6e Frauengesundheit – Gendermedizin
Gendermedizin befasst sich mit geschlechtsspezifischen Unterschieden in Pathophysiologie, klinischem Bild, Diagnostik, Therapie, Verlauf und Outcome bei verschiedenen Erkrankungen, die eine differenzierte Herangehensweise für Frauen und Männer erfordern. Frauengesundheit fokussiert auf Störungen, die häufiger bei Frauen auftreten; diese sind meist hormonell bedingt und gehen mit krankheitsrelevanten Besonderheiten in den verschiedenen Lebensphasen der Frau einher. In diesem Kapitel werden geschlechts- und frauenspezifische Aspekte bei unterschiedlichen Pathologien angesprochen, wobei das Hauptaugenmerk auf Erkrankungen mit hoher Morbidität und Mortalität, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, gelegt wird.
Für die deutsche Ausgabe Verena Stangl
Die National Institutes of Health’s Office of Research on Women’s Health feierten im Jahr 2010 ihr 20-jähriges Bestehen mit einer neuen Strategie, wonach die Untersuchung biologischer Grundlagen von Geschlechtsunterschieden als eigene wissenschaftliche Disziplin angesehen wird. Inzwischen steht fest, dass sowohl Geschlechtschromosomen als auch Geschlechtshormone zu diesen Unterschieden beitragen. Für den angelsächsischen Sprachraum empfiehlt der IOM-Bericht die Verwendung der Begriffe sex difference, um biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu beschreiben, und gender difference für Unterschiede, die mit gesellschaftlichen Einflüssen zusammenhängen. Das deutsche Wort Geschlecht beinhaltet beides.In Deutschland wurde im Jahr 2003 an der Charité das Berliner Institut für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM, früher Zentrum für Geschlechterforschung in der Medizin) etabliert. Gendermedizin geht von der Hypothese aus, dass es zwischen Männern und Frauen krankheitsrelevante Unterschiede in Pathophysiologie, klinischem Bild, Verlauf und Therapieeffekten bei Erkrankungen gibt und dass beide Geschlechter von einer differenzierten Herangehensweise profitieren. Gendermedizin betrachtet die Geschlechtsunterschiede neutral – sowohl Frauen als auch Männer können die Gruppe sein, die mehr Aufmerksamkeit benötigt. Derzeit sind dies im Bereich der Inneren Medizin vor allem noch Frauen, da typische weibliche Aspekte bei internistischen Erkrankungen oft vernachlässigt wurden. Das klinische Fachgebiet „Frauengesundheit” fokussiert auf das weibliche Geschlecht in Hinblick auf Aufklärung, Krankheitsprävention und medizinische Entscheidungsfindung. Sie steht modellhaft für eine patientenzentrierte medizinische Versorgung.
Krankheitsrisiko: Realität und Wahrnehmung
Die Haupttodesursachen in den USA sind bei Männern und Frauen weitgehend gleich: (1) Herzerkrankungen und (2) Krebserkrankungen führen die Liste an Tab. 6e-1, Abb. 6e-1). Lungenkrebs ist die Haupttodesursache unter den Karzinomen bei beiden Geschlechtern. Männer sterben deutlich häufiger als Frauen durch Suizid oder Unfälle. In Deutschland stehen bei Frauen und Männern folgende Todesursachen im Vordergrund: Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems, bösartige Neubildungen und Lungenerkrankungen. Es sind jedoch deutliche geschlechts- und auch altersspezifische Unterschiede erkennbar (Tab. 6e-2, Abb. 6e-2). In Deutschland ist die Haupttodesursache unter den bösartigen Neubildungen bei Männern Lungenkrebs und bei Frauen Brustkrebs.
Merke: Kategorien, die mit „andere“ oder „allen anderen“ beginnen, wurden bei den führenden Todesursachen nicht berücksichtigt. Quelle: Daten aus: Centers for Disease Control and Prevention: National Vital Statistics Reports, Vol. 61, No. 4, May 8, 2013, Table 12, http://www.cdc.gov/nchs/data/nvsr/nvsr61/nvsr61_04.pdf. |
Abbildung 6e-2Mortalität pro 100.000 Einwohner bei Frauen in Deutschland im Jahr 2010 (nach ICD-10), unterteilt nach Altersgruppen. Die y-Achse der rechten Grafik hat eine andere Skalierung (33,3-fach) als die der linken Grafik. Bösartige Neubildungen sind die Haupttodesursachen bei jüngeren Frauen. Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems werden die Haupttodesursache ab einem Alter von 80 Jahren. Beiüber 85-jährigen Frauen stehen ischämische und zerebrovaskuläre Erkrankungen sowie bösartige Neubildungen im Vordergrund. (Daten: Statistisches Bundesamt, 2011.)
Bei Frauen steigt mit der Menopause das Risiko für viele Krankheiten deutlich an. In der industrialisierten Welt verbringen Frauen ein Drittel ihres Lebens in der Postmenopause. Die Östrogenspiegel fallen postmenopausal ab, was mit verschiedenen physiologischen und metabolischen Veränderungen einhergeht. Konsekutiv steigt nach der Menopause die Rate kardiovaskulärer Erkrankungen an, die Knochendichte nimmt ab. In den USA leben Frauen im Mittel 5 Jahre länger als Männer. Für das Geburtsjahr 2011 haben Frauen eine Lebenserwartung von 81,1 Jahren, Männer von 76,3 Jahren. Demzufolge übertrifft die Anzahl älterer Frauen die der älteren Männer, sodass altersbedingte Krankheiten, wie die arterielle Hypertonie, mehr bei Frauen auftreten. Allerdings hat sich der Unterschied in der Lebenserwartung seit dem Höchstwert von 7,8 Jahren 1979 jährlich um 0,1 Jahre verringert. Wenn dieser Trend bestehen bleibt, könnten die Mortalitätsraten im Jahr 2054 in beiden Geschlechtern gleich sein.
