266e Epidemiologie kardiovaskulärer Erkrankungen
Durch Industrialisierung, Urbanisation und Lebensstiländerungen bedingt, findet an allen Orten der Welt unter allen ethnischen Gruppen und Kulturen ein epidemiologischer Wandel (der „epidemiologische Übergang“) bezüglich der Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen (CVD) statt.
Vier koexistente und ein entstehendes Stadium werden beschrieben.
Das Zeitalter von Plagen und Hungersnöten, in dem sich noch viele subsaharische Länder befinden, ist gekennzeichnet durch Vorherrschen von Mangelernährung und Infektionskrankheiten als Todesursachen, CVD machen 10 % der Todesursachen aus.
Im Zeitalter der weichenden Pandemien mit besseren Gesundheitsstrukturen und Ernährung steigt der Anteil an kardiovaskulären Erkrankungen, besonders von Schlaganfällen, Hypertonie und koronarer Herzkrankheit. Das Zeitalter der degenerativen und gesellschaftlich entstandenen Erkrankungen ist durch einen Anstieg der Lebenserwartung geprägt. Die Mortalität von chronischen nicht übertragbaren Krankheiten übersteigt in dieser Phase diejenige von Mangelernährung und Infektionskrankheiten. Westeuropa befindet sich im Zeitalter der verzögerten degenerativen Krankheiten mit CVD und Krebs als Hauptursachen von Morbidität und Mortalität sowie weniger relativen Todesfällen und späteren Erstereignissen aufgrund von besserer Behandlung und Prävention.
Aufgrund ungesunder Lebensführung droht ein Übergang in ein Zeitalter von Inaktivität und Fettsucht mit einer möglichen Umkehr der altersbezogenen Abnahme der Mortalität.
Am Beispiel der USA wird der epidemiologische Übergang eindrücklich erläutert.
Eine künftige Herausforderung besteht in der Prävention und Behandlung sprunghaft steigender Zahlen von CVD in Ländern mit geringem und mittlerem Einkommen.
Für die deutsche Ausgabe Jörn Ole Vollert und Martin Möckel
Heute sind kardiovaskuläre Erkrankungen die weltweit häufigste Todesursache. Vor dem 20. Jahrhundert waren Infektionskrankheiten und Mangelernährung für den Großteil der Todesfälle verantwortlich. Kardiovaskuläre Erkrankungen trugen dazu lediglich einen Anteil von weniger als 10 % bei. Im Jahr 2010 stellten kardiovaskuläre Erkrankungen die Ursache von etwa 16 Millionen Todesfällen weltweit dar (das entspricht ca. 30 %), wobei der Anteil der Todesfälle in hoch industrialisierten Ländern 40 % und in wirtschaftlich schwächeren Ländern rund 28 % ausmachte.
Der Epidemiologische Übergang
Die weltweite Zunahme der kardiovaskulären Erkrankungen ist das Ergebnis einer unerwarteten Wandlung der Ursachen von Morbidität und Mortalität im 20. Jahrhundert. Bekannt als epidemiologischer Übergang, wird diese Veränderung durch die Industrialisierung, Urbanisation und begleitende Lebensstiländerungen getragen und findet an allen Orten der Welt bei allen ethnischen Gruppen und Kulturen statt. Der Übergang ist in vier Grundstufen unterteilt: Plagen und Hungersnot, zurückgehende Pandemien, degenerative und gesellschaftlich entstandene Krankheiten und verzögerte degenerative Erkrankungen. Eine fünfte, durch eine Epidemie von Inaktivität und Fettsucht charakterisierte Stufe, tritt zusätzlich in einigen Ländern in Erscheinung (Tab. 266e-1).
Mangelernährung, Infektionskrankheiten und hohe Säuglings- sowie Kindersterblichkeitsraten, die durch eine hohe Fertilität ausgeglichen werden, kennzeichnen das Zeitalter von Plagen und Hungersnöten. Tuberkulose, Dysenteritiden, Cholera und Influenza verlaufen häufig letal, was in eine mittlere Lebenserwartung von rund 30 Jahren mündet. Kardiovaskuläre Krankheiten, die weniger als 10 % der Todesfälle verursachen, sind hauptsächlich rheumatische Herzerkrankungen und Kardiomyopathien aufgrund von Infektionen und Mangelernährung. Heutzutage befinden sich noch immer etwa 10 % der Weltbevölkerung auf der Stufe von Plagen und Hungersnot.
Pro-Kopf-Einkommen und Lebenserwartung steigen während der Zeit der weichenden Pandemien, da das Aufkommen öffentlicher Gesundheitssysteme, sauberer Wasserversorgung und verbesserter Nahrungsmittel zum Rückgang von Infektionskrankheiten und Mangelernährung-geschuldeten Todesfällen zusammenwirken. Säuglings- und Kindersterblichkeit nehmen ebenfalls ab, wohingegen Todesfälle aufgrund von kardiovaskulären Erkrankungen auf 10–35 % der Gesamttodesfälle ansteigen. Rheumatische Klappenerkrankungen, Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit und Schlaganfälle sind die vorherrschenden Formen der kardiovaskulären Erkrankungen. Momentan befinden sich etwa 40 % der Weltbevölkerung in diesem Stadium.
