431e Erkrankungen des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels
Purine (Adenin und Guanin) und Pyrimidine (Cytosin, Thymin und Uracil) spielen im Rahmen der DNS-Replikation, der Transkription von Genen, der Proteinbiosynthese und im Zellstoffwechsel eine wesentliche Rolle. Störungen des Nukleotidstoffwechsels beinhalten sowohl relativ weit verbreitete Krankheiten wie die Hyperurikämie und die Gicht als auch seltene Enzymdefekte, die Synthese sowie Abbau von Purinen und Pyrimidinen beeinträchtigen.
Harnsäure ist das Endprodukt des Purinabbaus und sowohl dessen Überproduktion als auch dessen verminderte Ausscheidung kann zu Hyperurikämie und Gicht führen. Zu den Komplikationen der Hyperurikämie zählen außer der Gichtarthritis auch Nephrolithiasis, Uratnephropathie und Harnsäurenephropathie, wobei letztere letal enden kann, wenn sie nicht rechtzeitig diagnostiziert und behandelt wird. Der Therapieansatz richtet sich nach der pathophysiologischen Ursache der Hyperurikämie. Bei Überproduktion von Harnsäure werden Xanthinoxidasehemmer eingesetzt und durch eine Alkalisierung des Urins wird die Löslichkeit von Harnsäure verbessert.
In diesem Kapitel wird außerdem auf die wichtigsten angeborenen Purin- und Pyrimidinstoffwechselstörungen eingegangen. Bislang wurden mehr als 30 Enzymdefekte identifiziert, wovon etwa die Hälfte zu Krankheitsbildern mit erheblicher Morbidität und Mortalität führt. Diese Erkrankungen sind selten und eine medikamentöse Behandlung ist für die meisten Stoffwechselstörungen nicht bekannt oder nur unzureichend wirksam.
Für die deutsche Ausgabe Angelika Erwin und Hartmut H.-J. Schmidt
Purine (Adenin und Guanin) und Pyrimidine (Cytosin, Thymin und Uracil) spielen im Rahmen der DNA-Replikation, der Transkription von Genen, der Proteinbiosynthese und im Zellstoffwechsel eine wesentliche Rolle. Erkrankungen, die auf Störungen des Nukleotidstoffwechsels beruhen, reichen von relativ weit verbreiteten Krankheiten wie der Hyperurikämie und der Gicht, bei denen es sich um eine Überproduktion oder um eine verminderte Exkretion des Endproduktes im Purinstoffwechsel (Harnsäure) handelt, bis zu seltenen Enzymdefekten, die sowohl die Purin- und Pyrimidinsynthese als auch deren Abbau beeinflussen. Ein besseres Verständnis dieser biochemischen Abläufe hat in einigen Fällen zur Entwicklung spezifischer Behandlungsmöglichkeiten, wie dem Einsatz von Allopurinol und Febuxostat zur Senkung der Harnsäureproduktion, geführt.
Harnsäurestoffwechsel
Harnsäure ist das Endprodukt des Purinabbaus beim Menschen. Es handelt sich um eine schwache dibasige Säure mit pKa-Werten von 5,75 und 10,3. Im Plasma, in der extrazellulären Flüssigkeit sowie in der Synovia überwiegen Urate, die Salze der Harnsäure, die bei einem pH-Wert von 7,4 zu etwa 98 % als Natriumurat vorliegen.
Mit einer Natriumuratkonzentration von 405 μmol/l (6,8 mg/dl) ist Plasma bei 37 °C gesättigt. Bei höheren Konzentrationen kann eine Übersättigung des Plasmas auftreten, wodurch die Gefahr einer Ausfällung von Uratkristallen entsteht. Allerdings kann eine Ausfällung auch bei Plasmauratkonzentrationen bis 4800 μmol/l (80 mg/dl) ausbleiben, was möglicherweise auf lösungsvermittelnde Substanzen im Plasma zurückzuführen ist.
Die Löslichkeit von Harnsäure wird stark vom pH-Wert des Urins beeinflusst. Bei einem pH von 5,0 ist der Urin bei Harnsäurekonzentrationen von 360–900 μmol/l (6–15 mg/dl) gesättigt, während bei einem pH-Wert von 7,0 eine Sättigung erst bei Konzentrationen von 9480–12.000 μmol/l (158–200 mg/dl) erreicht wird. Als Salze der Harnsäure kommen im Urin Mono- und Dinatrium-, Kalium-, Ammonium- und Kalziumurat vor.
Während Purinnukleotide in allen Geweben synthetisiert und abgebaut werden, können Urate nur in Geweben gebildet werden, die Xanthinoxidase enthalten. Hierzu zählen z. B. die Leber und der Dünndarm. Die Uratproduktion variiert und ist sowohl vom Puringehalt der Nahrung als auch von der Syntheserate, der Ausscheidung und der Reutilisierung von Purinen abhängig (Salvage Pathway; Abb. 431e-1). Normalerweise werden zwei Drittel bis drei Viertel des Urats renal eliminiert. Der Rest wird überwiegend enteral ausgeschieden.
Durch spezifische organische Anionentransporter (OAT), darunter der Urattransporter 1 (URAT1, SLC22A12), erhält die Niere ein physiologisches Gleichgewicht aufrecht (Abb. 431e-2). Beim Menschen befinden sich OAT1 (SLC22A6), OAT2 (SLC22A7) und OAT3 (SLC22A8) auf der basolateralen Membran der proximalen Tubuluszellen. OAT4 (SLC22A11), OAT10 (SLC22A13) und URAT1 liegen auf der apikalen Bürstensaummembran dieser Zellen, deren Transporter Urat und andere organische Anionen vom Lumen im Tausch gegen intrazelluläre Anionen ins Zellinnere der Tubuluszellen transportieren. Innerhalb der Zelle muss das Urat mit Hilfe der spannungsabhängigen Transporter, wie Glukosetransporter 9 (GLUT9, SLC2A9), auf die baserolaterale Seite transportiert werden. Urikosurisch wirkende Substanzen (siehe Tab. 431e-1) hemmen URAT1 direkt auf der apikalen Seite der tubulären Zelle (eine so genannte cis-Hemmung). Im Gegensatz dazu wirken Antiurikosurika (Substanzen, die eine Hyperurikämie verursachen) wie Nikotinat, Pyrazinoat, Laktat und andere aromatische organische Säuren im Innern der Zelle als Anionenaustauscher, wodurch sie die Uratreabsorption stimulieren (trans-Stimulation). Durch die Aktivität von URAT1, anderer OAT und Natrium-Anionentransporter werden 8–12 % des abfiltrierten Urats als Harnsäure ausgeschieden.