Durch öffentliche Aufklärungskampagnen wissen inzwischen immer mehr US-Amerikanerinnen, dass kardiovaskuläre Erkrankungen die Haupttodesursache bei Frauen sind. Im Jahr 1997 dachten die meisten der befragten US-amerikanischen Frauen (35 %), dass Krebs die häufigste weibliche Todesursache ist. Nur 30 % vermuteten, dass es Herzkrankheiten sind (Abb. 6e-3). Im Jahr 2012 hatten sich diese Wahrnehmungen umgekehrt: 56 % der befragten US-amerikanischen Frauen gaben an, dass Herzkrankheiten die häufigste weibliche Todesursache sind, während 24 % von Krebserkrankungen ausgingen (Abb. 6e-3). Obwohl das Bewusstsein für Herzerkrankungen im selben Zeitraum auch bei Afroamerikanerinnen und Hispanoamerikanerinnen zugenommen hat, erkannten diese Frauen mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 % nicht, dass Herzkrankheiten die bei Frauen führende Todesursache sind.
Abbildung 6e-3Veränderungen der wahrgenommenen führenden Todesursachen bei Frauen. Vergleich von Befragungen aus den Jahren 1997 und 2012. Im Jahr 1997 wurden Krebserkrankungen als häufigste Todesursache bei Frauen angegeben, nicht Herzerkrankungen. Im Jahr 2012 war es umgekehrt. Das Bewusstsein dafür, dass Herzkrankheiten die führende Todesursache bei Frauen sind, war 2012 signifikant größer (56 % vs. 30 %, p < 0,001) als 1997. (Daten nach L Mosca et al: Circulation 127:1254, 2013.)
Obwohl die Mortalität an Brustkrebs seit 1990 abgenommen hat, stufen Frauen unter 65 Jahren den Brustkrebs weiterhin als ihr wichtigstes Gesundheitsrisiko ein. Das Brustkrebsrisiko liegt in keiner Lebensdekade über 1 : 34. Obwohl das Lebenszeit-Brustkrebsrisiko für eine Frau, die über 85 Jahre alt wird, bei 1 : 9 liegt, ist die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass sie an einer kardiovaskulären Krankheit verstirbt als an Brustkrebs. Mit anderen Worten, viele ältere Frauen leiden an Brustkrebs, aber die meisten sterben infolge anderer Erkrankungen. Auch Ärzte unterschätzen das kardiovaskuläre Risiko von Frauen. Selbst im Jahr 2012 gaben nur 21 % der befragten US-amerikanischen Frauen an, dass ihr Arzt sie über das Risiko von Herzkrankheiten aufgeklärt hat. Diese Fehlwahrnehmungen führen zu unzureichender Aufmerksamkeit gegenüber modifizierbaren Risikofaktoren, wie Dyslipidämien, Hypertonie und Zigarettenrauchen.
Geschlechtsunterschiede in Gesundheit und Krankheit
Demenz vom Alzheimer-Typ
(Siehe auch Kap. 448) Die Demenz vom Alzheimer-Typ betrifft nahezu doppelt so viele Frauen wie Männer. Weil das Risiko für eine Alzheimer-Krankheit mit dem Alter zunimmt, wird dieser Geschlechtsunterschied teilweise der Tatsache zugeschrieben, dass Frauen länger leben. Dennoch tragen auch zusätzliche Faktoren zu dem erhöhten Erkrankungsrisiko bei Frauen bei. Es gibt Geschlechtsunterschiede in Größe, Struktur und Funktion des Gehirns. Östrogene haben pleiotrope genomische und nicht genomische Effekte auf das zentrale Nervensystem; dazu gehören neurotrophe Effekte in Schlüsselregionen, die an Kognition und Gedächtnis beteiligt sind. Frauen mit Demenz vom Alzheimer-Typ haben niedrigere endogene Östrogenspiegel als Frauen ohne Demenz. Diese Beobachtungen haben zu der Hypothese geführt, dass Östrogene neuroprotektiv sind.
Einige Studien ließen vermuten, dass Östrogengabe die kognitive Funktion bei nicht dementen postmenopausalen Frauen sowie bei Frauen mit Demenz vom Alzheimer-Typ verbessern könnte. Auch haben verschiedene Beobachtungsstudien beschrieben, dass eine postmenopausale Hormontherapie das Risiko für eine Demenz vom Alzheimer-Typ reduziert. Randomisierte placebokontrollierte Studien zur postmenopausalen Hormontherapie haben allerdings keine Verbesserung der Krankheitsprogression oder der kognitiven Funktion bei Frauen mit Alzheimer-Demenz finden können. Auch die Women’s Health Initiative (WHI) Memory Study, eine Unterstudie der WHI, fand keinen Einfluss von alleiniger Östrogengabe (0,625 mg/d) oder Östrogengabe (0,625 mg/d) in Kombination mit Progesteron (Medroxyprogesteronacetat 2,5 mg/d) auf die kognitive Funktion und die Entwicklung einer Demenz bei Frauen über 65. Es zeigte sich sogar ein erhöhtes Risiko für Demenz sowie für leichte Einschränkung der kognitiven Funktion bei Frauen, die eine Hormontherapie erhalten hatten. Erste Ergebnisse der Kronos Early Estrogen Prevention Study (KEEPS), einer randomisierten klinischen Studie zum frühen Beginn einer Hormontherapie nach der Menopause, in der CEE 0,45 mg/d und/oder Estradiol 50 μg/Woche transdermal (beide Östrogenarme erhielten zyklisch in jedem Monat für 12 Tage orales mikronisiertes Progesteron 200 mg/d) und Placebo verglichen wurden, zeigen jedoch keine nachteiligen Auswirkungen auf die Kognition.