Das Zeitalter der degenerativen und gesellschaftlich entstandenen Erkrankungen zeichnet sich dadurch aus, dass die Mortalität bei nicht übertragbaren Krankheiten – insbesondere kardiovaskulären Erkrankungen – die Sterblichkeit an Mangelernährung und Infektionskrankheiten erstmals übertrifft. Die Kalorienaufnahme, im Besonderen aus tierischen Fetten, nimmt zu. Die koronare Herzkrankheit (KHK) und der Schlaganfall sind die dominierenden Erkrankungen und 35–65 % aller Todesfälle lassen sich auf kardiovaskuläre Ereignisse zurückführen. Typischerweise übersteigt die Rate der koronaren Herzkrankheit unter allen Todesfällen die der Schlaganfälle in einem Verhältnis von 2 : 1 bis 3 : 1. Während dieser Periode erhöht sich die Lebenserwartung auf über 50 Jahre. Ungefähr 35 % der Weltbevölkerung fallen heute noch in diese Kategorie.
Im Zeitalter der verzögerten degenerativen Krankheiten bleiben kardiovaskuläre Erkrankungen und Krebserkrankungen die häufigsten Gründe für Morbidität und Mortalität, wobei kardiovaskuläre Erkrankungen 40 % aller Todesfälle ausmachen. Dennoch sinkt die altersadjustierte Mortalität bei kardiovaskulären Erkrankungen, was wesentlich durch präventive Strategien begründet ist (Raucherentwöhnungsprogramme und effektive Blutdruckkontrollen) sowie durch ein verbessertes Management der Akutkrankenhausversorgung und durch technischen Fortschritt, wie die Verfügbarkeit der Bypasschirurgie. Koronare Herzkrankheit, Schlaganfall und Herzinsuffizienz sind die primären Formen der kardiovaskulären Erkrankungen. Etwa 15 % der Weltbevölkerung befindet sich jetzt im Abschnitt der verzögerten degenerativen Erkrankungen oder verlässt diese Kategorie gerade, um zur fünften Stufe des epidemiologischen Wandels überzugehen.
In der industrialisierten Welt nimmt die körperliche Aktivität weiterhin ab, während die absolute Kalorienaufnahme gleichzeitig zunimmt. Die daraus resultierende Epidemie von Übergewicht und Fettleibigkeit könnte den Beginn des Zeitalters von Inaktivität und Fettsucht anzeigen. Die Häufigkeit von Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen steigt. Ein Trend, der besonders unter Kindern auffällig ist. Sollte sich die Entwicklung dieser Risikofaktoren fortsetzen, wird in den kommenden Jahren die Mortalität an altersbezogenen kardiovaskulären Erkrankungen wieder ansteigen.
Muster des epidemiologischen Übergangs
Durch spezifische regionale Besonderheiten kam es zu einer Modifizierung von Aspekten des epidemiologischen Übergangs in verschiedenen Erdteilen. In Ländern mit hohem Einkommen kam es in den letzten 60 Jahren zu einer Abnahme der Todesfälle durch kardiovaskuläre Erkrankungen um bis zu 50–60 %, während in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen in den letzten Jahren ein Anstieg um 15 % zu verzeichnen war. Betrachtet man die große Menge verfügbarer Daten, eignen sich die USA als hilfreiche Referenz für Vergleiche.
Das Zeitalter von Plagen und Hungersnöten ereignete sich vor 1900 in einer überwiegend landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft und Wirtschaft. Infektionskrankheiten waren für mehr Todesfälle verantwortlich als jede andere Ursache. Ab 1930 kam es zu einem Übergang ins Zeitalter der zurückgehenden Pandemien. Der Aufbau von Einrichtungen zur öffentlichen Gesundheitsversorgung führte zu einer dramatischen Abnahme der durch Infektionskrankheiten bedingten Todesfälle. Änderungen des Lebensstils im Zuge der rasch voranschreitenden Urbanisierung führten gleichzeitig zu einer raschen Zunahme der Mortalität durch kardiovaskuläre Erkrankungen auf etwa 390 Todesfälle pro 100.000 Einwohner. Zwischen 1930 und 1965 durchliefen die Vereinigten Staaten das Zeitalter der degenerativen und gesellschaftlich entstandenen Krankheiten. Die durch Infektionskrankheiten bedingte Mortalität sank auf weniger als 50 Todesfälle pro 100.000 pro Jahr, wohingegen die durch kardiovaskuläre Erkrankungen verursachte Mortalität im Rahmen von zunehmender Urbanisierung und Lebensstilveränderungen hinsichtlich Ernährung, körperlicher Aktivität und Tabakkonsum neue Höchstwerte erreichte. Das Zeitalter der verzögerten degenerativen Erkrankungen ereignete sich zwischen 1965 und 2000. Neue Therapieansätze, Präventivmaßnahmen und öffentliche Gesundheitskampagnen, die Lebensstilveränderungen förderten, führten zu einer deutlichen Abnahme der alterskorrigierten Mortalitätsrate und zu einem kontinuierlichen Anstieg des Alters bei Erstmanifestation eines kardiovaskulären Ereignisses.