Kinder haben normalerweise Serumuratkonzentrationen zwischen 180 und 240 μmol/l (3,0–4,0 mg/dl). Bei Männern kommt es während der Pubertät zu einem Anstieg des Serumuratspiegels, wohingegen er bei Frauen bis zur Menopause niedrig bleibt. Gemäß den aktuellsten Daten der National Health and Nutrition Evaluation Survey (NHANES) von 2007–2008 betragen die mittleren Serumuratkonzentrationen in den USA für erwachsene Männer 415 μmol/l (6,14 mg/dl) und für prämenopausale Frauen 360 μmol/l (4,84 mg/dl). Nach der Menopause gleichen sich die Werte der Frauen denen der Männer an. Mit zunehmendem Alter steigt die Serumuratkonzentration stetig in Abhängigkeit von Körpergröße, Gewicht, Blutdruck, Nierenfunktion und Alkoholkonsum.
Abbildung 431e-1Die Uratgesamtmenge des Körpers ergibt sich aus der Differenz von Uratsynthese und -exkretion. Die Uratsynthese wird durch die Aufnahme von Purinen aus der Nahrung, die De-Novo-Biosynthese von Purinen aus Nicht-Purin-Vorstufen, die Verstoffwechselung von Nukleinsäuren und deren Reutilisierung durch die Phosphoribosyltransferase beeinflusst. Das gebildete Urat wird normalerweise renal und enteral ausgeschieden. Eine Hyperurikämie kann aus einer gesteigerten Harnsäuresynthese, einer verminderten Harnsäureausscheidung oder einer Kombination beider Mechanismen resultieren. Besteht eine Hyperurikämie, so kann Urat ausfallen und sich im Gewebe als Tophi ablagern.
Hyperurikämie
Hyperurikämie kann durch eine gesteigerte Produktion oder eine verminderte Ausscheidung von Harnsäure sowie durch die Kombination beider Prozesse hervorgerufen werden. Anhaltende Hyperurikämie kann bei einigen Menschen zur Manifestation von Gichtarthritis (Kap. 395), Urolithiasis und Nierenfunktionsstörungen führen (siehe unten).
Hyperurikämie ist durch eine Plasma- oder Serumuratkonzentration > 405 μmol/l (6,8 mg/dl) definiert. Das Risiko, eine Gichtarthritis oder Urolithiasis zu entwickeln, steigt proportional zur Höhe des Serumuratspiegels. Die Prävalenz der Hyperurikämie nimmt bei Erwachsenen im ambulanten Bereich zu, und dieses Phänomen ist bei stationären Patienten noch ausgeprägter. Die Prävalenz der Gicht hat sich in den USA von den 1960er Jahren bis zu den 1990er Jahren mehr als verdoppelt. Die NHANES-Daten von 2007–2008 zeigen, dass sich dieser Trend fortsetzt und geben eine ungefähre Prävalenz der Gicht bei Männern von 5,9 % (6,1 Millionen) und bei Frauen von 2,0 % (2,2 Millionen) an. Die mittleren Serumuratspiegel sind bei Männern auf 6,14 mg/dl und bei Frauen auf 4,87 mg/dl angestiegen. Die Prävalenzen der Hyperurikämie betragen entsprechend für Männer 21,2 % und für Frauen 21,6 %. (Dabei ist eine Hyperurikämie definiert als ein Serumuratspiegel > 7,0 mg/dl [415 μmol/l] bei Männern und > 5,7 mg/dl [340 μmol/l] bei Frauen.) Diese Zahlen entsprechen einem Anstieg der Gichtprävalenz um 1,2 %, des Serumuratspiegels um 0,15 mg/dl und einer Zunahme der Prävalenz der Hyperurikämie um 3,2 % im Vergleich zu den Daten der NHANES-III (1988–1994). Dieser Anstieg ist auf die Zunahme der Adipositas und Hypertonie sowie vermutlich auf die bessere medizinische Behandlung und höhere Lebenserwartung zurückzuführen.
Ursachen der Hyperurikämie
Abhängig davon ob es sich um eine angeborene oder erworbene Erkrankung handelt, kann die Hyperurikämie in eine primäre und eine sekundäre Form unterteilt werden. Eine Klassifizierung, basierend auf der zugrunde liegenden Pathophysiologie, scheint jedoch hilfreicher. Dabei unterscheidet man, ob es sich um eine gesteigerte Produktion, eine verminderte Ausscheidung oder um eine Kombination aus beidem handelt (Abb. 431e-1, Tab. 431e-2).
Abbildung 431e-2Schematische Darstellung des Weges der Harnsäure in der Niere. Die Reabsorption von Harnsäure erfolgt durch das komplexe Zusammenspiel von Transportern an der apikalen und lateralen Membran der tubulären Epithelzellen in der Niere. Details siehe Text. Die meisten Urikosurika hemmen URAT1 auf der apikalen Seite sowie OAT1, OAT3 und GLUT9 auf der basolateralen Seite.
