage für die Dokumentation. Zu den Basisuntersuchungen sollten ein komplettes Differenzialblutbild mit Thrombozytenzählung, die Bestimmung der Nierenretentionswerte sowie die Bestimmung der Elektrolyte, der Amylase und des C-reaktiven Proteins im Serum gehören. Wenn eine Inkorporation vermutet wird, sollten Urin- und Stuhlproben gewonnen werden. Zur Beurteilung einer eventuellen Inhalation von Radionukliden sollten in den ersten 1–2 Stunden nach Exposition aus jedem Nasenloch Abstriche entnommen werden. Nach kräftigem Schnäuzen aus beiden Nasenlöchern sollte jeder Abstrich gekennzeichnet und in einer Plastiktüte versiegelt zur Analyse an die entsprechenden Labore geschickt werden. Patienten, die einer Dosis von 0,7–4 Gy ausgesetzt waren, werden innerhalb von 10 Tagen bis zu 8 Wochen post expositionem eine Panzytopenie entwickeln. Die Lymphozyten zeigen den schnellsten Abfall, während andere Leukozyten und Thrombozyten weniger schnell absinken. Erythrozyten reagieren am wenigsten empfindlich.
Die Bestimmung der absoluten Lymphozytenzahl sollte über einen Zeitraum von 5–6 Tagen alle 4–6 Stunden durchgeführt werden. Sie ist der wertvollste Frühindikator, da sie sehr empfindlich für Strahlenschäden ist und ihr Abfall sowohl mit dem Ausmaß der Strahlenexposition als auch mit der Prognose korreliert. Ein Abfall der absoluten Lymphozytenzahl um 50 % in den ersten 24 Stunden lässt einen schweren Strahlenschaden erwarten. Eine HLA-Typisierung ist immer dann notwendig, wenn der Verdacht auf eine irreparable Knochenmarkschädigung besteht. Die Chromosomenanalyse der Lymphozyten kann bereits eine geringe Strahlenexposition von nur 0,03–0,06 Gy aufzeigen. Hierfür sollten so früh wie möglich 15 ml Heparinblut abgenommen und kühl gelagert werden. Zu den strahleninduzierten Chromosomenaberrationen in peripheren Blutlymphozyten gehören dizentrische Chromosomen, die über einige Wochen nachweisbar bleiben. Durch Kalibrierung einer Dosis-Wirkungs-Kurve lässt sich die Strahlendosis abschätzen. Eine dizentrische Quantifizierung dauert mehrere Tage und ist nur in ausgewählten Zentren verfügbar. Zur physikalischen Dosisrekonstruktion (Gamma-Quelle etc.) sollten, wenn möglich, der Abstand des Patienten zur Strahlenquelle, deren Dosisleistung und die Dauer der Exposition ermittelt werden. Hieraus lässt sich die ungefähre Strahlungsmenge, der der Patient ausgesetzt war, bestimmen.
Eine andere Methode zur Abschätzung der Exposition ist das Zytokinese-Block-Mikronukleus-Assay (in vitro). Mikronuklei sind die Folge kleiner azentrischer Chromosomenfragmente, die während der Strahlenexposition entstehen. Das Verfahren bewertet die Mikronuklei in den peripheren Blutlymphozyten und wurde in den letzten Jahren standardisiert. Es ist bei geringer Patientenzahl hilfreich, für eine Massenexposition aber ungeeignet.
Verlaufsuntersuchungen - Nuklearer Terrorismus
Unter bestimmten Umständen sind längerfristige Verlaufsuntersuchungen sinnvoll. Allgemein können nur die Patienten mit einer Ganzkörperexposition von weniger als 8–10 Gy eine längere Zeit überleben, sodass bei ihnen die Gefahr von Katarakten, Sterilität, Krebserkrankungen sowie Erkrankungen von Lunge, Nieren und Knochenmark besteht. Abhängig von Alter, Geschlecht sowie von Ausmaß und Art der Exposition sollten sie für mehrere Jahre überwacht werden. Ein zentrales öffentliches Gesundheitsproblem ist das Auftreten von Zweitmalignomen bei Einzelpersonen und Populationen nach niedrig dosierter Strahlenexposition. Am häufigsten treten eine Leukämie, Mammakarzinome, Hirntumoren, Schilddrüsenkarzinome und Bronchialkarzinome auf. Allerdings besteht nach Strahlenexposition auch ein erhöhtes Risiko für zahlreiche andere Krebserkrankungen. Anhand der Expositionsart und der exponierten Population muss ein geeignetes Nachbeobachtungsprotokoll erarbeitet werden. Bei Inkorporation sollte sich die Langzeitüberwachung auf das jeweils gefährdete Organ konzentrieren. In den Jahren nach einem Anschlag wird die Gesellschaft viel psychosoziale Unterstützung benötigen.
Bitte beachten Sie diesen Artikel im Zusammenhang des Gesamtwerks. Eine ärztliche Plausibilitätsprüfung im Kontext dieses Cockpits ist unerlässlich. Die Anzeige von Inhalten ist insbesondere bei den Dropdowns zu Therapie und Medikamenten keinesfalls als Anwendungsempfehlung oder Indikation zu verstehen, sondern soll Ihnen lediglich die Suche erleichtern. Häufig werden ganze Medikamenten-/Themengruppen angezeigt, die im gegebenen Zusammenhang möglicherweise von Interesse sein könnten. Für Vollständigkeit kann keine Gewähr übernommen werden.