Derzeit scheinen die Vereinigten Staaten in eine fünfte Phase überzugehen. Die Abnahme der Todesfälle durch kardiovaskuläre Erkrankungen betrug während der 1970er- und 1980er-Jahre 3 % pro Jahr, ging aber in den 1990er-Jahren auf 2 % zurück. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends waren die Todesfälle jedoch wieder um 3–5 % pro Jahr rückläufig. Dabei dürften verschiedene entgegengesetzt wirkende Faktoren im Spiel sein. Auf der einen Seite stehen negative Einflüsse wie die höhere Prävalenz von Diabetes und Adipositas, eine langsamere Abnahme des Nikotinkonsums und eine stagnierende Rate der neu entdeckten bzw. behandelten Fälle von Hypertonie. Auf der anderen Seite finden sich durch den vermehrten Einsatz von Statinen niedrigere Cholesterinspiegel. Viele Länder mit hohem Einkommen – die in Summe etwa 15 % der Bevölkerung ausmachen – haben die vier Stadien des epidemiologischen Übergangs in ähnlicher Weise wie die Vereinigten Staaten durchlaufen. In diesen Ländern stellt die KHK mit 2- bis 5-fach höheren Fallzahlen als der Schlaganfall die wichtigste Form der kardiovaskulären Erkrankungen dar. Allerdings gibt es regionale Unterschiede. Während in Ländern mit hohem Einkommen in Nordamerika, Australien sowie Zentralnordwesteuropa zuerst ein signifikanter Anstieg und anschließend ein rascher Rückgang der kardiovaskulären Krankheitsfälle zu beobachten war, kam es in den Ländern Zentral- und Südeuropas zu einem langsameren Anstieg und Rückgang. Insbesondere kam es in zentraleuropäischen Ländern (z. B. Österreich, Belgien und Deutschland) zu einem langsameren Abfall im Vergleich zu nördlicheren Ländern (z. B. Finnland, Schweden, Dänemark und Norwegen). Länder wie Portugal, Spanien und Japan erreichten mit 200 oder weniger Todesfällen pro 100.000 Einwohner niemals so hohe Mortalitätsraten, wie sie sich in den USA oder anderen Ländern fanden. Westeuropäische Länder zeigen ein klares Nord-Süd-Gefälle, was die absolute Anzahl an kardiovaskulären Erkrankungen betrifft, wobei die Zahl in nördlichen Ländern (z. B. Finnland, Irland und Schottland) am höchsten ist und in Mittelmeerländern (z. B. Frankreich, Spanien und Italien) am niedrigsten. Japan stellt – vermutlich aufgrund der einzigartigen Nahrungsgewohnheiten – einen Sonderfall unter den Ländern mit hohem Einkommen dar. Obwohl in Japan die Schlaganfallrate dramatisch anstieg, war dies nicht im selben Ausmaß bei der koronaren Herzkrankheit der Fall. Wichtig zu bemerken ist die substanzielle Veränderung der japanischen Essgewohnheiten, die sich in ansteigenden Cholesterinwerten niederschlägt. Aktuelle Daten für Deutschland können im Internet über das Informationssystem der Gesundheitsberichterstattung des Bundes bezogen werden (http://www.gbe-bund.de/).
Die Verteilungsmuster in Staaten mit mittlerem und niedrigem Einkommen (Bruttonationaleinkommen pro Kopf < 12.615 $) hängen zum Teil von kulturellen Unterschieden, säkulären Trends und länderspezifischen Entwicklungen hinsichtlich des öffentlichen Gesundheitssektors und der Behandlungsinfrastruktur ab. Obwohl übertragbare Krankheiten weiterhin eine der Haupttodesursachen bleiben, entwickelten sich kardiovaskuläre Erkrankungen zu einem ernsthaften Gesundheitsproblem auch in einkommensschwachen Staaten und solchen mit mittlerem Einkommen. Mit einem Anteil von 85 % an der Weltbevölkerung beeinflussen diese Länder maßgeblich die Entwicklungen hinsichtlich der globalen Krankheitslast durch kardiovaskuläre Erkrankungen (Abb. 266e-1). In den meisten Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen existiert ein Stadt-Land-Gefälle für die koronare Herzkrankheit, für Schlaganfall und Bluthochdruck mit höheren Raten in Städten.
Während die kardiovaskulären Erkrankungen insgesamt zunehmen, gibt es erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Regionen und Ländern und sogar innerhalb der Länder selbst (Abb. 266e-2). Die Regionen Ostasien und Pazifik mit 2 Milliarden Menschen scheinen die zweite und dritte Phase des epidemiologischen Übergangs zu überschreiten. Kardiovaskuläre Erkrankungen sind eine Haupttodesursache in China, aber wie in Japan fordern auch hier Schlaganfälle (insbesondere hämorrhagische) mehr Opfer als die koronare Herzkrankheit (das Verhältnis beträgt etwa 3 : 1). Vietnam und Kambodscha andererseits verlassen eben erst das Stadium von Plagen und Hungersnot. Der Nahe Osten und Nordafrika sind im Begriff, in die dritte Phase des epidemiologischen Übergangs einzutreten. Insgesamt nimmt dort die Lebenserwartung zu, und die Rate der kardiovaskulär bedingten Todesfälle ist etwas niedriger als in Industrienationen. Im Allgemeinen lässt sich Lateinamerika momentan in die dritte Phase des epidemiologischen Übergangs einordnen, obwohl eine hohe regionale Heterogenität vorherrscht. Einige Gebiete befinden sich immer noch in der zweiten Phase des Übergangs, während andere schon in der vierten Phase angekommen sind. Osteuropa und Zentralasien befinden sich klar auf dem Höhepunkt der dritten Phase, mit den weltweit höchsten kardiovaskulär assoziierbaren Todesraten (66 %). Es ist wichtig, zu erwähnen, dass Todesfälle durch die koronare Herzkrankheit in diesen Regionen nicht auf ältere Personen beschränkt sind und weitreichende Auswirkungen in Hinblick auf die arbeitende Bevölkerung haben. Südasien – insbesondere Indien mit dem größten Bevölkerungsanteil in dieser Region – erfährt eine erschreckende Zunahme von Herzerkrankungen. Der Übergang scheint im westlichen Stil zu erfolgen, mit der koronaren Herzkrankheit (KHK) als dominierender Form der kardiovaskulären Erkrankungen. Trotzdem bleiben rheumatische Herzerkrankungen eine Hauptursache von Morbidität und Mortalität. Subsahara-Afrika, wo rheumatische Herzerkrankungen ebenso wie in Südasien eine wichtige Ursache von kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität darstellen, befindet sich immer noch größtenteils in der ersten Phase des epidemiologischen Übergangs.