Gesteigerte Harnsäureproduktion
Die Nahrung trägt entsprechend ihres Puringehaltes zur Serumuratkonzentration bei. Eine strenge Restriktion der Purinaufnahme kann die durchschnittliche Serumuratkonzentration um etwa 60 μmol/l (1,0 mg/dl) und die renale Harnsäureausscheidung um 1,2 mmol täglich (200 mg/d) senken. Zu den Nahrungsmitteln mit einem hohen Nukleinsäuregehalt gehören Leber, Bries (z. B. Thymus, Pankreas), Nieren und Sardellen.
Die Serumuratkonzentration wird außerdem von Purinen endogenen Ursprungs beeinflusst (Abb. 431e-3). Die Purin-de-Novo-Biosynthese besteht aus einer Abfolge von elf Reaktionsschritten zur Bildung von Inosinmonophosphat (IMP). Der wichtigste limitierende Faktor der Purinbiosynthese und damit der Uratproduktion ist das Enzym Amidophosphoribosyltransferase (AmidoPRT), das die Verbindung von Phosphoribosylmonophosphat (PRPP) und Glutamin katalysiert. Ein zweiter Regulationsmechanismus ist die Wiederverwertung von Purinbasen durch die Hypoxanthin-Phosphoribosyltransferase (HPRT), welche die Verbindung der Purinbasen Hypoxanthin und Guanin mit PRPP katalysiert, um die entsprechenden Ribonukleotide IMP und Guanosinmonophosphat (GMP) zu bilden.
Die Serumuratkonzentration korreliert eng mit der Purin-de-Novo-Biosyntheserate. Diese wiederum wird partiell durch den PRPP-Spiegel gesteuert, wie anhand von zwei X-chromosomal vererbten Purinstoffwechseldefekten gezeigt werden konnte (Tab. 431e-3). Sowohl eine gesteigerte PRPP-Synthetaseaktivität als auch ein HPRT-Mangel sind mit Purinüberproduktion, Hyperurikämie und erhöhter Harnsäurekonzentration im Urin assoziiert (siehe Klinisches Bild).
Ein beschleunigter Purinnukleotidabbau, z. B. bei raschem Zellumsatz, Proliferation und Zelltod während leukämischer Blastenschübe, zytotoxischer Chemotherapie, Hämolyse oder Rhabdomyolyse, kann ebenfalls eine Hyperurikämie verursachen. Der exzessive Abbau von ATP aus der Skelettmuskulatur nach starker körperlicher Anstrengung, einem Status epilepticus oder im Rahmen der Glykogenspeicherkrankheiten vom Typ II, V und VII (Kap. 433e), kann eine Hyperurikämie hervorrufen. Eine Hyperurikämie bei Myokardinfarkt, Rauchgasinhalation oder akuter respiratorischer Insuffizienz kann ebenfalls durch einen beschleunigten Abbau von ATP bedingt sein.
Abbildung 431e-3Vereinfachtes Schema des Purinmetabolismus. (1) Phosphoribosylpyrophosphat(PRPP)-Synthetase, (2) Amidophosphoribosyltransferase (AmidoPRT), (3) Adenylosuccinat-Lyase, (4) (Myo-)Adenylat(AMP)-Desaminase, (5) 5’-Nukleotidase, (6) Adenosindesaminase, (7) Purinnukleosid-Phosphorylase, (8) Hypoxanthin-Phosphoribosyltransferase (HPRT), (9) Adenin-Phosphoribosyltransferase (APRT), (10) Xanthinoxidase.
AICAR = Aminoimidazol-Carboxamid-Ribotid; GMP = Guanosinmonophosphat; IMP = Inosinmonophosphat; PRA = Phosphoribosylamin; SAICAR = Succinylaminoimidazol-Carboxamid-Ribotid.
Verminderte Harnsäureausscheidung
Mehr als 90 % der Individuen mit anhaltender Hyperurikämie weisen eine verminderte renale Clearance von Harnsäure auf. Personen mit Gicht scheiden unabhängig von der Plasmauratkonzentration ungefähr 40 % weniger Harnsäure aus als gesunde Individuen. Bei Personen mit und ohne Gicht steigt unter purinhaltiger Nahrung oder Infusion der Serumuratspiegel und damit auch die Harnsäureausscheidung an. Allerdings muss die Plasmauratkonzentration bei Personen mit Gicht 60–120 μmol/l (1–2 mg/dl) über den Normwerten liegen, um äquivalente Harnsäureexkretionsraten zu erreichen.
Absenkungen der Harnsäureausscheidung können theoretisch auf eine eingeschränkte glomeruläre Filtration, eine verminderte tubuläre Sekretion oder auf eine verstärkte tubuläre Rückresorption zurückgeführt werden. Eine verminderte Uratfiltration scheint die Hyperurikämie nicht primär zu verursachen, trägt jedoch zur Hyperurikämie im Rahmen der Niereninsuffizienz bei. Obwohl bei chronischen Nierenerkrankungen unweigerlich eine Hyperurikämie auftritt, besteht nur eine schwache Korrelation zwischen Serumkreatinin, Harnstoff und Uratkonzentration. Die extrarenale Harnsäure-Clearance steigt mit dem Ausmaß der Nierenschädigung.