Koronare Herzkrankheit (KHK) und Herzinsuffizienz
(Siehe auch Kap. 293) Bei der KHK, der führenden Todesursache von Männern und Frauen in den Industrieländern, gibt es wichtige Geschlechtsunterschiede. In den USA sterben jährlich mehr Frauen als Männer an einer KHK und Schlaganfällen. Im Zeitverlauf zeigt sich eine Abnahme der KHK-Todesfälle: wohingegen dies bei Männern bereits seit 1980 zu beobachten ist, findet sich dieser Trend bei Frauen erst ab dem Jahr 2000. Hinsichtlich der Erkrankungshäufigkeit zeigt der Vergleich der Daten des National Health and Nutrition Survey (NHANES) von 1988–1994 und 1999–2004, dass bei Frauen mittleren Alters die Prävalenz von KHK und Schlaganfällen im Zeitverlauf zugenommen hat, während sie bei Männern eher reduziert war bzw. unverändert blieb. Die Zunahme bei Frauen ging mit einem Anstieg der Prävalenz von abdominaler Adipositas und anderen Komponenten des metabolischen Syndroms einher.
Gonadale Steroide haben bedeutende Effekte auf das kardiovaskuläre System und den Fettstoffwechsel. Östrogene steigern das High-Density-Lipoprotein(HDL)-Cholesterin und senken das Low-Density-Lipoprotein(LDL-)Cholesterin, während Androgene mit dem gegenteiligen Effekt einhergehen. Östrogene bewirken einen direkten vasodilatatorischen Effekt auf das vaskuläre Endothel, verstärken die Insulinsensitivität und sind mit antioxidativen und antiinflammatorischen Eigenschaften assoziiert. Sowohl nach einer natürlichen als auch nach einer chirurgischen Menopause ist ein auffälliger Anstieg der KHK zu verzeichnen, was darauf hindeutet, dass endogene Östrogene kardioprotektiv wirken.
Die koronare Herzerkrankung (KHK) stellt sich bei Frauen anders dar. Frauen mit KHK sind in der Regel 10–15 Jahre älter als Männer und leiden häufiger unter Begleiterkrankungen, wie Hypertonie, Herzinsuffizienz und Diabetes. In der Framingham-Studie war Angina pectoris das häufigste Erstsymptom bei Frauen, während es bei Männern der Myokardinfarkt war. Frauen haben häufiger mehr Symptome, wie Übelkeit, Erbrechen, Atemnot, Oberbauchschmerzen sowie Schmerzen im Nacken und Kiefer. Obwohl sich das Bewusstsein dafür, dass Herzkrankheiten die führende Todesursache bei Frauen sind, in den letzten 15 Jahren nahezu verdoppelt hat, sind Frauen mit der Symptomatik seltener vertraut und rufen seltener den Notarzt bei Beschwerden.
Frauen mit Myokardinfarkt erleiden häufiger einen Herzstillstand oder einen kardiogenen Schock, während Männer öfter ventrikuläre Tachykardien entwickeln. Weiterhin ist die Wahrscheinlichkeit für jüngere Frauen, infolge des Myokardinfarktes zu sterben, höher als für Männer gleichen Alters. Dieser Unterschied in der Mortalität hat sich in den letzten Jahren deutlich verringert (Abb. 6e-4). Diese Tatsache ist hauptsächlich auf die Abnahme von Begleiterkrankungen zurückzuführen; ein Hinweis darauf, dass man den beeinflussbaren Risikofaktoren bei Frauen verstärkte Aufmerksamkeit widmen sollte.
Abbildung 6e-4Krankenhausmortalität bei Männern und Frauen mit akutem Myokardinfarkt 1994/95 und 2004–2006. Bei Frauen, die jünger als 65 Jahre waren, lag die Mortalität 1994/95 deutlich höher als bei gleichaltrigen Männern. 2004–2006 war die Mortalität bei beiden Geschlechtern und in allen Altersgruppen niedriger als 1994/95. Allerdings zeigte sich ein stärkerer Abfall der Mortalität bei Frauen unter 75 Jahren im Vergleich zu Männern dieser Altersgruppe. Am ausgeprägtesten war die Reduktion der Mortalitätsraten bei Frauen unter 55 Jahren (52,9 %); am geringsten war sie bei Männern derselben Altersgruppe (33,3 %). (Übernommen von Vaccarino et al. Arch Intern Med 169:1767, 2009.)
Ärzte sprechen bei Frauen mit Brustschmerzen seltener den Verdacht auf eine Herzerkrankung aus und führen seltener eine diagnostische Abklärung durch. Zudem gibt es Geschlechtsunterschiede in der Aussagekraft einiger diagnostischer Maßnahmen. Frauen erhalten immer noch seltener therapeutische Maßnahmen wie Angioplastie, Bypass-Operationen, Betablocker oder Acetylsalicylsäure. Auch in Deutschland und Europa zeigt sich in großen Querschnittsuntersuchungen, dass Frauen mit KHK weniger leitliniengerecht behandelt werden. Darüber hinaus finden sich geschlechtsspezifische Unterschiede beim Outcome nach therapeutischen Eingriffen. Bei Frauen mit Bypass-Operation zeigt sich eine höhere perioperative Mortalität, weniger symptomatische Verbesserung und geringere Offenheitsraten der Bypässe. Trotzdem sind die 5- und 10-Jahres-Überlebensraten ähnlich wie bei Männern. Frauen, die eine PCI (percutaneous coronary intervention) erhalten, haben schlechtere angiografische und klinische Erfolgsraten als Männer, aber niedrigere Restenoseraten und bessere Langzeitergebnisse. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede werden teilweise durch höheres Alter, mehr Komorbiditäten und die weiter fortgeschrittene KHK zum Zeitpunkt der Ereignisse oder der medizinischen Maßnahmen erklärt.