Viele Faktoren tragen zu dieser Heterogenität unter Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen bei. Erstens befinden sich die Regionen in verschiedenen Stufen des epidemiologischen Übergangs. Zweitens existieren grundlegende Unterschiede in Lebensstil und verhaltensbedingten Risikofaktoren. Drittens führen ethnische Besonderheiten möglicherweise zu unterschiedlichen Anfälligkeiten für verschiedene Formen kardiovaskulärer Krankheiten. Zusätzlich sollte bemerkt werden, dass für die größte Zahl der Staaten in diesen Regionen keine länderweiten Daten zur ursachenspezifischen Mortalität vorhanden sind.
Abbildung 266e-1Todesfälle weltweit nach Ursache (2010). A = andere, nicht übertragbare Erkrankungen; CV = kardiovaskuläre Erkrankungen; T = Trauma; ÜMSE = übertragbare Erkrankungen, Mütter- und Säuglingssterblichkeit, Ernährungsstörungen. (Nach Daten aus der Global Burden of Disease Study 2010: Global Burden of Disease Study 2010 Mortality Results 1970–2010. Seattle, Institute for Health Metrics and Evaluation, 2012.)
Abbildung 266e-2Todesfälle infolge kardiovaskulärer Erkrankungen als prozentualer Anteil aller Todesfälle, bezogen auf die absolute Bevölkerungszahl in sieben, von der Weltbank definierten, wirtschaftlichen Regionen der Welt. (Nach Daten aus der Global Burden of Disease Study 2010: Global Burden of Disease Study 2010 Mortality Results 1970–2010. Seattle, Institute for Health Metrics and Evaluation, 2012.)
Weltweite Trends der kardiovaskulären Erkrankungen
Kardiovaskuläre Erkrankungen sind für fast 30 % aller Todesfälle weltweit verantwortlich; es ist davon auszugehen, dass dieser Anteil weiter steigen wird. Die koronare Herzkrankheit (KHK) war im Jahr 2010 für 13,3 % aller weltweiten Todesfälle verantwortlich und machte den größten Anteil bei den global verlorenen Lebensjahren (years of life lost; YLLs) und den behinderungskorrigierten Lebensjahren (disability adjusted life years; DALYs) aus. Die zweithäufigste Todesursache war der Schlaganfall (11,1 % aller Todesfälle), der gleichzeitig den drittgrößten Beitrag zu YLLs und DALYs lieferte (Tab. 266e-2). Zusammen waren KHK und Schlaganfall für annähernd ein Viertel aller weltweiten Todesfälle verantwortlich. In Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen stellt der Schlaganfall eine zunehmende Bedrohung dar. Der Einfluss des Schlaganfalls auf DALYs und auf die Mortalitätsraten ist in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen dreimal größer als in Ländern mit hohem Einkommen. Man geht davon aus, dass die Anzahl der durch einen Schlaganfall bedingten Todesfälle bis zum Jahr 2030 um mehr als 30 % zunehmen wird, vor allem durch die Entwicklung in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen.
Mit einem Anteil von 85 % an der Gesamtbevölkerung weltweit sind die Länder mit mittlerem und niedrigem Einkommen hauptverantwortlich für die globalen Fallzahlen und Trends von kardiovaskulären Erkrankungen. Im Jahr 2010 ereigneten sich 10 Millionen Todesfälle durch kardiovaskuläre Erkrankungen in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen, während sich in Ländern mit hohem Einkommen 5,6 Millionen solcher Todesfälle ereigneten. Es gibt weltweit Hinweise, dass das Manifestationsalter signifikant ansteigt und/oder die Todesfallrate bei Erkrankten (case fatality rate) sinkt; zwischen 1990 und 2010 kam es zu einem Anstieg der Todesfälle durch kardiovaskuläre Erkrankungen um 31 %, wohingegen die alterskorrigierte Todesfallrate im selben Zeitraum um 21,2 % abnahm.
Obwohl in einkommensstarken Staaten das Bevölkerungswachstum durch Emigration aus einkommensschwachen Ländern und Ländern mit mittlerem Einkommen vorangetrieben wird, nimmt die Population der einkommensstarken Länder in Relation zur Weltbevölkerung dennoch ab. In einkommensstarken Ländern begann das gemäßigte Absinken der Mortalitätsraten kardiovaskulärer Erkrankungen im späteren Drittel des 20. Jahrhunderts und wird sich fortsetzen, bei allerdings scheinbarer Verlangsamung des Trends. Dennoch wird es in diesen Staaten höchstwahrscheinlich zu einer Erhöhung der Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen kommen, wie auch ebenso die absolute Zahl der Todesfälle steigen wird, da die Bevölkerung altert.