Viele Substanzen, die eine Hyperurikämie hervorrufen, erzielen diesen Effekt eher durch eine verstärkte Reabsorption als durch eine Hemmung der Sekretion. Der Grund hierfür scheint eine Erleichterung der renalen Uratreabsorption durch natriumabhängige Ladung der proximalen epithelialen Tubuluszellen zu sein, wodurch Anionen die trans-stimulierte Uratreabsorption ermöglicht wird. Die natriumabhängigen Monocarbontransporter SMCT1 und -2 (SLC5A8, SLC5A12) im Bürstensaum der proximalen Tubuluszellen vermitteln die natriumabhängige Resorption von Monocarbonsäuren in diese Zellen. Ein ähnlicher Transporter, SLC13A3, sorgt für den natriumabhängigen Einstrom von Dicarbonsäuren in die Epithelzellen an der basolateralen Membran. Von einigen dieser Carbonsäuren, darunter Pyrazincarbonsäure (durch Behandlung mit Pyrazinamid), Nikotinsäure (durch Niacintherapie) sowie die organischen Säuren Laktat, β-Hydroxybutyrat und Acetoacetat, ist bekannt, dass sie eine Hyperurikämie auslösen können. Diese mono- und divalenten Anionen werden dann zu Substraten von URAT1 bzw. des organischen Anionentransporters (OAT4) und werden im proximalen Tubulus gegen Harnsäure ausgetauscht. Erhöhte Blutspiegel dieser Anionen führen zu einer stärkeren glomerulären Filtration sowie zu einer vermehrten Reabsorption durch die proximalen Tubuluszellen. Die erhöhte intrazelluläre Konzentration wiederum führt zu einer gesteigerten Harnsäurereabsorption durch den URAT1-, OAT4- und OAT10-abhängigen Anionenaustausch. Niedrig dosierte Salizylsäure kann eine Hyperurikämie durch denselben Mechanismus hervorrufen. Die Aufnahme von Natrium in die proximalen Tubuluszellen stimuliert die Uratretention außerdem durch Reduktion der extrazellulären Flüssigkeit und erhöhte Freisetzung von Angiotensin II, Insulin und Parathormon. Der Transport von Urat durch die Basalmembran erfolgt auch durch andere organische Anionentransporter, OAT1, OAT2 und OAT3, wobei die genauen Mechanismen noch unklar sind.
Der Glukosetransporter 9 (GLUT9, SLC2A9) ist ein elektrogener Hexosetransporter mit verschiedenen Splice-Varianten, welche die Reabsorption von Harnsäure zusammen mit Glukose und Fruktose an der apikalen (GLUT9ΔN/SLC2A9v2) sowie an der basolateralen Membran (SLC2A9v1) und somit in den Blutkreislauf fördern. Vor kurzem wurde entdeckt, dass GLUT9 auch ein Urattransporter mit großer Kapazität ist, der dabei 45- bis 60-mal schneller arbeitet als bei seiner Glukose/Fruktose-Transportaktivität. Dies erklärt vermutlich das erhöhte Risiko für Hyperurikämie und Gicht beim Konsum fruktosehaltiger Getränke. Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) legen nahe, dass Polymorphismen in SLC2A9 in der weißen Bevölkerung eine wichtige Rolle bei der Suszeptibilität für Gicht spielen. Das Vorhandensein eines prädisponierenden varianten Allels erhöht das relative Risiko, an Gicht zu erkranken, um 30–70 %, was vermutlich durch die vermehrte Expression der kürzeren Isoform SLC2A9v2 (GLUT9ΔN) bedingt ist. Diese Polymorphismen erklären aber nur etwa 6 % der Variationen der Serumharnsäurespiegel bei Kaukasiern. Die zugrunde liegenden Ursachen der Gicht sind offensichtlich polygen und komplex, sodass ein genetischer Test zur Identifizierung relevanter Polymorphismen derzeit experimentell ist und keinen klinischen Nutzen hat.
Alkohol fördert die Entstehung einer Hyperurikämie durch eine gesteigerte Uratproduktion und eine verminderte Harnsäureausscheidung. Exzessiver Alkoholgenuss beschleunigt den ATP-Abbau in der Leber und steigert somit die Uratproduktion. Außerdem kann durch Alkoholkonsum eine Laktatazidose induziert werden, durch welche die Harnsäuresekretion verhindert wird. Ein anderer Auslöser ist möglicherweise der höhere Puringehalt in einigen alkoholischen Getränken. Der Konsum von Bier geht mit einem höheren Risiko einher als das Trinken klarer Alkoholika; mäßiger Weinkonsum erhöht das Gichtrisiko nicht. Erhöht wird das Gichtrisiko außerdem durch den Verzehr von rotem Fleisch und Fruktose, während es durch die Zufuhr fettarmer Molkereiprodukte, purinreichen Gemüses, Vollkorn, Nüssen und Hülsenfrüchten sowie zuckerarmem Obst, Kaffee und Vitamin C reduziert wird.
Abklärung der Hyperurikämie
Die Hyperurikämie ist weder zwangsläufig eine Erkrankung noch stellt sie eine absolute Therapieindikation dar. Die Entscheidung, ob eine Therapie notwendig ist, muss individuell beurteilt werden und hängt von der Ursache und den möglichen Konsequenzen der Hyperurikämie ab.
Durch die Quantifizierung der Harnsäureausscheidung lässt sich feststellen, ob eine Überproduktion oder eine verminderte Ausscheidung zugrunde liegt. Unter purinfreier Diät scheiden Männer mit normaler Nierenfunktion täglich weniger als 3,6 mmol (600 mg) Harnsäure aus. Folglich leiden Menschen, die unter purinfreier Diät eine höhere Harnsäureausscheidung haben, an einer Harnsäureüberproduktion. Wird die Untersuchung bei normaler Nahrungsaufnahme durchgeführt, kann ein Referenzwert von 4,2 mmol/d (800 mg/d) als Grenze angenommen werden.
Komplikationen der Hyperurikämie
Die häufigste Komplikation der Hyperurikämie ist die Gichtarthritis. Die NHANES 2007–2008 Studie ermittelte bei erwachsenen US-Amerikanern eine Prävalenz der Gicht von 3,9 % (6 % bei Männern und etwa 2 % bei Frauen). Je höher die Serumuratkonzentration ist, desto wahrscheinlicher ist die Entwicklung von Gicht. In einer Studie lag die Inzidenz der Gicht bei Personen mit Serumuratkonzentrationen von mindestens 540 μmol/l (9,0 mg/dl) bei 4,9 %. Bei Personen mit Werten zwischen 415 und 535 μmol/l (7,0 und 8,9 mg/dl) dagegen lag sie bei 0,5 %. Die Komplikationen der Gicht korrelieren mit Dauer und Schwere der Hyperurikämie. Für weitere Informationen zum Thema Gicht siehe Kapitel 395.