Bei Männern und Frauen sind Hypercholesterinämie, Hypertonie, Rauchen, Adipositas, erniedrigtes HDL-Cholesterin, Diabetes und fehlende körperliche Aktivität wichtige Risikofaktoren für die KHK. Erhöhte Triglyzeride sind ein unabhängiger Risikofaktor für KHK bei Frauen, jedoch nicht bei Männern. Erniedrigtes HDL-Cholesterin und Diabetes sind bei Frauen bedeutendere Risikofaktoren als bei Männern. Rauchen ist ein wichtiger Risikofaktor der KHK bei Frauen, es beschleunigt die Atherosklerose, übt direkte negative Effekte auf die myokardiale Funktion aus und ist mit einer früheren Menopause assoziiert. Obwohl die Evidenz weniger gut ist, sind cholesterinsenkende Medikamente bei Männern und Frauen in der Primär- wie auch in der Sekundärprävention wohl gleich effektiv. Vor dem Hintergrund der falschen Wahrnehmung, dass Frauen ein geringeres KHK-Risiko haben, werden Frauen allerdings weniger konsequent bezüglich ihrer modifizierbaren Risikofaktoren behandelt. Anders als für Männer konnte für Frauen in randomisierten Studien kein günstiger Effekt von Aspirin in der Primärprävention der KHK nachgewiesen werden. Das Risiko für einen ischämischen Schlaganfall wurde allerdings signifikant stärker gesenkt als bei Männern.
Herzinsuffizienz ist eine der häufigsten Invaliditäts- und Todesursachen in Deutschland und Europa und betrifft 10 % der 70-Jährigen, dementsprechend mehr Frauen als Männer. In dem EuroHeartSurvey wurde gezeigt, dass sich Frauen und Männer in der Manifestation der Herzinsuffizienz deutlich unterscheiden – Männer haben eher eine Herzinsuffizienz mit eingeschränkter systolischer Funktion (HFrEF, heart failure with reduced ejection fraction), Frauen häufiger eine Herzinsuffizienz mit erhaltener systolischer Funktion (HFpEF, heart failure with preserved ejection fraction). Obwohl die Mortalität für beide Herzinsuffizienztypen vergleichbar ist, existieren nurfür die Herzinsuffizienz mit reduzierter systolischer Funktion Behandlungsleitlinien der großen Fachgesellschaften. Die Tako-Tsubo-Kardiomyopathieist ein lebensbedrohliches Krankheitsbild, das fast nur bei Frauen auftritt. Diagnoseweisend ist das klinische Bild eines akuten Myokardinfarktes mit typischen ausgedehnten regionalen Kinetikstörungen, ohne dass Stenosen oder Verschlüsse der epikardialen Koronararterien vorliegen. Fast immer geht ein stressbesetztes Erleben voraus.
Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der KHK-Prävalenz, die günstigen biologischen Effekte von Östrogenen auf das kardiovaskuläre System und das niedrigere KHK-Risiko bei Frauen unter Hormontherapie in Beobachtungsstudien führten zu der Hypothese, dass die Hormontherapie kardioprotektiv ist. Die WHI, die bei mehr als 16.000 Frauen die Kombination aus 0,625 mg konjugierten equinen Östrogenen (CEE) und 2,5 mg Medroxyprogesteronacetat (MPA) versus Placebo und bei mehr als 10.000 hysterektomierten Frauen eine Monotherapie mit CEE (0,625 mg) allein versus Placebo untersuchte, fand keinen Nutzen einer Hormontherapie in der Primär- oder Sekundärprävention der KHK. Darüber hinaus war die CEE/MPA-Kombinationstherapie, insbesondere im ersten Studienjahr, mit einem erhöhten KHK-Risiko assoziiert, während die Therapie mit CEE allein keinen Einfluss auf das KHK-Risiko hatte. Sowohl CEE/MPA wie auch CEE allein erhöhten das Risiko für einen ischämischen Schlaganfall.
In der WHI-Studie gab es Hinweise darauf, dass ein früherer Beginn der Hormontherapie, kurz nach Eintritt der Menopause das KHK-Risiko reduziert. Das lässt vermuten, dass für den kardioprotektiven Effekt der Zeitpunkt, an dem eine Hormontherapie eingeleitet wird, möglicherweise entscheidend ist. Dies wird als „Timing-Hypothese“ bezeichnet. Sie besagt, dass eine Hormontherapie in Abhängigkeit vom Stadium der Atherosklerose unterschiedliche Effekte induziert: Negative Effekte treten bei fortgeschrittenen, instabilen Läsionen auf. Eine aktuelle Analyse der Danish Osteoporosis Prevention Study (DOPS), einer randomisierten Open-label-Studie, in der bei Frauen in der Prämenopause oder kurz zurückliegender Menopause triphasische Östrogengaben mit keiner Behandlung verglichen wurden (Frauen mit Uterus erhielten zusätzlich zyklisch das orale Gestagen Norethisteronacetat), ermittelte nach 10-jähriger Hormontherapie eine signifikant reduzierte Mortalität und KHK-Rate. Dies war allerdings kein präspezifizierter Endpunkt, Ziel der DOPS war es, die primärpräventiven Effekte einer Hormontherapie bezüglich osteoporotischer Knochenfrakturen zu untersuchen.