Signifikante Teile der Bevölkerung in einkommensschwachen Ländern und Ländern mit mittlerem Einkommen haben die dritte Phase des epidemiologischen Übergangs erreicht und einige erklimmen schon die vierte Stufe. Sich ändernde Demografien spielen eine bedeutsame Rolle für zukünftige Voraussagen kardiovaskulärer Erkrankungen weltweit. Beispielsweise betrug das Bevölkerungswachstum im Jahr 2012 in Osteuropa und Zentralasien 0,7 %, in Südasien jedoch 1,3 %.
Höhere Raten an kardiovaskulären Erkrankungen werden auch einen wirtschaftlichen Einfluss haben. Selbst unter der Annahme, dass es zu keiner weiteren Zunahme kardiovaskulärer Risikofaktoren kommt, werden innerhalb der kommenden 30 Jahre in den meisten Ländern, insbesondere aber in Indien und Südafrika, vermehrt 35–64 Jahre alte Menschen an kardiovaskulären Erkrankungen versterben. Ebenso wird das auf Herzerkrankungen und Schlaganfälle bezogene Morbiditätsniveau in dieser Personengruppe steigen. Für China wird geschätzt, dass es einen Anstieg der Todesfälle von 2,4 Millionen im Jahre 2002 bis auf 9 Millionen im Jahre 2030 geben wird, wobei die Hälfte der Verstorbenen zwischen 35 und 64 Jahre alt sein wird.
Risikofaktoren kardiovaskulärer Erkrankungen
Wie bereits bemerkt, ist die weltweite Streuung der kardiovaskulären Erkrankungsraten von zeitlichen und örtlichen Abweichungen bezüglich des bekannten Risikoverhaltens bzw. der Risikofaktoren abhängig. Ökologische Analysen der Hauptrisiken für die Entwicklung kardiovaskulärer Erkrankungen und Mortalitäten zeigen starke Zusammenhänge zwischen den erwarteten und beobachteten Mortalitätsraten für die drei bedeutsamsten Risikofaktoren: Rauchen, erhöhtes Serumcholesterin und Bluthochdruck. Dies legt nahe, dass viele der regionalen Abweichungen auf Unterschiede bei konventionellen Risikofaktoren basieren.
Bei Patienten ohne bekannte kardiovaskuläre Erkrankung ist das Management kardiovaskulärer Risikofaktoren zum Teil abhängig von dem wahrgenommenen Risiko zukünftiger Ereignisse dieser Patienten. Dies gilt besonders für das Lipidmanagement, da das U.S. National Cholesterol Education Program Adult Treatment Panel III (ATP III) in seinen Richtlinien unterschiedliche Lipid-Zielspiegel für Patienten mit bekannten kardiovaskulären Erkrankungen (CVD) oder einem so genannten CVD-Äquivalent, Patienten mit einem mäßigen Risiko und Patienten mit einem niedrigen Risiko befürwortet. Das primäre CVD-Äquivalent war historisch gesehen der Diabetes mellitus, aber im Allgemeinen bezieht es sich auf jeden Krankheitsprozess, bei dem das 10-Jahres-Risiko eines Myokardinfarkts oder Herztods dem von Patienten entspricht, die bereits einen Myokardinfarkt hatten, das heißt eine > 20%-Ereignisrate in 10 Jahren.
Risikoverhalten kardiovaskulärer Erkrankungen
Tabakkonsum
Weltweit rauchten im Jahr 2003 1,3 Milliarden Menschen, eine Zahl, von der vorhergesagt wird, dass sie bis 2030 auf 1,6 Milliarden Personen ansteigt. Aktuell fordert der Tabakkonsum jährlich geschätzte 5 Millionen Opfer (9 % aller Todesfälle, ca. 1,6 Millionen davon durch kardiovaskuläre Erkrankungen) und sollte sich dieser Trend fortsetzen, wird 2030 die Zahl der auf Tabakkonsum zurückzuführenden Todesfälle auf 10 Millionen jährlich ansteigen. Obwohl der Tabakkonsum historisch gesehen in Ländern mit hohem Einkommen am höchsten war, hat sich der Konsum in den letzten Jahrzehnten dramatisch auf Länder mit mittleren und niedrigen Einkommen verlagert. Zu den Regionen mit dem höchsten Tabakkonsum zählen mittlerweile Ostasien und die Pazifikregion. Es ist eine einzigartige Eigenschaft einkommensschwacher Länder und Länder mit mittlerem Einkommen, dass in ihnen der Zugang zum Rauchen in den frühen Stufen des epidemiologischen Übergangs sehr einfach ist, da Tabakprodukte vergleichsweise preiswert sind. In Südasien ist es schwieriger, den Nikotinmissbrauch einzudämmen, da hier weniger industriell hergestellte Zigaretten konsumiert werden, dafür benutzt man mehr lokal produzierte Tabakformen. Passivrauchen stellt eine weitere gut dokumentierte Ursache der koronaren Herzkrankheit dar und war im Jahr 2011 für 600.000 Todesfälle unter Nichtrauchern verantwortlich. Obwohl Rauchverbote sowohl unmittelbar als auch längerfristig positive Auswirkungen haben, variiert deren Implementation stark in verschiedenen Ländern.