Die Hyperurikämie verursacht außerdem verschiedene renale Probleme, wie (1) Nephrolithiasis, (2) Uratnephropathie, eine seltene Ursache der Niereninsuffizienz, die durch Ablagerung von Natriumuratkristallen im Interstitium der Nieren hervorgerufen wird, und (3) Harnsäurenephropathie, eine reversible Ursache akuten Nierenversagens, die durch die Ablagerung großer Mengen von Harnsäurekristallen in den renalen Sammelrohren, dem Nierenbecken und den Harnleitern entsteht.
Nephrolithiasis
Eine Nephrolithiasis mit Harnsäuresteinen tritt meistens, jedoch nicht ausschließlich, in Verbindung mit Gicht auf. Bei der Gicht korreliert die Prävalenz von Nierensteinen mit der Harnsäurekonzentration in Serum und Urin und beträgt bei Serumuratkonzentrationen von 770 μmol/l (13 mg/dl) oder bei einer renalen Harnsäureexkretion von mehr als 6,5 mmol täglich (1100 mg/d) etwa 50 %. Harnsäuresteine können auch bei Personen ohne Arthritis entstehen, von denen nur 20 % eine Hyperurikämie aufweisen. Harnsäure kann auch an der Entstehung anderer Nierensteine beteiligt sein. Einige Patienten ohne Gicht, die an Kalziumoxalat- oder Kalziumphosphatsteinen leiden, weisen eine Hyperurikämie oder eine erhöhte Harnsäurekonzentration im Urin auf. Harnsäure fungiert hier möglicherweise als Nidus, an dem Kalziumoxalat ausfällt bzw. wodurch die Kalziumoxalatkristallisation begünstigt wird.
Uratnephropathie
Die Uratnephropathie, manchmal auch als Uratnephrose bezeichnet, ist eine Spätkomplikation der schweren Gicht. Histologisch ist sie durch Ablagerungen von Natriumuratkristallen im Interstitium der Medulla und im Pyramidenbereich sowie durch eine Entzündungsreaktion mit Riesenzellen charakterisiert. Diese Erkrankung ist heutzutage selten und kann ohne Gichtarthritis nicht diagnostiziert werden. Sie kann klinisch stumm oder symptomatisch mit Proteinurie, Hypertonie und Niereninsuffizienz verlaufen.
Harnsäurenephropathie
Diese reversible Variante des akuten Nierenversagens entsteht durch die Präzipitation von Harnsäure in den Nierentubuli und Sammelrohren und führt zu einer Harnabflussbehinderung. Die Harnsäurenephropathie entsteht infolge einer plötzlichen Uratüberproduktion und einer ausgeprägten Erhöhung der Harnsäure im Urin. Dehydrierung und Azidose begünstigen die Harnsäurekristallbildung. Diese Form des akuten Nierenversagens tritt meistens während eines aggressiven Blastenschubes bei Leukämien und Lymphomen oder unter einer zytolytischen Therapie auf. Außerdem wurde sie bei Patienten mit anderen Neoplasien, nach epileptischen Anfällen und nach starker körperlicher Belastung bei großer Hitze beobachtet. Autopsien zeigen intraluminale Harnsäurepräzipitate und eine Dilatation der proximalen Tubuli bei normal erscheinenden Glomerula. Es wird angenommen, dass die Obstruktion der Sammelrohre und der distalen Nierengefäße das initiale pathogene Ereignis darstellt.
Sofern sie erkannt wird, ist die Harnsäurenephropathie potenziell reversibel. Durch geeignete Therapien wurde die Letalität von etwa 50 % auf nahezu Null gesenkt. Bei der Diagnostik kann man sich nicht auf die Serumspiegel verlassen, da die Krankheit auch bei Uratkonzentrationen von 720–4800 μmol/l (12–80 mg/dl) beobachtet wurde. Der entscheidende diagnostische Parameter ist die Harnsäurekonzentration im Urin. Bei den meisten Formen des akuten Nierenversagens mit reduzierter Urinausscheidung ist der Harnsäuregehalt im Urin normal oder reduziert und es besteht ein Verhältnis von Harnsäure zu Kreatinin von weniger als 1. Bei akuter Harnsäurenephropathie liegt das Verhältnis von Harnsäure zu Kreatinin im 24-Stunden-Sammelurin bei mehr als 1 und ist damit ausschlaggebend für die Diagnose.
Hyperurikämie und metabolisches Syndrom
Das metabolische Syndrom (Kap. 422) ist durch abdominelle Adipositas mit viszeraler Fettansammlung, gestörte Glukosetoleranz auf dem Boden einer Insulinresistenz mit Hyperinsulinämie, Hypertriglyzeridämie, erhöhtes Low-density-Lipoprotein(LDL)-Cholesterin, erniedrigtes High-density-Lipoprotein(HDL)-Cholesterin und eine Hyperurikämie charakterisiert. Die Hyperinsulinämie bedingt eine verminderte renale Exkretion von Harnsäure und Natrium. Aus diesem Grund besteht bereits vor der Manifestation des metabolischen Syndroms (mit Typ-2-Diabetes, Hypertonie, koronarer Herzkrankheit und Gicht) eine Hyperurikämie, die aus einer Hyperinsulinämie bei noch euglykämischer Stoffwechsellage resultiert.
Behandlung: Hyperurikämie
Asymptomatische Hyperurikämie
Eine Hyperurikämie lässt sich bei ungefähr 21 % der Bevölkerung und bei bis zu 25 % der stationären Patienten feststellen. Bei der überwiegenden Mehrheit besteht kein klinisches Risiko. Jahrelang wurden aus Furcht vor kardiovaskulären Erkrankungen oder Nierenversagen bei asymptomatischer Hyperurikämie uratsenkende Arzneimittel eingesetzt. Mit der Ausnahme von Patienten mit Krebsleiden, die eine zytolytische Therapie erhalten und daher ein erhöhtes Risiko für eine Harnsäurenephropathie haben, wird eine Behandlung von asymptomatischer Hyperurikämie heute nicht mehr empfohlen. Da Hyperurikämie Ausdruck des metabolischen Syndroms sein kann, sollten weitere Symptome wie Adipositas, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus oder Hypertonie ausgeschlossen und ggf. aggressiv behandelt werden.