Die KEEPS sollte direkt die „Timing“-Hypothese testen. Dazu erhielten 727 Frauen mit kürzlich zurückliegender Menopause im Alter von 42–58 Jahren (Mittelwert: 52,7 Jahre) randomisiert für 4 Jahre oral CEE (niedrigere Dosis als in der WHI), transdermales Estradiol oder Placebo. In beiden Östrogenarmen erhielten die Patientinnen zusätzlich ein orales zyklisch mikronisiertes Progesteronpräparat (Dosierung siehe Abschnitt über Alzheimer-Demenz). In keinem der beiden Therapiearme fand sich im Koronar-CT ein signifikanter günstiger oder schlechter Einfluss auf die Progression der Atherosklerose. Unerwünschte Ereignisse, wie Schlaganfälle, Myokardinfarkte, venöse Thromboembolien und Mammakarzinome, waren in beiden Behandlungsarmen gegenüber Placebo nicht erhöht. Unter Hormontherapie besserten sich Hitzewallungen, nächtliches Schwitzen, Stimmung, sexuelle Funktion und Knochendichte. Diese relativ kleine Studie konnte somit nicht zeigen, dass eine frühzeitige transdermale oder orale Hormontherapie die Atherosklerose reduziert. Allerdings lässt sich ableiten, dass eine kurzzeitige Hormontherapie zur symptomatischen Behandlung bei Frauen mit kürzlicher Menopause sicher ist. Die Hormontherapie wird ausführlich in Kap. 413 besprochen.
Diabetes mellitus
(Siehe auch Kap. 417)Die Prävalenz von Diabetes mellitus Typ 2 ist bei Frauen und Männern gleich. Allerdings wurden geschlechtsspezifische Unterschiede bezüglich des Einflusses endogener Androgenspiegel auf das Diabetesrisiko beschrieben: Höhere Spiegel bioverfügbaren Testosterons sind bei Frauen mit einem größeren Diabetesrisiko assoziiert, während bei Männern niedrige Spiegel mit einem erhöhten Diabetesrisiko einhergehen. Polyzystisches Ovarialsyndrom und Gestationsdiabetes sind bei prämenopausalen Frauen mit einem signifikant erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes assoziiert. Prämenopausale Frauen mit Diabetes mellitus verlieren die kardioprotektiven Vorteile des weiblichen Geschlechts und haben ein vergleichbares KHK-Risiko wie Männer. Bei diesen Frauen finden sich auch eine gestörte Endothelfunktion und eine reduzierte koronare Vasoreaktivität. Frauen mit Diabetes mellitus haben ein relativ höheres Infarktrisiko als Männer mit Diabetes mellitus. Sie haben auch ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer linksventrikulären Hypertrophie. Bei Frauen mit Diabetes mellitus werden die modifizierbaren Risikofaktoren für eine koronare Herzkrankheit weniger aggressiv behandelt als bei Männern mit Diabetes mellitus. In Post-hoc-Analysen der WHI war das Risiko für Diabetes mellitus in der Gruppe mit CEE/MPA-Kombinationstherapie signifikant reduziert, während in der CEE-Monotherapiegruppe nur ein Trend zu einer verminderten Inzidenz des Diabetes mellitus zu verzeichnen war.
Hypertonie
(Siehe auch Kap. 298)Prämenopausale Frauen haben seltener eine Hypertonie als Männer, postmenopausale mehr.Bei über 60-jährigen US-Amerikanern ist die Hypertonie häufiger bei Frauen als bei Männern, was neben der höheren Bluthochdruck-Prävalenz in fortgeschrittenen Altersgruppen auch auf die längere Lebenserwartung von Frauen zurückzuführen ist. Sexualhormone beeinflussen den Blutdruck. Sowohl normotensive als auch hypertensive Frauen haben während der Follikelphase einen höheren Blutdruck als während der Lutealphase. In der Nurses Health Study lag das relative Risiko für eine Hypertonie bei Einnahme von oralen Kontrazeptiva bei 1,8. Das Risiko ist bei Einnahme der niedrig dosierten oralen Kontrazeptiva geringer. Eine postmenopausale Hormontherapie ist nicht mit Hypertonus assoziiert. Bezüglich sekundärer Hypertonieursachen finden sich bei Frauen häufiger fibromuskuläre Dysplasien der Nierenarterien.
Die Vorteile der antihypertensiven Therapie sind bei Frauen und Männern klar gezeigt. Eine Metaanalyse zu Effekten der antihypertensiven Therapie, der Individual Data Analysis of Antihypertensive Intervention Trial, fand eine Risikoreduktion für Schlaganfall und schwere kardiovaskuläre Ereignisse bei Frauen. Die Wirksamkeit der verschiedenen antihypertensiven Medikamente scheint bei Frauen und Männern gleich zu sein. Frauen entwickeln aber insgesamt mehr Nebenwirkungen unter der Therapie. So haben Frauen zum Beispiel signifikant häufiger Husten bei Einnahme von ACE-Hemmern.
Autoimmunerkrankungen
(Siehe auch Kap. 377e) Die meisten Autoimmunerkrankungen treten häufiger bei Frauen als bei Männern auf. Dazu gehören Autoimmunkrankheiten von Schilddrüse und Leber, Lupus erythematodes, rheumatoide Arthritis, Sklerodermie, Multiple Sklerose und idiopathische thrombozytopenische Purpura. Es besteht kein Geschlechtsunterschied bei der Inzidenz von Diabetes mellitus Typ 1. Die ankylosierende Spondylitis wurde früher häufiger bei Männern als bei Frauen beschrieben. Mittlerweile gleichen sich die Zahlen an und es besteht der Verdacht auf eine frühere Unterdiagnostik bei Frauen. Frauen sind resistenter gegenüber bakteriellen Infektionen als Männer. Sowohl bei der Immunantwort auf Impfungen als auch hinsichtlich ihrer Nebenwirkungen wurde über Geschlechtsunterschiede berichtet. So neigen Frauen vermehrt zu einer Postvakzinationsarthritis.