Ernährung
Die Gesamtkalorienaufnahme pro Kopf steigt, sobald Länder in eine höhere Entwicklungsstufe eintreten. Hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse ist die erhöhte Aufnahme gesättigter tierischer und hydrierter pflanzlicher Fette, die atherogene Transfettsäuren enthalten, ein Schlüsselfaktor, ebenso wie der reduzierte Verzehr pflanzenbasierter Nahrungsmittel und der gesteigerte Konsum einfacher Kohlenhydrate. Fette tragen weniger als 20 % zur Gesamtkalorienaufnahme im ländlichen China und Indien, weniger als 30 % in Japan und weit mehr als 30 % in den USA bei. Der kalorische Anteil der Ernährung, den Fette ausmachen, scheint aber dennoch in den einkommensstarken Staaten zu sinken. In den USA sank der prozentuale Anteil gesättigter Fettsäuren an den Gesamtkalorien zwischen 1971 und 2000 immerhin von 13 auf 11 %.
Mangelnde körperliche Aktivität
Die zunehmende Mechanisierung, welche den wirtschaftlichen Wandel begleitet, führt zu einem Wechsel von physisch belastender, landwirtschaftlicher Arbeit hin zu größtenteils sitzenden Industrie- und Bürotätigkeiten. In den USA übt nach Schätzungen ein Viertel der Bevölkerung keinen Freizeitsport aus und nur 51,6 % geben an, regelmäßig mindestens dreimal wöchentlich einer körperlichen Aktivität nachzugehen. Körperliche Inaktivität ist in anderen Erdteilen ähnlich verbreitet und nimmt insbesondere in Ländern mit rascher Urbanisierung im Zuge des ökonomischen Übergangs zu. In den städtischen Regionen Chinas beispielsweise hat der Anteil der erwachsenen Personen, die in moderatem oder hohem Ausmaß körperlich aktiv sind, signifikant abgenommen, während körperliche Aktivität geringerer Intensität zugenommen hat.
Metabolische Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen
Die Betrachtung der Trends metabolischer Risikofaktoren zeigt die Entwicklung der weltweiten Krankheitslast durch kardiovaskuläre Erkrankungen auf. Nachfolgend werden anhand von Daten aus der Global Burden of Disease, Injuries and Risk Factors Study (GBD 2010) vier metabolische Risikofaktoren beschrieben: erhöhte Lipidwerte, Bluthochdruck, Fettleibigkeit und Diabetes mellitus. Im GBD-Projekt wurden Mortalitäts- und Morbiditätsdaten aus 187 Ländern zwischen 1980 und 2010 ermittelt und zusammengefasst.
Lipidwerte - Metabolische Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen
Weltweit werden erhöhte Cholesterinwerte für 56 % der Fälle von ischämischer Herzkrankheit und 18 % der Schlaganfälle und damit 4,4 Millionen Todesfälle jährlich mitverantwortlich gemacht. Obwohl die durchschnittlichen Plasmacholesterinwerte beim Durchlaufen des epidemiologischen Wandels tendenziell steigen, sind sie zwischen 1980 und 2008 weltweit pro Jahrzehnt um 0,08 mmol/l bei Männern und 0,07 mmol/l bei Frauen gesunken. Im Jahr 2008 betrug der altersstandardisierte mittlere Gesamtcholesterinwert 4,64 mmol/l (179,4 mg/dl) bei Männern und 4,76 mmol/l (184,2 mg/dl) bei Frauen. Zu einer deutlichen Abnahme kam es in Australien, Nordamerika und Westeuropa (0,19–0,21 mmol/l). In den Ländern Ostasiens und der Pazifikregion kam es sowohl bei Männern als auch Frauen zu einem Anstieg von mehr als 0,08 mmol/l. Soziale und individuelle Veränderungen, die eine Verstädterung begleiten, spielen dabei ganz klar eine Rolle, da das Plasmacholesterin im Durchschnitt bei Städtern höhere Werte aufweist als bei Bewohnern ländlicher Regionen. Die Veränderung wird wesentlich durch den vermehrten Konsum so genannter Ernährungsfette – in erster Linie aus tierischen Produkten sowie prozessierten pflanzlichen Ölen – und verminderte körperliche Ertüchtigung vorangetrieben. In einkommensstarken Ländern sinken die mittleren Cholesterinspiegel tendenziell, während sie in einkommensschwachen Ländern und Ländern mit mittlerem Einkommen stark schwanken.