Obwohl bei Menschen mit Hyperurikämie – insbesondere bei hohen Serumuratspiegeln – ein höheres Risiko für die Entwicklung einer Gichtarthritis besteht, ist eine prophylaktische Therapie nicht indiziert, da die meisten nicht an Gicht erkranken. Außerdem sind vor dem ersten Gichtanfall weder Schäden des Nierengewebes noch Tophi nachweisbar. Eine eingeschränkte Nierenfunktion kann nicht auf eine asymptomatische Hyperurikämie zurückgeführt werden und die Therapie der asymptomatischen Hyperurikämie hat keine Auswirkung auf den Verlauf der Nierenerkrankung. Ein erhöhtes Risiko für eine Steinbildung konnte bei asymptomatischer Hyperurikämie nicht nachgewiesen werden.
Da die medikamentöse Therapie der Hyperurikämie für den Patienten lästig, teuer und potenziell toxisch ist, wird der routinemäßige Einsatz bei asymptomatischer Hyperurikämie nicht empfohlen. Eine Ausnahme stellt die Prävention einer akuten Harnsäurenephropathie dar. Ein routinemäßiges Screening nach asymptomatischer Hyperurikämie wird nicht empfohlen, doch wenn eine Hyperurikämie diagnostiziert wird, so sollte die Ursache ergründet und behoben werden. Zusätzliche Probleme wie Hypertonie, Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus und Adipositas sollten behandelt werden.
Symptomatische Hyperurikämie
Siehe Kap. 295 zur Therapie der Gicht einschließlich Uratnephrose.
Eine antihyperurikämische Therapie wird für diejenigen Patienten empfohlen, die sowohl an einer Gichtarthritis als auch an einer Nephrolithiasis (mit harnsäure- oder kalziumhaltigen Steinen) erkrankt sind, da beides mit einer erhöhten Harnsäurekonzentration im Urin einhergehen kann. Unabhängig von der Zusammensetzung der Steine sollte auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden, um eine tägliche Urinausscheidung von mindestens 2 l zu gewährleisten. Um die Löslichkeit der Harnsäure zu verbessern, kann der Harn mit Natriumbicarbonat oder Acetazolamid alkalisiert werden. Die spezifische Therapie der Harnsäuresteine beinhaltet eine Senkung der Harnsäurekonzentration im Urin mittels eines Xanthinoxidase-Inhibitors, wie z. B. Allopurinol oder Febuxostat. Diese Substanzen führen bereits innerhalb der ersten 24 Stunden zu einer Senkung der Serumuratkonzentration und der renalen Harnsäureausscheidung, wobei ein maximaler Effekt nach 2 Wochen erreicht wird. Aufgrund der langen Halbwertszeit des aktiven Metaboliten Oxypurinol (18 h) ist die einmalige Gabe pro Tag ausreichend. In den Studien mit Febuxostat erzielte die allgemein empfohlene Dosis von Allopurinol (300 mg/d) bei weniger als der Hälfte der Patienten die Zielkonzentration von Harnsäure < 6,0 mg/dl (357 μmol/l); dieses Ergebnis zeigt, dass vermutlich höhere Dosen erwogen werden sollten. Das Medikament wirkt auch bei niereninsuffizienten Patienten, sollte aber in der Dosis adaptiert werden. Allopurinol wird außerdem verwendet, um bei Patienten mit Gicht die erneute Bildung von Kalziumoxalatsteinen zu verhindern. Dieselbe Indikation besteht bei Menschen ohne Gicht, die jedoch eine Hyperurikämie oder eine erhöhte Harnsäurekonzentration im Urin aufweisen. Febuxostat (40–80 mg/d) wird ebenfalls einmal täglich eingenommen, doch im Gegensatz zu Allopurinol ist bei leichter bis moderater Nierenfunktionsstörung keine Dosisanpassung notwendig. Alternativ können Harnsäuresteine oder gemischte Kalzium-Harnsäuresteine auch mit Kaliumzitrat (30–80 mmol/d p.o. in mehreren Einzeldosen) behandelt werden. Die Xanthinoxidase-Inhibitoren sind ferner zur Therapie bei 2,8-Dihydroxyadenin-Nierensteinen indiziert.
Die Harnsäurenephropathie ist oft vermeidbar und durch sofortige und adäquate Therapie kann die Mortalität deutlich gesenkt werden. Durch intravenöse Flüssigkeitstherapie und forcierte Diurese mit Furosemid wird die Harnsäure in den Tubuli verdünnt und der Harnfluss auf mindestens 100 ml/h gesteigert. Die intravenöse Applikation von Acetazolamid (240–500 mg alle 6–8 h) und Natriumbicarbonat (89 mmol/l) alkalisiert den Harn und erhöht so die Löslichkeit der Harnsäure. Der Urin-pH-Wert muss über 7,0 liegen und es darf nicht zu einer Kreislaufüberlastung kommen. Daneben wird eine antihyperurikämische Therapie mit Allopurinol in Einzeldosen von je 8 mg/kg Körpergewicht verwendet, um die Uratmenge, welche die Nieren erreicht, zu vermindern. Bleibt die Niereninsuffizienz bestehen, so sollten die nachfolgenden Tagesdosen auf 100–200 mg/d gesenkt werden, da Oxypurinol, der aktive Allopurinolmetabolit, bei Nierenversagen kumuliert. Trotz dieser Maßnahmen kann eine Hämodialyse erforderlich werden. Um einem Tumorlysesyndrom vorzubeugen oder es zu behandeln, kann eine intravenöse Therapie mit Uratoxidase (Rasburicase) durchgeführt werden.