Adaptive Immunantworten sind bei Frauen stabiler als bei Männern. Dies kann zum Teil durch die stimulierenden Wirkungen der Östrogene und die inhibitorischen Wirkungen der Androgene auf zelluläre Mediatoren der Immunität erklärt werden. Die bedeutende Rolle der Geschlechtshormone wird dadurch unterstrichen, dass eine Variation der Immunantwort während des Menstruationszyklus zu beobachten ist und dass die Aktivität von verschiedenen Autoimmunantworten durch Kastration oder Schwangerschaft verändert werden kann. So kann zum Beispiel während einer Schwangerschaft ein Schub einer rheumatoiden Arthritis oder einer Multiplen Sklerose ausgelöst werden. Dennoch zeigen die meisten Studien, dass exogen zugeführtes Östrogen und Progesteron in Form einer Hormontherapie oder als orale Kontrazeptiva die Inzidenz oder Aktivität von Autoimmunkrankheiten nicht beeinflussen. Es wird vermutet, dass die Exposition gegenüber fetalen Antigenen, einschließlich zirkulierender fetaler Zellen, die in einigen Geweben persistieren, das Risiko von Autoimmunantworten erhöht. Es besteht eine eindeutige genetische Komponente bezüglich der Autoimmunität. Dies wird durch die familiäre Häufung und HLA-Assoziation vieler dieser Krankheiten angezeigt. Außerdem tragen die Gene des X-Chromosoms zu Geschlechtsunterschieden bei der Immunität bei. So ist die nicht zufällige Inaktivierung eines X-Chromosoms vermutlich ein Risikofaktor für Autoimmunerkrankungen.
HIV-Infektion
(Siehe auch Kap. 226)Fast 50 % der 40 Millionen weltweit mit HIV-1 infizierten Personen sind Frauen. AIDS ist eine bedeutende Todesursache bei jüngeren Frauen (Abb. 6e-1). Heterosexueller Kontakt mit einem Risikopartner ist die am schnellsten wachsende Übertragungskategorie. Frauen sind für eine HIV-Infektion anfälliger als Männer. Diese erhöhte Suszeptibilität wird zum Teil der höheren Prävalenz von sexuell übertragbaren Krankheiten bei Frauen zugeschrieben. Einige Studien weisen darauf hin, dass hormonelle Kontrazeptiva das Risiko einer HIV-Infektion erhöhen. An einem HIV-Primatenmodell konnte nachgewiesen werden, dass Progesteron die Anfälligkeit für eine Infektion erhöht. Frauen mit HIV zeigen einen schnelleren Abfall der CD4-positiven Zellen als Männer. Im Vergleich zu Männern entwickeln HIV-infizierte Frauen häufiger eine Candidose, während das Kaposi-Sarkom bei Frauen seltener auftritt. Frauen haben unter einer antiretroviralen Therapie mehr unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen als Männer (z. B. Lipodystrophie, Dyslipidämie und Hautausschläge). Dies wird zum Teil durch geschlechtsspezifische pharmakokinetische Unterschiede antiretroviraler Medikamente und die hieraus resultierenden höheren Plasmakonzentrationen bei Frauen erklärt.
Adipositas
(Siehe auch Kap. 416) Die Prävalenz von Adipositas (Body-Mass-Index ≥ 30 kg/m2) und abdominaler Adipositas (Taillenumfang ≥ 88 cm bei Frauen) ist bei US-amerikanischen Frauen höher als bei Männern. Jedoch hat zwischen 1999 und 2008 die Prävalenz der Adipositas bei Männern signifikant zugenommen, nicht aber bei Frauen. Die Prävalenz der abdominalen Adipositas ist im selben Zeitraum bei beiden Geschlechtern angestiegen. Mehr als 80 % der Patienten, die sich einer bariatrischen Operation unterziehen, sind Frauen. Schwangerschaft und Menopause sind Risikofaktoren für Adipositas.
Es existieren große Geschlechtsunterschiede in der Körperfettverteilung. Frauen haben typischerweise ein gluteal-femoral bzw. gynoides Fettverteilungsmuster, während Männer charakteristischerweise ein zentrales bzw. androides Fettverteilungsmuster aufweisen. Frauen besitzen mehr subkutanes Fett als Männer. Bei Frauen sind die endogenen Androgenspiegel positiv mit einer zentralen Adipositas assoziiert; Androgengabe führt zu einer Zunahme von viszeralem Fettgewebe. Im Gegensatz dazu besteht bei Männern eine inverse Beziehung zwischen endogenen Androgenspiegeln und zentraler Adipositas. Androgengabe reduziert sogar die zentrale Adipositas bei Männern. Die Gründe für diese geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Interaktion von Androgenen mit viszeralem Fett sind unbekannt. Einige humane Studien legen nahe, dass Geschlechtshormone eine Rolle bei der Modulation der Nahrungsaufnahme und beim Energieverbrauch spielen.
Bei Männern und Frauen ist zentrale Adipositas, charakterisiert durch eine Vermehrung viszeralen Fettes, mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten und Diabetes mellitus assoziiert. Übergewicht verstärkt bei Frauen das Risiko für einige Krebserkrankungen, insbesondere postmenopausalen Brustkrebs und Endometriumkarzinom. Ursächlich wird diskutiert, dass Fettgewebe eine extragonadale Östrogenquelle durch Aromatisierung zirkulierender adrenerger und ovarialer Androgene (insbesondere Konversion von Androstendion zu Estron) darstellt. Adipositas erhöht das Risiko für Infertilität, Fehlgeburten und Schwangerschaftskomplikationen.