Bluthochdruck - Metabolische Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen
Erhöhte Blutdruckwerte in der Bevölkerung sind ein früher Indikator des epidemiologischen Übergangs. Global betrachtet, können rund 62 % der Schlaganfälle und 49 % aller Ereignisse von ischämischer Herzkrankheit mit suboptimal (> 115 mmHg systolisch) eingestelltem Blutdruck in Zusammenhang gebracht werden, was mehr als 7 Millionen Todesfällen jedes Jahr entspricht. In knapp der Hälfte aller Fälle beträgt der systolische Blutdruck weniger als 140 mmHg, obwohl dieser Wert in vielen Leitlinien erst die Grenze zur Hypertonie definiert. Zwischen 1980 und 2008 nahm die altersstandardisierte Prävalenz der Hypertonie ab, während die Anzahl der Patienten mit unbehandelter Hypertonie zunahm. Diese Entwicklung ist im Wesentlichen auf Bevölkerungswachstum und Überalterung zurückzuführen. Ein Anstieg der durchschnittlichen Blutdruckwerte tritt in Erscheinung, wenn es in einer Bevölkerung zur Industrialisierung und zum Wechsel von ländlichen in urbane Gebiete kommt. Beispielsweise beträgt die Prävalenz der Hypertonie in den städtischen Gebieten Indiens 25 %, während die Prävalenz in ländlichen Regionen bei 10–15 % liegt. Eine Hauptsorge für einkommensschwache Länder und Länder mit mittlerem Einkommen ist die hohe Zahl unerkannter und demzufolge unbehandelter Patienten mit Bluthochdruck. Somit ließe sich wenigstens teilweise erklären, warum in den Ländern, die sich im Anfangsstadium des epidemiologischen Wandels befinden, die Raten von Schlaganfällen, verglichen mit denen der koronaren Herzkrankheit, höher sind. Das hohe Auftreten von Bluthochdruck, insbesondere des undiagnostizierten Bluthochdrucks, in ganz Asien trägt wahrscheinlich zur hohen Prävalenz hämorrhagischer Schlaganfälle in dieser Region bei. Weltweit hat allerdings der mittlere systolische Blutdruck bei beiden Geschlechtern abgenommen (0,8 mmHg pro Jahrzehnt bei Männern; 1,0 mmHg pro Jahrzehnt bei Frauen).
Fettleibigkeit - Metabolische Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen
Obwohl eindeutig mit einem erhöhten Risiko für die koronare Herzkrankheit verbunden, besteht die Möglichkeit, dass das von der Fettsucht ausgehende Risiko erst durch die Vermittlung anderer Faktoren kardiovaskulärer Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen zum Tragen kommt. Laut den aktuellen GBD-Daten waren im Jahr 2008 fast 1,46 Milliarden Erwachsene übergewichtig (Body Mass Index > 25 kg/m2) und etwa 508 Millionen waren fettleibig (Body Mass Index > 30 kg/m2). Fettleibigkeit nimmt weltweit zu, insbesondere kommt es in Entwicklungsländern zu einem raschen Anstieg im Vergleich zu einkommensstarken Ländern. In vielen einkommensschwachen Ländern und Ländern mit mittlerem Einkommen koexistiert Fettleibigkeit neben Unter- und Mangelernährung. Heranwachsende Jugendliche haben ein besonders hohes Risiko. Derzeit geht man davon aus, dass eines von zehn Kindern übergewichtig ist – ein Wert, der weltweit zunimmt. Ebenso zeigen Daten aus 36 Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, dass Frauen häufiger als Männer betroffen sind, wobei die Zahl der übergewichtigen Frauen die der untergewichtigen meist übersteigt.
Diabetes mellitus und chronische Nierenerkrankung - Metabolische Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen
Als Folge oder einfach zusätzlich zum ansteigenden BMI (Body-Mass-Index) und der Abnahme körperlicher Betätigung sind die weltweiten Raten von Diabetes – besonders des Typ-2-Diabetes – auf dem Vormarsch. Die aktuellen GBD-Daten zeigen von 1980 bis 2008 einen weltweiten Anstieg der Nüchternglukosespiegel. Man geht davon aus, dass weltweit ca. 346 Millionen Menschen von Diabetes betroffen sind. Die International Diabetes Foundation sagt voraus, dass diese Zahl bis 2030 auf 522 Millionen ansteigen wird, was einem rascheren Wachstum als dem der erwachsenen Weltbevölkerung entspricht. In 50 % der Fälle bleibt Diabetes undiagnostiziert, 80 % der Betroffenen leben in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Die höchste regionale Prävalenz für Diabetes findet sich im Nahen Osten und Nordafrika, wo 12,5 % der erwachsenen Bevölkerung betroffen sind. Auch in Zukunft wird es vor allem in diesen Regionen zu einer weiteren Zunahme kommen, ebenso wie in weiteren Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen in Südasien und in Subsahara-Afrika. Es scheinen klare genetische Vorbelastungen für Diabetes mellitus in unterschiedlichen Völkern vorhanden zu sein. So legen zum Beispiel Migrationsstudien die Vermutung nahe, dass Südasiaten und Inder ein höheres Risiko aufweisen als die untersuchten Europäer.