Hypourikämie
Als Hypourikämie definiert man eine Serumuratkonzentration von weniger als 120 μmol/l (2 mg/dl). Sie kann durch verminderte Uratsynthese, gesteigerte Harnsäureexkretion oder durch eine Kombination beider Mechanismen verursacht werden. Dieser Laborbefund findet sich bei weniger als 0,2 % der Bevölkerung und 0,8 % der hospitalisierten Patienten. Eine Hypourikämie ist meist asymptomatisch und ohne pathologische Veränderungen, sodass eine Behandlung nicht notwendig ist.
In den meisten Fällen entsteht die Hypourikämie durch eine vermehrte renale Harnsäureausscheidung. Ist bei einer hypourikämischen Person der Harnsäurewert im 24-Stunden-Sammelurin normal, so bestätigt dies eine renale Ursache. Zu Medikamenten mit urikosurischer Wirkung (Tab. 431e-1) gehören Acetylsalizylsäure (in Dosen > 2,0 g/d), Losartan, Fenofibrat, Röntgenkontrastmittel und Guaifenesin. Eine parenterale Hyperalimentation kann – möglicherweise aufgrund des hohen Glycingehaltes der Nährlösungen – ebenfalls zu einer Hypourikämie führen. Zu den weiteren Ursachen einer erhöhten Urat-Clearance gehören Neoplasien, Leberzirrhose, Diabetes mellitus, SIADH (Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion) sowie isolierte angeborene Defekte des renalen bidirektionalen Harnsäuretransportes. Zu erwähnen sind außerdem Störungen des tubulären Transportsystems der Niere, wie das primäre als auch das sekundäre Fanconi-Syndrom, das in Verbindung mit Morbus Wilson, Zystinose, Schwermetallvergiftungen oder multiplem Myelom auftritt. Außerdem gibt es familiäre Formen der Hypourikämie, die grundsätzlich autosomal rezessiv vererbt werden. In den meisten Fällen liegt eine Loss-of-Function-Mutation des für URAT1 kodierenden Gens SLC12A12 zugrunde, was zu einer verstärkten renalen Urat-Clearance führt. Individuen mit normalem SLC12A12 haben vermutlich Defekte in anderen Urattransportern. Obwohl die meisten betroffenen Patienten keine Symptome aufweisen, kann in einigen Fällen eine Uratnephrolithiasis oder eine durch körperliche Belastung induzierte Niereninsuffizienz auftreten.
Ausgewählte angeborene Purinstoffwechselstörungen
(Siehe auch Tab. 431e-3,Tab. 431e-4, Abb. 431e-3 und Abb. 431e-4) Bislang wurden mehr als 30 Defekte des humanen Purin- und Pyrimidinstoffwechsels identifiziert. Viele davon sind benigne, die Hälfte jedoch ist mit klinischen Symptomen assoziiert, manche sogar mit einer erheblichen Morbidität und Mortalität. Fortschritte in der Genetik sowie die High-performance-Flüssigkeitschromatografie und die Tandem-Massenspektroskopie ermöglichen inzwischen eine bessere Diagnosestellung.
Myopathie mit Intoleranz gegenüber körperlicher Anstrengung oder asymptomatisch | ||||
Schwere kombinierte Immundefizienz (SCID), Knorpel-Knochen-Dysplasie | ||||
HPRT-Mangel
Das HPRT-Gen ist auf dem X-Chromosom lokalisiert. Männliche Betroffene sind hemizygot für die Genmutation, weibliche Anlageträgerinnen sind asymptomatisch. Der vollständige HPRT-Mangel, das Lesch-Nyhan-Syndrom, ist durch Hyperurikämie, Selbstverstümmelung, Choreoathetose, Spastik und geistige Retardierung charakterisiert. Ein partieller HPRT-Mangel, das Kelley-Seegmiller-Syndrom, geht mit einer Hyperurikämie ohne zentralnervöse Manifestationen einher. Bei beiden Syndromen kommt es durch eine Überproduktion von Urat zu einer Hyperurikämie, welche neben Harnsäurekristallurie und Nephrolithiasis auch eine obstruktive Uropathie und Gichtarthritis verursachen kann. Die frühzeitige Diagnose und eine geeignete Therapie mit Allopurinol können sämtliche Probleme, die durch die Hyperurikämie verursacht werden, verhindern oder beseitigen. Die Verhaltensstörungen und die neurologischen Defizite jedoch bleiben von der Allopurinoltherapie unbeeinflusst.
Gesteigerte PRPP-Synthase-Aktivität
Ähnlich wie der HPRT-Mangel wird die PRPP-Synthase-Überaktivität X-chromosomal vererbt. Neben Gichtarthritis und Harnsäurenephrolithiasis tritt außerdem in einigen Familien Schwerhörigkeit auf.
Adenin-Phosphoribosyltransferase(APRT)-Mangel
Der APRT-Mangel wird autosomal rezessiv vererbt. Betroffene Individuen entwickeln Nierensteine, die aus 2,8-Dihydroxyadenin bestehen. Kaukasier mit diesem Mangel leiden an einem vollständigen Defizit (Typ I), wohingegen Japaner noch eine geringe messbare Enzymaktivität aufweisen (Typ II). Die Expression des Defektes ebenso wie die Häufigkeit der Heterozygotie (0,4–1,1 pro 100 Personen) gleichen sich in beiden Bevölkerungsgruppen. Eine Behandlung mit Allopurinol verhindert die Steinbildung.
Hereditäre Xanthinurie
Ein Mangel an Xanthinoxidase bewirkt, dass sämtliche Purine im Urin in Form von Hypoxanthin und Xanthin vorliegen. Ungefähr zwei Drittel der Patienten mit diesem Mangel sind beschwerdefrei. Die übrigen bilden Nierensteine aus Xanthin.