Osteoporose
(Siehe auch Kap. 425)Osteoporose ist bei postmenopausalen Frauen fünfmal häufiger als bei gleichaltrigen Männern. Osteoporotische Hüftfrakturen sind eine Hauptmorbiditätsursache bei älteren Frauen. Männer akkumulieren mehr Knochenmasse und verlieren ihre Knochenmasse langsamer als Frauen. Geschlechtsunterschiede in der Knochenmasse finden sich bereits in der frühen Kindheit. Kalziumaufnahme, Vitamin D und Östrogene spielen eine wichtige Rolle in Knochenbildung und -abbau. Insbesondere während der Adoleszenz ist die Kalziumaufnahme eine wichtige Determinante für die sog. Peak Bone Mass. Vitamin-D-Mangel ist bei älteren Frauen überraschend häufig. Mehr als 40 % der Frauen, die in den nördlichen Breitengraden leben, leiden darunter. Im Knochen wurden Östrogen- und Androgenrezeptoren identifiziert. Östrogenmangel führt über eine erhöhte Osteoklastenaktivität und eine verminderte Anzahl von knochenbildenden Zellen zu einem Verlust der Knochennetzstruktur. Das Aromatase-Enzymsystem, das Androgene in Östrogene umwandelt, ist ebenfalls im Knochen vorhanden. Östrogene sind eine wichtige Determinante für die Knochenmasse, sowohl bei Männern (abgeleitet von Aromatisierung der Androgene) als auch bei Frauen.
Pharmakologie
Frauen haben ein niedrigeres Körpergewicht, kleinere Organe, einen höheren Prozentsatz an Körperfett und einen niedrigeren Körperwassergehalt als Männer. Es gibt auch bedeutende Geschlechtsunterschiede bei Medikamentenwirkungen und -metabolismus, die nicht auf diese Unterschiede in der Körperkomposition und Größe zurückzuführen sind. Die Geschlechtshormone verändern die Bindung und den Metabolismus zahlreicher Medikamente. Zudem können Menstruationszyklus und Schwangerschaft die Medikamentenwirksamkeit verändern. Zwei Drittel der medikamenteninduzierten Torsades-de-pointes-Tachykardien, einer seltenen lebensbedrohlichen ventrikulären Arrhythmie, treten bei Frauen auf, da sie ein längeres, vulnerableres QT-Intervall aufweisen. Tierversuche deuten darauf hin, dass der Unterschied in der QT-Intervall-Dauer auf Effekte der Geschlechtshormone auf die kardiale Repolarisation zurückzuführen ist. Das betrifft unter anderem spannungsabhängige Kaliumkanäle, denn bei Frauen findet sich eine geringere Dichte der schnellen Komponente (Ikr) des „Delayed-Rectifier“-Kaliumkanals. Medikamente wie Antihistaminika, Antibiotika, Antiarrhythmika und Neuroleptika können die kardiale Repolarisation durch Blockade dieser spannungsanhängigen Kaliumkanäle, insbesondere Ikr, verlängern und Rhythmusstörungen induzieren. Frauen benötigen niedrigere Neuroleptika-Dosierungen zur Behandlung einer Schizophrenie. Frauen erwachen nach einer Anästhesie schneller als Männer bei gleicher Dosierung des Anästhetikums. Frauen nehmen inklusive der frei verkäuflichen Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel mehr Medikamente ein. Der stärkere Gebrauch von Medikamenten in Kombination mit den biologischen Unterschieden könnte die Ursache für die höhere Nebenwirkungsrate bei Frauen sein.
Psychische Erkrankungen
(Siehe auch Kap. 466) Depression, Angststörungen sowie Affekt- und Essstörungen (Bulimie und Anorexia nervosa) sind bei Frauen häufiger als bei Männern. Epidemiologische Studien aus Industriestaaten wie auch aus Entwicklungsländern haben konsistent gezeigt, dass schwere Depressionen doppelt so häufig bei Frauen wie bei Männern auftreten, wobei dieser Geschlechtsunterschied bereits in der frühen Adoleszenz deutlich wird. Depressionen treten bei 10 % der Frauen in der Schwangerschaft und bei 10–15 % der Frauen nach einer Geburt auf. Es besteht ein hohes Wiederholungsrisiko einer postpartalen Depression bei nachfolgenden Schwangerschaften. Die Inzidenz der Depression nimmt nach Erreichen des 45. Lebensjahres ab und steigt mit der Menopause nicht an. Die Prognose der Depression ist bei Frauen schlechter als bei Männern: Die Episoden dauern länger und haben eine geringere Spontanremissionsrate. Schizophrenie und bipolare Störungen treten gleich häufig bei Männern und Frauen auf, obwohl geschlechtsspezifische Unterschiede in der Symptomatik beschrieben wurden.
Biologische und soziale Faktoren spielen für die höhere Prävalenz von depressiven Störungen bei Frauen eine Rolle. Männer haben höhere Spiegel des Neurotransmitters Serotonin. Geschlechtshormone beeinflussen auch die Stimmung. Stimmungsschwankungen während des Menstruationszyklus wurden mit Symptomen des prämenstruellen Syndroms in Verbindung gebracht. Sexualhormone beeinflussen die hypothalamisch-hypophysär-adrenerge Antwort auf Stress. Testosteron scheint die Kortisolantwort auf Corticotropin-releasing Hormone (CRH) abzuschwächen. Sowohl niedrige als auch hohe Östrogenspiegel können die hypothalamisch-hypophysär-adrenerge Achse aktivieren.