Obwohl zuvor eine chronische Nierenerkrankung (chronic kidney disease; CKD) als mögliches CVD-Äquivalent vorgeschlagen wurde, gibt es derzeit nicht ausreichend aussagekräftige Daten hinsichtlich des langfristigen kardiovaskulären Risikos bei Patienten mit CKD. In einer bevölkerungsbezogenen Kohortenstudie (Tonelli et al. 2012) wurden mehr als 1 Million Patienten des Alberta Kidney Disease Network (AKDN) in fünf Gruppen unterteilt: vorausgegangener Myokardinfarkt, Diabetes mit CKD, Diabetes ohne CKD, CKD ohne Diabetes und Patienten ohne früheren Myokardinfarkt, CKD oder Diabetes. Dialyse-Patienten wurden ausgeschlossen. Das mediane Follow-up betrug 4 Jahre. Die nicht adjustierte Gesamtmortalität war bei Patienten mit Diabetes und CKD am höchsten. Die nicht adjustierten Myokardinfarkt- und Gesamtmortalitätsraten waren bei Patienten mit CKD höher als bei Patienten mit Diabetes. In der Sensitivitätsanalyse waren die Ereignisraten der Gruppen mit CKD signifikant abhängig von der zugrunde liegenden klinischen Definition für CKD, mit einem Anstieg der nicht adjustierten Infarktrate von etwa 8 pro 1000 Personenjahre bei einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) von < 60 ml/min pro 1,73 m2 auf > 15 pro 1000 Personenjahre bei einer eGFR von < 45 ml/min pro 1,73 m2 und schwerer Proteinurie. Die letztgenannte Infarktrate war direkt vergleichbar mit der von Patienten mit einem früheren Myokardinfarkt. Die nicht adjustierte Gesamtmortalitätsrate stieg gleichermaßen an, ausgehend von ungefähr 50 pro 1000 Personenjahre bei Patienten mit eGFR < 60 ml/min pro 1,73 m2 (was vergleichbar mit Patienten mit einem früheren Myokardinfarkt war) auf > 120 pro 1000 Personenjahre bei Patienten mit einer GFR < 45 ml/min pro 1,73 m2 und schwerer Proteinurie. Im Gegensatz dazu hatten Änderungen in der klinischen Definition des Diabetes nur geringfügige Auswirkungen auf die beobachtete Ereignisrate. In risikoadjustierten Analysen betrug das relative Risiko eines Myokardinfarkts 2,0 (95%-Konfidenzintervall [KI] 1,2–2,6) bei CKD (eGFR < 45 ml/min pro 1,73 m2 und schwere Proteinurie), 2,0 (95%-KI 1,9–2,1) bei Diabetes und 3,4 (95%-KI 3,2–3,7) bei früherem Myokardinfarkt. Die Ergebnisse waren vergleichbar mit einem eGFR-cut-off von 60 anstatt 45.
Dieses Ergebnis unterstreicht die Herausforderung der Beurteilung des klinischen Risikos in einer breiten Population, wie zum Beispiel der Patienten mit CKD. Während das Risiko eines Myokardinfarkts bei allen Patienten mit CKD (d. h. jenen mit geschätzter GFR < 60 ml/min pro 1,73 m2) geringer war als bei Patienten mit Diabetes, war es bei Patienten mit fortgeschrittener CKD (Grad 3 oder 4) und schwerer Proteinurie ähnlich wie bei jenen mit Diabetes. Obwohl diese Raten geringer waren als bei Patienten mit früherem Myokardinfarkt, sprechen die Myokardinfarkt-assoziierte Morbidität und Mortalität bei Patienten mit Diabetes und CKD trotzdem für eine aggressive Primärprävention.
Zusammenfassung
Obwohl kardiovaskuläre Krankheiten in Staaten mit hohem Einkommen rückläufig sind, nehmen sie buchstäblich in jedem anderen Gebiet der Erde zu. Die Konsequenzen dieser verhinderbaren Epidemie werden in vielerlei Hinsicht tiefgreifend sein: bezüglich individueller Mortalität und Morbidität, familiären Leidens und überdimensionaler wirtschaftlicher Kosten.
Es können drei komplementäre Strategien angewandt werden, um diese Entwicklung aufzuhalten. Erstens ließe sich die Gesamtbelastung an Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen durch weltweite, bevölkerungsübergreifende Gesundheitsmaßnahmen, beispielsweise in Form von nationalen Kampagnen gegen das Rauchen, ungesunde Ernährung und körperliche Inaktivität, reduzieren. Zweitens ist die Identifikation von Hochrisikogruppen entscheidend, bei denen mithilfe spezifischer, kostengünstiger Vorsorgemaßnahmen der größte Erfolg zu erwarten ist. Das Screening und die Behandlung von Bluthochdruck und erhöhten Cholesterinspiegeln zählen hierzu. Einfache, kostengünstige Eingriffe wie die „Polypill“, ein Kombinationspräparat aus ASS, einem Statin und einem Antihypertensivum sollten zeitnah entwickelt werden. Drittens sollten Ressourcen für akute ebenso wie für sekundäre Präventionsmaßnahmen zur Verfügung stehen. Für Länder mit geringen Ressourcen ist ein erster, kritischer Schritt für die Entwicklung einer nachvollziehbaren Verfahrensplanung eine verbesserte Datenerhebung der ursachenspezifischen Mortalität und Morbidität, genauso wie die Feststellung der Prävalenz von bedeutenden, vermeidbaren Risikofaktoren.
In der Zwischenzeit obliegt es weiterhin den einkommensstarken Staaten, unter Berücksichtigung der ökonomischen Einschränkungen vieler anderer Länder, die Verantwortung für Forschung und Entwicklung mit dem Ziel der Vorsorge und Behandlung zu tragen. Das Konzept des epidemiologischen Wandels bietet Ansatzpunkte, wie der Kurs einer voranschreitenden Epidemie kardiovaskulärer Erkrankungen geändert werden kann. Der effiziente Einsatz kostengünstiger, vorsorgender und therapeutischer Strategien könnte dabei die prognostizierte Entwicklung dieser Epidemie verändern, damit die globale Belastung an vermeidbaren kardiovaskulären Erkrankungen reduziert wird.
Weiterführende Literatur
Global Burden of Disease Study 2013 Collaborators: Global, regional, and national incidence, prevalence, and years lived with disability for 301 acute and chronic diseases and injuries in 188 countries, 1990–2013: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2013. Lancet 386(9995):743–800, 2015
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