Myoadenylatdesaminase-Mangel
Es werden sowohl primäre (angeborene) als auch sekundäre (erworbene) Formen des Myoadenylatdesaminase-Mangels beschrieben. Die primäre Form unterliegt einem autosomal rezessiven Erbgang. Klinisch treten bei einigen Betroffenen – nach körperlicher Belastung oder durch andere Trigger bedingt – Symptome einer milden Myopathie auf. Die meisten Individuen mit diesem Defekt sind jedoch asymptomatisch, sodass bei symptomatischen Patienten auch nach anderen Ursachen einer Myopathie gesucht werden sollte. Der erworbene Myoadenylatdesaminase-Mangel kommt in Verbindung mit vielen verschiedenen neuromuskulären Erkrankungen, wie Muskeldystrophien, Neuropathien, inflammatorischen Myopathien und Kollagenosen, vor.
Erkrankungen des Pyrimidinstoffwechsels
Das Pyrimidin Cytidin ist in DNS und RNAS vorhanden und stellt die komplementäre Base zu Guanin dar. Thymidin findet sich nur in der DNS und ist der Basenpartner von Adenin. Uridin kommt nur in der RNA vor und kann sich in sekundären RNA-Strukturen mit Adenin oder Guanin verbinden. Pyrimidine können auf dem Weg der De-Novo-Biosynthese (Abb. 431e-4) oder durch Reutilisierung (Salvage Pathway) synthetisiert werden. Obwohl mehr als 25 verschiedene Enzyme in den Pyrimidinstoffwechsel involviert sind, treten Störungen dieser Stoffwechselwege nur sehr selten auf. Bisher wurden sieben Störungen des Pyrimidinmetabolismus identifiziert (Tab. 431e-4), von denen drei im Folgenden näher erläutert werden.
Abbildung 431e-4Übersicht des Pyrimidinmetabolismus. (1) Thymidinkinase, (2) Dihydropyrimidin-Dehydrogenase, (3) Thymidylatsynthase, (4) UMP-Synthase, (5) 5’-Nukleotidase. CMP = Cytidin-5’-Monophosphat; dUMP = Desoxyuridin-5’-Monophosphat; dTMP = Desoxythymidin-5’-Monophosphat; UMP = Uridin-5’-Monophosphat; UDP = Uridin-5’-Diphosphat.
Orotazidurie
Die angeborene Orotazidurie ist durch eine Mutation im bifunktionellen Enzym Uridin-5’-Monophosphat(UMP)-Synthetase verursacht, die per De-Novo-Biosynthese Orotat in UMP umwandelt (Abb. 431e-4). Charakteristisch für die Erkrankung sind Wachstumsretardierung, neurologische Veränderungen und eine hypochrome, megaloblastäre Anämie, die weder auf Vitamin-B12- noch auf Folsäuresubstitution anspricht. Die vermehrte Ausscheidung von Orotat führt zu Kristallurie und obstruktiver Uropathie. Eine Uridinsubstitution (100–200 mg/kg/d) korrigiert die Anämie, vermindert die Orotatausscheidung und bessert auch die anderen Begleiterscheinungen der Erkrankung.
Pyrimidin-5’-Nukleotidase-Mangel
Die Pyrimidin-5’-Nukleotidase katalysiert die Abspaltung der Phosphatgruppen von Pyrimidin-Ribonukleosid-Monophosphaten (Cytidin-5’-Monophosphat oder UMP; Abb. 431e-4). Ein vererbter Mangel dieses Enzyms verursacht eine hämolytische Anämie mit auffälliger basophiler Tüpfelung der Erythrozyten. Die Akkumulation von Pyrimidinen oder von Cytidin-Diphosphat-Cholin (CDPC) ist am ehesten die Ursache der Hämolyse. Eine spezifische Behandlung ist nicht bekannt. Ein erworbener Pyrimidin-5’-Nukleotidase-Mangel wurde bei Bleivergiftungen und bei Thalassämie beobachtet.
Dihydropyrimidin-Dehydrogenase-Mangel
Die Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) ist das limitierende Enzym im Abbauprozess von Uracil und Thymin (Abb. 431e-4). Der Mangel dieses Enzyms verursacht eine massive renale Ausscheidung von Uracil und Thymin. Der DPD-Mangel verursacht unspezifische zerebrale Dysfunktionen mit Krampfleiden und motorischer sowie mentaler Retardierung. Es gibt bisher keine spezifische Behandlung.
Einfluss von Medikamenten auf den Pyrimidinstoffwechsel
Der Pyrimidinmetabolismus kann durch eine Reihe von Medikamenten beeinflusst werden. Die Chemotherapeutika Fluordesoxyuridin und 5-Fluoruracil (5-FU) sowie das antibakteriell wirksame Fluorcytosin wirken zytotoxisch, wenn sie zu Fluordesoxyuridylat (FdUMP) umgewandelt werden. FdUMP ist ein spezifischer Suizidinhibitor der Thymidylatsynthase. Um wirksam zu sein, muss Fluorcytosin zu 5-FU umgewandelt werden. Diese Umwandlungsreaktion wird durch die Cytosin-Desaminase katalysiert. Da die Cytosin-Desaminase in Bakterien und Pilzen, nicht jedoch in humanen Zellen vorkommt, wirkt Fluorcytosin sehr selektiv.
DPD ist am Abbau von 5-FU beteiligt und folglich ist ein Mangel dieses Enzyms mit der neurotoxischen Wirkung von 5-FU assoziiert.
Leflunomid, das zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis eingesetzt wird, inhibiert die Dihydroorotat-Dehydrogenase. Dadurch wird die Pyrimidin-de-Novo-Biosynthese gehemmt, was wiederum einen antiproliferativen Effekt auf T-Zellen hat. Allopurinol als Inhibitor der Xanthinoxidase und der Purinsynthese, hemmt auch die Orotidin-5-Phosphat-Decarboxylase, ein Enzym der UMP-Synthese. Folglich ist die Anwendung von Allopurinol mit einer vermehrten Ausscheidung von Orotidin und Orotat assoziiert. Klinische Auswirkungen dieser Inhibition sind nicht bekannt.