Schlafstörungen
(Siehe auch Kap. 38)Es gibt deutliche Geschlechtsunterschiede beim gesunden Schlaf sowie bei Schlafstörungen. Während des gesunden Nachtschlafs zeigen Frauen im abgeleiteten Elektroenzephalogramm (EEG) ein verändertes zeitliches Auftreten sowie eine höhere Aktivität so genannter Delta-Wellen (slow waves) als Korrelat der Tiefschlafphase. Ebenso tritt das Leichtschlafstadium N2 (so genannter Spindelschlaf) vermehrt auf. Testosteron beeinflusst neben der neuralen Atmungskontrolle auch die Mechanik der oberen Atemwege. Dies kann neben anderen Faktoren die größere Prävalenz schlafbezogener Atmungsstörungen bei Männern erklären. So konnte gezeigt werden, dass Testosterongabe bei Frauen und auch bei hypogonadalen Männern zu häufigeren Schlafapnoe-Episoden führte. Entsprechend weisen auch Frauen mit einem polyzystischen Ovarialsyndrom, einer hyperandrogenen Störung, eine höhere Schlafapnoe-Prävalenz auf. Dabei besteht eine positive Korrelation zwischen den Testosteronspiegeln im Blut und der Anzahl der schlafbezogenen Atmungsstörungen. Im Gegensatz dazu scheint Progesteron den Atemantrieb zu verstärken. In der Vergangenheit wurden daher Gestagene probatorisch zur Behandlung einer Schlafapnoe eingesetzt.
Drogenmissbrauch und Tabak
(Siehe auch Kap. 467 und Kap. 470) Drogenmissbrauch ist bei Männern häufiger als bei Frauen. Jedoch sind 1/3 der Amerikaner, die unter Alkoholismus leiden, Frauen. Bei weiblichen Alkoholikern wird die Diagnose seltener gestellt als bei Männern. Männer suchen eher Hilfe wegen Drogenproblemen und gehen häufiger in eine spezialisierte Therapieeinrichtung zur Behandlung von Alkohol- oder Drogenmissbrauch, während Frauen eher unter dem Vorwand eines psychosozialen Problems Hilfe beim Hausarzt, Psychologen oder Psychiater suchen. Altersalkoholismus ist bei Frauen häufiger als bei Männern. Im Durchschnitt trinken weibliche Alkoholiker weniger als männliche Alkoholiker, sie zeigen jedoch vergleichbare Beeinträchtigungen. Nach dem Genuss der gleichen Alkoholmenge (körpergewichtsadjustiert) ist der Blutalkoholspiegel bei Frauen höher als bei Männern. Die höhere Bioverfügbarkeit von Alkohol bei Frauen ist sowohl auf die kleinere Volumenverteilung als auch auf den niedrigeren First-pass-Effekt von Alkohol zurückzuführen, der mit einer geringeren Aktivität der gastrischen Alkoholdehydrogenase assoziiert ist. Außerdem nehmen weibliche Alkoholiker häufiger Tranquilizer, Sedativa und Amphetamine. Alkoholikerinnen haben eine höhere Mortalität als Nichtalkoholikerinnen und männliche Alkoholiker. Frauen scheinen auch nach einer kürzeren Alkoholanamnese und bei geringerem Alkoholkonsum eher eine alkoholinduzierte Leberkrankheit und andere alkoholbedingte Krankheiten zu entwickeln. Alkoholmissbrauch setzt Frauen besonderen Risiken aus, so wird die Fertilität nachteilig beeinflusst und die Gesundheit des Babys gefährdet (fetales Alkoholsyndrom). Sogar moderater Alkoholkonsum erhöht bei Frauen das Risiko für Brustkrebs, Bluthochdruck und Schlaganfall.
Es rauchen mehr Männer als Frauen, wobei sich dieser Unterschied im zeitlichen Verlauf zunehmend vermindert. Außerdem tragen Frauen eine höhere Krankheitslast durch Folgekrankheiten des Rauchens. Rauchen erhöht das kardiovaskuläre Risiko bei prämenopausalen Frauen deutlich und ist außerdem mit einem früheren Eintritt in die Menopause assoziiert. Frauen, die rauchen, entwickeln bei einer geringeren Nikotinexposition eher eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung oder Lungenkrebs als Männer. Postmenopausale Raucherinnen haben eine niedrigere Knochendichte als Frauen, die nie geraucht haben. Durch Rauchen während der Schwangerschaft steigt das Risiko für Frühgeburtlichkeit und Neugeborene mit niedrigem Geburtsgewicht.
Gewalt gegen Frauen
Mehr als jede dritte Frau in den USA wurde von einem Intimpartner vergewaltigt, körperlich misshandelt und/oder gestalkt. Erwachsene Frauen werden häufiger von einem Partner, Expartner oder Bekannten vergewaltigt als von einem Fremden. Häusliche Gewalt oder Gewalt durch den Intimpartner sind bei jungen Frauen die führende Todesursache. Häusliche Gewalt kann neben offensichtlichen Manifestationsformen, wie einem Trauma, die unerkannte Ursache von verschiedenen klinischen Bildern wie chronischen Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Drogenmissbrauch und Essstörungen sein. Gewalt durch den Intimpartner ist bei Frauen ein wichtiger Risikofaktor für Depression, Substanzabusus und Suizid. Es gibt zuverlässige Instrumente zum Screening von Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Ein derartiges Screening durch den behandelnden Arzt ist bei ausreichender Privatsphäre in sicherer Umgebung akzeptabel.
Zusammenfassung
Die Frauengesundheit hat sich im letzten Jahrzehnt zu einer ausgereiften Fachrichtung entwickelt. Die Bedeutung geschlechtsspezifischer Unterschiede bei biologischen Prozessen ist anerkannt. Die Erforschung grundlegender Mechanismen geschlechtsspezifischer Unterschiede kann bedeutende biologische Erkenntnisse liefern. Diese Einsichten werden zukünftig einen starken Einfluss sowohl für die Frauen- als auch die Männergesundheit haben.